Der kollektive Einzeltäter

Rechtsterror Der Staat tut es sich schwer, den Rechtsterror ernst zunehmen und entsprechend zu bekämpfen. Wäre Stephan E. ein „Linksextremist“ gewesen, sähe vieles anders aus

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Nach dem Mord an Walter Lübcke dauern die Ermittlungen an
Nach dem Mord an Walter Lübcke dauern die Ermittlungen an

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Der kürzlich vorgestellte „Verfassungsschutzbericht 2018“ offenbart erneut eindrucksvoll das diskrepante Verhältnis zur Realität. Der Rechtsterrorist Stephan E. bekannte sich erst jüngst zur Hinrichtung des asylfreundlichen Politikers Walter Lübcke von der Christlich Demokratischen Union (CDU), die immer weitere Fragen nach sich zieht. So soll es Verbindungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) gegeben haben, wie die Linksfraktion im Hessischen Landtag mit Blick auf den dortigen Untersuchungsausschuss betonte. Geht es allerdings um tief greifende Aufklärung hat der Staat kein ernsthaftes Interesse daran, wie trotz der dargelegten Verbindung zum NSU-Terror zu vermerken war. Die immer wieder kolportierte „Einzeltäter-These“ scheint hierbei ein inflationäres Instrument zu sein, um den strukturellen Terrorismus und Radikalismus von rechts zu benennen und zu analysieren. Die Hinrichtung Lübckes durch Stephan E. war keine Einzeltat, sondern ein Teil des immer stärker an die Öffentlichkeit gehenden Rechtsterrorismus, der seit der Gründung der BRD entweder geleugnet oder bagatellisiert wird. Die neofaschistische Organisation „Combat 18“, welche sich als „bewaffneter Arm“ des „Blood and Honour“-Netzwerkes (B&H) versteht, ist auch in der BRD seit den späten 1990er Jahren aktiv. Obgleich B&H für verboten erklärt wurde, erfährt „Combat 18“ im aktuellen Bericht keine einzige Erwähnung.

Das hat durchaus Tradition. Die systematischen Verknüpfungen des Rechtsradikalismus mit dem bürgerlichen Staat sind keine Verschwörungstheorien von Linksradikalen, sondern gemäß der Funktion des herrschenden Apparats kohärent und unumgänglich. Die V-Mann-Strukturen des Staates sind eng mit der radikalen Rechten verbunden, was mitunter zu grotesken Schutzmechanismen führt, wie etwa der Geheimhaltung von wichtigen Akten zum NSU-Terror. Nicht erst seit dem NSU ist der Staat offenkundiger Akteur im rechten Terrorismus, wenn auch nur als defensive Macht im Mantel des Schutzes vor sich selbst. Auch der faschistische Diktator Adolf Hitler wurde 1919 von der „Nachrichten- und Aufklärungsabteilung“ der Reichswehr als V-Mann eingesetzt, um die des Sozialismus verdächtigte Deutsche Arbeiterpartei (DAP) zu infiltrieren. Festzuhalten bleibt, dass der Aufstieg des deutschen Faschismus im Schulterschluss mit den hohen Vertreter*innen von Industrie und Wirtschaft nicht ohne die defensiv-schützende Hand einer Organisation geschehen konnte, die mehr oder minder zur Verteidigung des Staates vorgab zu agieren.

Den Vergleich zum Hitlerfaschismus muss sich die gegenwärtige politische Klasse gefallen lassen, denn ähnliche Stränge sind seit der Hinrichtung Lübckes nicht zu übersehen. Es handelte sich um einen offen politischen Mord, der Parallelen zu Walther Rathenau aufzeigt, welcher 1922 von der rechtsterroristische Organisation „Organisation Consul“ hingerichtet wurde. Das Ende des Hitlerfaschismus und die Befreiung Auschwitz’ hat mitnichten die rechte und nationalistische Terrorgefahr gebannt. Sie wurde bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung und die Integration der BRD in die westliche Gemeinschaft ruhig gestellt, sediert. Verschwunden aber war sie nicht. Dass sich der Staat seit je her fast schon pathologisch auf eine vermeintliche Gefahr von links versteift ist ebenso Resultat des Umgangs mit Rechtsterrorist*innen wie auch der eigenen Geschichte. Deutschland habe es mit einer „braunen RAF“ (Rote Armee Fraktion) zu tun, titelte die Süddeutsche Zeitung nach dem Mord an Lübcke und zeigte damit eindrucksvoll das diskrepante und gefährliche Verständnis des politischen Terrorismus: Die Annahme eines rechten Terrorismus wird historisch und in wunderbarer Übereinstimmung mit der „Extremismus-Theorie“ mit der Phase des linken Terrorismus durch die RAF begründet und erklärt. Es liest sich wie eine Reaktion und folglich als nicht zu betrachtende lose Entwicklung.

