Der Kampf um Prozente

Europawahl Von den 41 zur EU-Wahl antretenden Parteien haben nur wenige eine realistische Chance auf den Einzug. Welchen Kleinparteien wird dies zugetraut und wofür stehen sie?

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Bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019, die nächste Woche in allen EU-Staaten stattfindet, gibt es keine Sperrklausel. Bereits bei der letzten Wahl 2014 gelang in der BRD neben den „großen Parteien“ von den Christdemokrat*innen (CDU/CSU) bis zur Linkspartei den Freien Wählern (FW; 1,5%), der Piratenpartei Deutschland (1,4%), der Tierschutzpartei (1,2%), der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD; 1,0%), der Familien-Partei Deutschlands (0,7%), der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP; 0,6%) und der Partei Die PARTEI (0,6%) der Einzug ins Parlament. Am Sonntag, den 26. Mai findet in der BRD bundesweit die Wahl für die deutschen Abgeordneten statt, bei der de facto jede Partei mindestens 0,6% der Stimmen erreichen muss, um mindestens einen Abgeordneten ins Parlament zu senden. Trotz des Wegfalls der Sperrklausel werden nur ein Bruchteil der 41 Parteien, die zur Wahl zugelassen sind, der Einzug gelingen. Sicher steht auf jeden Fall die Bestätigung der Unionsparteien, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Freien Demokratischen Partei (FDP), Bündnis 90/Die Grünen, der Alternativen für Deutschland (AfD) und der Linkspartei, obgleich ein Großteil an Wählerstimmen einbüßen wird. Doch welche kleineren Parteien haben eine reelle Chance, ebenfalls Abgeordnete zu entsenden? Umfragen und Prognosen ergeben ein etwas eindeutiges Bild, wenngleich etwaige Überraschungsmomente nicht auszuschließen sind.

Von den im derzeitigen Parlament sitzenden Kleinparteien erscheint es möglich, dass sowohl die NPD als auch die Familien-Partei und die ÖDP um den Wiedereinzug bangen muss. Keine der wenigen Institute, die die „Sonstigen“ aufschlüsseln, räumen ihnen eine Chance ein. Die Website dawum.de sieht in ihrem Wahltrend vom 10. Mai die FW, die PARTEI, Piratenpartei und die Tierschutzpartei sicher und knapp im Parlament sitzen. Die FW könnte ihr Ergebnis von 2014 gar um knapp 1% verbessern, so auch die PARTEI mit einem Zugewinn von 0,8%. Wie sieht deren EU-Programm jedoch aus? Die FW als primär kommunalpolitische Vereinigung setzt genau dort ihren Schwerpunkt. Sie möchten eine bürgerliche und unbürokratische EU, die Kompetenzen an die jeweiligen Staaten zurückgibt, um direktdemokratische Vorhaben zu verwirklichen. Neben einem Rückbesinnen auf Regionalismus bleibt die Partei allerdings äußerst abstrakt, bejaht das kapitalistische Wirtschaftssystem sowie eine militärische Aufrüstung „gegen neue Bedrohungslagen wie Terrorismus und Cyber-Krieg“. Die zustimmenden Werte sind womöglich Resultat des Ergebnisses in Bayern, bei der die FW allerdings einen rechtskonservativen Kurs fahren. Die PARTEI hingegen war jüngst in den Schlagzeilen, als sie in ihrem Wahlwerbespot auf das Elend im Mittelmeer hinweist, und die besondere Arbeit der „Sea-Watch“ hervorhebt. Negativ fielen sie bei einer Abstimmung auf, als ihr EU-Abgeordnete und Spitzenkandidat Martin Sonneborn eine „Resolution zum Verbot sogenannter Konversionstherapien“ ablehnte. Der Landesverband in Niedersachsen erklärte das Stimmverhalten mit einem unzureichenden Vorhaben, was jedoch auf Widerstand der queeren Community stieß.

