Der letzte Atemzug

Europawahl Die SPD gibt sich vor den Wahlen wie so oft kämpferisch und links. Abnehmen tut ihr das niemand mehr

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Und ausatmen
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Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hielt am Samstag, den 23. März 2019 ihren „Europa-Konvent“ in Berlin ab. Die Debatten waren geprägt von einem klaren Bekenntnis zur Europäischen Union (EU) (welche mitunter häufig mit Europa verwechselt wurde) und einem semantischen Rückbesinnen auf „linke Werte“. Es ist kein Novum, dass sich die SPD vor entscheidenden Wahlen häufig als „linke“ Partei profiliert. So war es auch vor der Bundestagswahl 2017, obgleich das Verständnis der deutschen Sozialdemokratie mit traditionell linken, sozialen Elementen bloß noch den Namen gemein hat. Die Parteivorsitzende Andrea Nahles war sich dennoch nicht zu schade, das Adjektiv „links“ inflationär in den Mund zu nehmen – als handelte es sich um einen Wettkampf. „Ja, dann sind wir links!“ betonte sie unter tosendem Applaus. Die Frage allerdings, was genau darunter zu verstehen ist, wurde lediglich polemisch verhandelt, ein Hauch Klassenkampf inklusive. Ein nüchterner Blick in das verabschiedete Programm zur EU-Wahl 2019 fördert jedoch schnell zu Tage, dass es nicht um eine wirkliche Linkswende geht, sondern um den Existenzkampf einer schizophrenen sozialdemokratischen Partei, wie sie in Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien schon längst abgewickelt wurden.

Wenn es um linke Politik geht, geht es bei der SPD selten um Veränderungen im eigentlichen Sinn, sondern um einen Kampf um die Begrifflichkeit. Auf dem Konvent wurde dies mehrmals deutlich, als sich Nahles dazu bewegte – durchaus im Zusammenhang mit der Attacke durch den neu gewählten Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban –, „gute Löhne und Renten“ als linke Politik zu verkaufen. Spricht die SPD von einem „Linksschwenk“, meint sie gerade nicht eine Korrektur der eigenen Linie, sondern die Verteidigung des selbst geschaffenen „progressiven Neoliberalismus“ – den sie freilich nicht so nennt. Sie spricht von einem „sozialdemokratischen Grundverständnis“ und versteht darunter einen starken Sozialstaat, der nicht nur den Frieden der Gesellschaft sicherstellen soll, sondern auch den als „soziale Marktwirtschaft“ verbrämten Kapitalismus „human“ gestalten möchte. Gerade diese Staatskonzeption ist der eigentliche radikale Bruch mit traditioneller sozialistischer Politik. Hier wird der Wandel einer einst klassenpolitischen Partei hin zu einer Partei, die die Arbeiter*innenschaft mit dem Kapital versöhnen möchte, deutlich.

„Kommt zusammen und macht Europa stark!“ lautet das Programm zur EU-Wahl und zeigt, wohin es gehen soll. Die SPD versteht sich als „europäische“ Partei und wünscht sich eine geschlossene Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, um langfristig als relevante Macht gegenüber der USA, Russland und der Volksrepublik China auftreten zu können. Pflichtgemäß wird der Neoliberalismus ein bisschen attackiert, obgleich man lediglich mit seinen Extremen im Clinch liegt. So appelliert das Programm weiterhin dazu, Wettbewerb am Leben zu erhalten – für „die besten Innovationen für die Realwirtschaft“. Das Blinken nach links findet sich besonders in den Forderungen nach einer höheren Besteuerung von Unternehmen und EU-weiten Mindestlöhnen wieder, die jedoch nur schwammig ausformuliert werden, „Mindeststandards“ sollen es sein. Diese Formulierung ist alles andere als ungewollt, man will etwaige Koalitionspartner*innen nicht vergrämen.

Das ist die eigentliche Schwäche der real existierenden Sozialdemokratie: vage Forderungen, um im Zweifel „flexibel“ zu bleiben. Karl Marx wäre über diese Dialektik entzückt, würde seine alte politische Heimat jedoch nicht wiedererkennen. Neben bezahlbarem Wohnraum, dem Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und „gerechten Löhnen“ singt die SPD das immer gleiche sozialdemokratische Lied, an das sie sich nicht mehr erinnern will, sobald sie in Regierungsverantwortungen kommt.

Der Fokus auf die EU wird in der Bejahung zur Beibehaltung der Stärke der Einheitswährung zementiert. Die darauf aufbauende Forderung, in Zeiten von Krisen schneller und konsequenter betreffende Mitgliedsstaaten zu unterstützen, klingt bei Betrachtung der realpolitischen Entwicklungen wie in Griechenland beinahe wie eine subtile Drohung, legitimen Widerstand schneller zu unterdrücken. Untermauert wird das besonders mit „europäischen Grundwerten“, die mit der Verteidigung einer „kulturellen Identität“ einher gehen, unreflektiert ist von „Menschenrechten“ und „Demokratien“ die Rede. Der Dank an die USA für die Sicherstellung von 70 Jahren Frieden in Europa wirkt da noch wie eine pflichtbewusste Anbiederung. Wenn „Europa sich weiter für Abrüstung einsetzen“ müsse, gelangt ein weiterer innerer Konflikt der SPD ans Tageslicht, die einerseits im Namen der „Menschenrechte“ mittel- und unmittelbar in Kriegen verwickelt ist, sich andererseits jedoch pazifistisch geben möchte.

Die SPD geht mit einem Programm in den Wahlkampf, das sie als „links“ verstanden wissen möchte. Bei Licht betrachtet ist es jedoch der letzte Hilfeschrei, noch wahrgenommen zu werden. In Worten hat die Linkspartei die Sozialdemokratie längst beerbt, in Taten ist die SPD so austauschbar wie widersprüchlich. Sie versucht, die Rettung für etwas zu sein, was sie selbst durch Kriegsbeteiligungen, Sozialabbau und Beschneidung von Rechten der Arbeiter*innen verursacht hat. Das laute Bekenntnis zu „Europa“ (EU) und der Kampf gegen Rechtspopulismus wirkt hierbei ebenso zynisch und heuchlerisch wie das Bekenntnis zu einer „fairen Asylgesetzgebung“ – niemand solle rechtswidrig abgeschoben werde. Läge ihr tatsächlich etwas daran, hätte sie schon längst Gesicht gezeigt und sich nicht hinter Worthülsen wie „Realpolitik“ und „Koalitionsvertrag“ versteckt.

Wünschen tut man es ihr freilich nicht, doch der Untergang der alten Tante SPD scheint unausweichlich. Alleinstellungsmerkmale sucht man jedenfalls vergebens, und auch die großzügige Auslegungen der eigenen Geschichte wirkt bei nährerer Betrachtung alles andere als hilfreich. „Wir haben den Achtstundentag 1918 eingeführt. Zum Schutz der Beschäftigten werden wir ihn heute verteidigen“, schreibt die Partei im Programm, unterschlägt jedoch geflissentlich, dass diese Einführung ein Kompromissresultat gegenüber den damaligen kämpferischen Gewerkschaften war, nachdem weitere Forderungen der Arbeiter*innen im Zuge der Novemberrevolution teils blutig niedergeschlagen wurden. Möchte die SPD als linke Partei wahrgenommen werden, muss sie zurück zu ihren Wurzel. Und wenn sie sie auch noch nicht gänzlich vergessen haben mag, so ist sie doch nicht sonderlich geschichtssicher. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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