Die Gleichsetzung der RAF mit dem rechten Terrorismus birgt gleich zwei Gefahren. Erstens wird eine umfangreiche Studie und Analyse des Phänomens Terrorismus nahezu verunmöglicht, da starre Parameter abstrahiert eines demokratischen Minimalkonsens angewandt werden. Zweitens negiert sie den Entwicklungsprozess sowie die Realität des existierenden Rechtsterrorismus und verschanzt sich zwischen „Einzeltäter-Thesen“ oder dem Narrativ der völlig vom politisch-historischen Geschehen losgelösten Fälle. Ein eklatanter Unterschied zwischen der RAF und dem immer stärker aufkommenden Rechtsterror sublimiert sich in der Rolle des Staates. Während zur Phase des Linksterrorismus die staatlichen Institutionen nahezu alles darauf konzentrierten, jenen zu zerschlagen und zur Kapitulation zu zwingen, werden Motive und Entwicklungen des Rechtsterrorismus sehr viel differenzierter betrachtet und mit der Rolle der bürgerlichen Staatsorgane abgewägt. Denn obgleich Rechtsterrorist*innen eine Abwicklung des bürgerlichen Staates propagieren und sich mehrheitlich eine Führerdiktatur erhoffen, bleiben besonders ökonomische und strukturelle Verzahnungen mit der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden. Das wird besonders in der Diskurverschiebung nach rechts deutlich, bei der die Regierungskoalition der Deutschtümelei und dem toxischen Nationalismus der Rechtsradikalen bedrohlich entgegenkommen.

Was bleibt ist die bittere, doch nicht minder überraschende Erkenntnis der Deutungshoheit des bürgerlichen Staates über die derzeitige Lage. Wie es die Tradition verlangt, wird die Gefahr von rechts immer mit einem „Linksextremismus“ konterkariert beziehungsweise verrechnet. Dieser Vergleich, das zeigt ein Blick in den VS-Bericht, läuft jedoch völlig aus dem Ruder. Während trotz der Existenz von „Combat 18“ seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht einmal der Hinweis auf die Gruppe gegeben wird, werden die inneren Strukturen Linkspartei wie so oft bis zur kleinsten Sekte heruntergebrochen. Es ist klar, wie die Priorität gesetzt ist. Das Wort „Linksextremismus“ findet sich 121 mal im Bericht wieder, „Rechtsextremismus“ 95 mal. Der Unterschied ist indes auch die Gewichtung der politisch-theoretischen Interpretation der „Extremismen“. Um als „Rechtsextremist“ im Bericht Erwähnung zu finden scheint eine breit angelegte und auch medial verankerte Positionierung essenziell, derweil man jedoch keine Zeit und Mühe scheut, stark isolierte linke Gruppen wie der „Gegenstandpunkt“, dessen Schwerpunkt in theoretischer Bildung und der Interpretation des politischen Geschehens aus marxistischer Sicht besteht, zu beleuchten. Es ist weiterhin sehr ironisch, dass mit Karl Marx und Friedrich Engels, welche beide einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Sozialwissenschaft, der Arbeiter*innenrechte und auch der (politischen) Ökonomie haben, in dem Land ihrer Geburt wie Vaterlandsverräter behandelt werden. Ganz gleich, was man auch in naher Zukunft sagen und versprechen wird: Es besteht kein Interesse daran, den deutschen Rechtsterrorismus bis auf die Wurzel zu analysieren und letztlich zu bekämpfen. Wäre der Mörder Lübckes ein „Linksextremist“ gewesen sähe die Realität gewaltig anders aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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