Der satirische Charakter der PARTEI wird einer grundsätzlichen Kritik unterworfen und es steht die Frage im Zentrum, inwieweit dieses Verhalten einen bleibenden und langfristigen Eindruck in der komplexen Welt hinterlassen wird. In diesem Duktus ist auch ihr Wahlprogramm gehalten, bei dem im satirischen Ton beispielsweise „Flugreisen“ verboten werden sollen und Klimawandelleugnung unter Strafen stehen soll. Als dezidiert linksliberale Partei bietet sie keine seriösen Antworten auf den internationalen Rechtsruck und die ökonomische und politische Krise des Kapitalismus, die Rassismus, Chauvinismus und Autoritarismus befördert. Laut „PollofPolls“ wird erstaunlicherweise der NPD eine Prognose von 1% zugesagt, die jedoch anzuzweifeln ist. Ihr Programm unterscheidet sich kaum von anderen rechtsradikalen Parteien. Der erwähnte Chauvinismus und Rassismus findet im NPD-Programm ein Zuhause, so werden traditionsbewusst die „Festung Europas“ unabdingbar verteidigt und bejaht und die sozialpolitischen Versprechungen für die eigenen Nationen -und dort den eigenen Bürger*innen-zugesagt. Neben vulgär-antikapitalistischen Parolen wird besonders eine „Identität“ konstruiert und herbei geschworen, die getarnt hinter „ethnopluralistischen“ Wortgebilden ein rassistisches Europa wünschen.

Zuletzt werden der Piraten- und der Tierschutzpartei 0,9% zugetraut. Die Pirat*innen kamen mit ihrer Abgeordneten Julia Reda im Zuge der Artikel 13-Demonstrationen wieder in den Fokus, konnten sich jedoch nicht weiter profilieren. Reda ist mittlerweile aus der Partei ausgetreten, da ihrem ehemaligen Büroleiter GillesBordelais sexuelle Belästigungen vorgeworfen werden, die nach Reda vom Bundesvorstand der Piraten in gewissem Maße gestützt wurden. Bordelais befindet sich auf Listenplatz 2 zur Wahl. Und obgleich ihm nahezu keine Chancen eingeräumt werden, steht es exemplarisch für den Charakter der Piratenpartei, die sich zum parteipolitischen Arm einer toxischen Internetszene entwickelt hat. Ihr Schwerpunkt liegt selbstverständlich in der notwendigen Digitalisierung und der Internetpolitik, steht jedoch wie der Großteil der Parteien in einem EU-freundlichen Winkel und kommt über den liberalen Mantel nicht hinaus. Ähnlich gelagert ist die Tierschutzpartei, deren Spitzenkandidat von 2014-Stefan Eck-die Partei relativ bald verließ und der linken GUE/NGL-Fraktion beitrat. Ungeachtet des Bruchs kann die Partei genug Wählerstimmen auf sich vereinen, um einen neuen Abgeordneten zu schicken. Schwerpunktmäßig wird eine Politik zum Wohle der Umwelt und des Tierschutzes gefordert, doch auch eine „liberale Asylpolitik“. Statt auf Militarismus wird auf „Diplomatie“ und Abrüstung gesetzt sowie eine Bekämpfung der Ursachen gefordert. Auch hier zeigt sich das übliche „liberale Dilemma“ einer Industrienation. Der eigene Wohlstand-demgemäß auch Sicherheit und „Freiheit“-steht nur selten zur Diskussion, wenn es um wirkliche Veränderung geht.

Was bleibt ist relativ ernüchtern. Die möglichen Kandidat*innen der FW, PARTEI, Piraten- und Tierschutzpartei eint bis auf die FW ein liberales Grundgerüst, das so austauschbar wie beliebig klingt. Klientelpolitik scheint prioritär, doch dass damit eine Grundproblematik der aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem keiner Kritik unterworfen wird, scheint nicht im Fokus. Doch das soll es auch gar nicht. Die Kleinparteien können einen Einfluss in ihren EU-Fraktionen ermöglichen, doch werden gemessen am grundsätzlichen Bereich des realistischen. Will heißen, dass es keinen ausschlaggebenden Unterschied macht, jenen Kleinparteien die Stimme zu geben, denen ein realistischer Einzug prognostiziert wird. Nichtsdestoweniger ist selbstverständlich eine Stimme der erwähnten eine wertvollere als ein Boykott oder eine Stimme für Rechtsradikalen. Gerade die Menge an zu wählenden Parteien zementiert die Beliebigkeit und den Konstruktionsfehler des bürgerlichen Parlamentarismus, der mehr einem Fraktionismus gleichbedeutender Interessen gleicht. Die Frage, ob es sinnvoll ist, mehrere Parteien für liberale Ideen zu haben, wird hier gar nicht gestellt, da es mit demokratischer Partizipation gleichgesetzt wird. Letztlich bleibt jedoch ein fader Beigeschmack, der dem Einheitsgedanken der EU zuwiderläuft und somit teils den bürokratischen Auswuchs selbst zu verschulden hat. Doch Wahlen sind Wahlen sind Wahlen. Sie haben nahezu keinen Einfluss auf die wirklichen Geschicke, nur akzentuierten Zugriff.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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