Der deutsche Sonderweg

Diskriminierung Die Fälle von Gil Ofarim und Nemi El-Hassan zeigen eindeutig, dass der deutsche Sonderweg der Antisemitismusdefinition selektiv ist und die Judenfeindschaft nur fördert.

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Die Reaktion und Solidarität waren groß und breit, als der Musiker GilOfarim am Dienstag davon berichtete, was im Luxushotel Westin geschah. Von einem Mitarbeiter sei er angesprochen wurde, seinen „Stern“ einzupacken. Gemeint war hier der Davidstern, den Ofarim trug. Auf diesen antisemitischen Vorfall aufmerksam gemacht, zeigte sich besonders der Zentralrat der Juden schockiert. Teile der Mitarbeiter*innen zeigten sich ebenso solidarisch und trugen vor dem Luxushotel ein Banner, auf dem einerseits die Flagge des Staates Israel zusehen war, andererseits der Halbmond, wie er in vielen Flaggen der islamischen Welt vorzufinden ist. Die Gleichsetzung des Judentums mit dem israelischen Staat ist in der BRD keine Verwunderung, hiernach ist auch die Entscheidung, die unter Umständen auch auf Unwissenheit beruhen kann, so zu handeln, verständlich. Dennoch bleibt es problematisch und widersprüchlich, den Kampf gegen den Antisemitismus mit Israel zu vermengen. Was sich hier auftut, ist die Übernahme propagandistischer Methodiken der israelischen Rechte sowie deutscher Philosemit*innen, die in paternalistischer Voreingenommenheit den Antisemitismus nicht an der Wurzel, sondern semantisch begegnen möchten.

Der Staatsraison der BRD geschuldet, die in der unabdingbaren Solidarität mit Israel mündet, ist auch der deutsche Sonderweg der Antisemitismusdefinition zu werten, der einerseits weit über die Begriffsbestimmung hinausgeht, andererseits, wenn es der eigenen Herrschaft zu gefährlich wird, antisemitische Muster duldet und reproduziert. Die bürgerliche und konservative Rechte, doch auch das herrschende Narrativ der sogenannten Antideutschen, die sich immer noch der politischen Linken zurechnen, orientiert primär auf einen vermeintlich importierten Antisemitismus durch mehrheitlich Geflüchteten aus arabischen und afrikanischen Staaten. Dass islamisch sozialisierte Menschen antisemitische Einstellungen haben können, ist nicht wegzudiskutieren. Es als Hauptgrund zu nennen, während der Antisemitismus in der BRD bei der einheimischen Bevölkerung auf Einzelfälle reduziert wird, ist jedoch gefährlich und der Sache nicht tragfähig. Schlechterdings wird gerade die Gleichsetzung des Judentums mit Israel als mehrheitlicher Minimalkonsens verstanden, verschiedene Antisemitismen zu interpretieren, um letztlich auch jüdische Menschen des Antisemitismus zu bezichtigen.

Der israelische Staat wird in seiner Funktion als selbsterklärter „demokratischer und jüdischer Staat“ als Katalysator herangezogen, den Pluralismus des jüdischen Lebens auf eine monokausale Position zu bestimmen, die letztlich eine Meinungsvielfalt, besonders formuliert als Kritik am Staat Israel, vorverurteilt. In der BRD zieht das mittlerweile absurde Züge, wie die faktische Illegalisierung der auch von jüdischen Menschen unterstützte BDS
-Bewegung, der Gleichsetzung mit palästinensisch-arabischem Widerstand mit antisemitischem Terror sowie neuerlich des Skandals um die Ärztin und Moderatorin NemiEl-Hassan. Letztlich war nicht die Teilnahme am Al-Quds-Marsch in Berlin der Grund, El-Hassan abzusetzen. Nach Aussagen des Intendanten Tom Buhrow seien es Sympathiebekundungen mit jüdischen antizionistischen Gruppen gewesen: Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ tritt als offene Kritikerin der israelischen Politik auf und prangert ihre Verbrechen an. Deutlich ist eines: der als antisemitisch zu verstehende, von mehrheitlich islamistischen Gruppen organisierte Al-Quds-Marsch sei nicht das Hauptproblem, sondern die Stellungnahme von jüdischen Menschen zum Staat Israel.

Dass sich hinter dieser Gleichsetzung selbst ein antisemitisches Moment verbirgt, scheint für viele nicht ersichtlich. Israel ist kein monolithischer Block, der das Judentum repräsentiert, sondern ein bürgerlicher Staat, dessen Bevölkerung mehrheitlich jüdisch ist. Durch diese Proklamation, auch bedingt durch die BRD Staatsraison, wird antisemitische Gewalt befeuert, wenn jüdische Menschen außerhalb Israels eben für die Politik Israels verantwortlich gemacht werden. Der Schluss, den Antizionismus mit dem Antisemitismus gleichzusetzen, verschärft die Problematik nur - und ist politologisch auch wenig zielführend. Die Befreiung der Gesellschaft vom Antisemitismus schließt als primäre Entwicklung die strikte Trennung des Judentums vom Zionismus und dem Staat Israel ein, der nicht die Stimme des Judentums ist. Die Forderung, gegen jede Form des Antisemitismus zu sein, darf hiernach nicht grundsätzlich den Zionismus und Israel mit einschließen. Unter diesen Prämissen auch zu schlussfolgern, dass der deutsche Sonderweg der Antisemitismusdefinition, die Israel vor jeder Kritik schützt, schlechterdings den erstarkenden Antisemitismus nur weiter befeuert. Wenn die Nachfahren des faschistischen Deutschlands darüber sinnieren, wer guter und wer schlechter Jude ist, läuft etwas absolut falsch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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