Der DDR-Knacks

Rot-Rot-Grün Die SPD kann sich vorstellen, mit der Linkspartei ein Bündnis im Bund einzugehen. Die bürgerliche Politik und Presse läuft Sturm und spricht von einem „Albtraum“.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) öffnet sich einer möglichen Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei. Die sogenannte rot-rot-grüne Koalition – mit Hinblick auf die prozentualen Erfolge der Grünen müsste man eher von einer grün-rot-roten Koalition sprechen – soll als Gegenmodell eines konservativen Blocks fungieren, die Systemfrage als solche jedoch nicht stellen. Dahingehend ist Kritik in den jeweiligen Parteien unter verschiedenen Prämissen vorprogrammiert. Erfahrungen dieser Konstellation konnten schon mehrere gesammelt werden, besonders in den Bundesländern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In Thüringen stellt die Linkspartei mit dem christlichen Gewerkschafter aus dem Westen, Bodo Ramelow, gar den ersten Ministerpräsidenten aus dem eigenen Haus. Nachdem der Generalsekretär der SPD Lars Klingbeil diese Option auf Bundesebene zur Sprache gebracht hatte, scheint die bürgerliche Welt unisono in sich zusammenzubrechen. Während die Freie Demokratische Partei (FDP) sowie die Unionsparteien (CDU/CSU) von einem „Albtraum“ schwadronieren, wird beispielsweise der Chefredakteur der BILD-Zeitung – Julian Reichelt – nicht müde, den historischen Aspekt der Linkspartei heranzuziehen. Nach Reichelt gehe die SPD „30 Jahre nach Mauerfall“ nun zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), derweil Jan-Phillip Hein von einem „Kardinalfehler“ spricht, dass die Linkspartei als Nachfolgeorganisation der SED noch nicht verboten wurde. Was sich hier anbahnt, ist das bis heute anhaltende schizophrene Verhältnis zur eigenen deutschen Geschichte.

Die BRD ist einzigartig in ihrer Aufarbeitung. Während deutsche Faschist*innen nach Gründung der Bundesrepublik 1949 relativ schnell entnazifiziert wurden, müssen sich Sozialist*innen und Kommunist*innen jeden Alters nach der sogenannten „Wiedervereinigung“ bis heute für die DDR rechtfertigen. Diese Gleichsetzung ist mehr als bewusst und tief verankert im teutonischen Moralkonstrukt. Mithilfe der „Totalitarismus-Theorie“ wird ein vulgaristisches und schematisches Bild eines Demokratieprozesses herangezogen, der selektiv rezipiert wird, um das Bild der „liberalen Demokratie“ aufrechtzuerhalten. Die BRD definiert die Demokratisierung als Gleichsetzung der sozialen, politischen und ökonomischen Komponenten, greift jedoch die hierarchischen Realitäten auf. Diese werden jedoch als „Errungenschaft“ und dialektische Prozessgebung zur Verteidigung der „liberalen Demokratie“ ausdefiniert. Im Unterschied dazu entwickelte sich in der DDR kein westliches Gesellschaftsmodell, sondern ein stark an der Sowjetunion orientierter Staat. Dieser projizierte als deformierter Arbeiter*innenstaat den Klassenantagonismus auf nationaler und internationaler Ebene bedingt durch die Einzigartigkeit des geteilten Deutschlands, welche wiederum von der BRD als gern gesehene Angriffsfläche reproduziert wurde. Nach der „Wiedervereinigung“ konnte sich keine wissenschaftliche Aufarbeitung durchringen, die ideologische Konzepte als solche benennt, sondern es entwickelte sich zum Status Quo, das faschistische Deutschland mit dem Friedensstaat DDR gleichzusetzen. Jedwede Person, die auch nur den Anschein einer Kritik zu formulieren vermochte, wurde schlechterdings als Feindin der „Demokratie“ und Freundin der „Diktatur“ verdächtig.

Die Rolle der SED als staatstragende Partei manifestiert sich de jure und de facto in der heutigen Linkspartei. Nichtsdestoweniger handelt es sich um zwei vollständig verschiedene Parteien. Um eine politologische und historische Aufarbeitung geht es den Reichelts und Heins dieser Republik allerdings nicht, denn die inoffizielle Staatsräson des Antikommunismus wird stetig hochgehalten. Der Kompass dessen, was Sozialismus oder gar Kommunismus bedeutet, verschob sich in den letzten 30 Jahren ins Unkenntliche. Der reformistischen Linkspartei wird überspitzt Stalinismus in Reinkultur vorgeworfen, wenn sie Korrekturen des Sozialstaats fordern oder auch nur versucht daran zu denken, Verstaatlichungen in eine völlig überforderte Debatte einzubringen. Das ist alles andere als das Bild einer sozialistischen Gesellschaft, sondern tradiertes Konzept eines starken Sozialstaates, im Grunde nichts weiter als moderate Sozialdemokratie. Die Linkspartei im Jahre 2019 ist eine sozialdemokratische Partei, die selbst den Sozialismus als Konsens in der Zukunft verankert sieht. Der Grundfehler, den die Partei machen konnte, war die Nichtauflösung der Partei, sondern lediglich deren personellen und programmatischen Umwandlung. Das tangiert jedoch weder Reichelt, Hein noch die bürgerlichen Parteien.

Diese infantile Angst manifestiert sich jedoch auch in der SPD und den Grünen. Mit Hinblick auf die außenpolitische Ausrichtung der Linkspartei wird das besonders deutlich. Im Duktus der BRD und des permanenten Antikommunismus wirkt eine geforderte Zusammenarbeit mit Russland oder der Abzug von Soldat*innen aus Kriegsgebieten selbstverständlich wie ein Vorbote zur kommenden bolschewistischen Revolution. Dass die Befürworter*innen einer Regierungsbeteiligung innerhalb der Linkspartei selbst am rechtesten Rand ihrer politischen Heimat zu finden sind, spielt hierbei keine Rolle. Der antikommunistische Reflex der Springer-Blätter, ihrer Jünger*innen und der bürgerlichen Parteien konterkariert hierbei die Realität, dass eine Linkspartei als vermutlich kleinste Partnerin in einer Koalition kaum Ideen durchsetzen wird, die eklatant gegen die SPD und den vermutlich weitaus stärkeren Gründen agitieren. Hautnah erlebt man das in Bremen, als die Linkspartei die Schuldenbremse schluckt und es gar als Sieg verkauft, über Umwege eine semistaatliche Finanzierung zu forcieren. Doch solange die Aufarbeitung und wissenschaftliche Herangehensweise an die DDR nicht vom Moloch des Antikommunismus befreit ist, hat die Linkspartei nahezu keine Chance, sich von irgendetwas zu distanzieren. Keine andere Partei in der BRD hat eine solch umfangreiche Aufarbeitung der eigenen Geschichte und daran geknüpfte Distanzierung ermöglicht wie eben jene Linkspartei. Spricht man daher von der SED-Nachfolgepartei, erzählt man durchaus keine Unwahrheiten, doch die Intention dahinter ist freilich eine völlig andere: die völlige Diskreditierung einer demokratischen Partei, die 2007 den „Sozialismus“ endgültig aus ihrem Namen entfernt hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden