Der Staat gegen die Linke

Kriminalisierung Horst Seehofer fordert ein Verbot der Roten Hilfe – und versucht so, legitimen linken Aktivismus zu diffamieren und zu unterbinden

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Der Staat gegen die Linke

Bild: Rote Hilfe e.V.

Die Rote Hilfe e.V. (RH) ist eine Organisation, die im linken Spektrum Aktivist*innen juristisch unterstützt, welche in Konflikt mit dem deutschen Rechtsstaat kommen. Ihr Augenmerk liegt auf der Unterstützung für politisch Gefangene, und sie bekennt sich zu einer antifaschistischen Gesellschaft. Sie erkennt ihre Arbeit als parteiunabhängiges Solidaritätsnetzwerk, das jedem politisch aktiven Menschen Schutz gewehrt, der nicht dem Selbstverständnis entgegenwirkt. Im Sinne der RH definiert sie den Schutz für politisch aktive Menschen, die aufgrund eines „antifaschistischen, antisexistischen [oder] antirassistischen“ Grundes vom Rechtsstaat angegriffen werden. Ferner unterstützt die RH den Kampf für gewerkschaftliche und demokratische Rechte, gegen den Militarismus und setzt sich auch für eine Entkriminalisierung der kurdischen Bewegung ein. Dazu gehört die Streichung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als „terroristische Vereinigung“ und der Kampf für Genoss*innen von türkisch-kurdischen Parteien und Organisationen, die gegen die Regierung Erdoğan agitieren. Neben „einfachen Mitgliedern“ finden sich viele Abgeordnete der Linken wie Ulla Jelpke, Katja Kipping und Sevim Dağdelen in der RH wieder, sowie die ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend Sina Doughan. Die Hilfsorganisation der politischen Linke war der herrschenden Klasse seit jeher ein Dorn im Auge. Nun fordert der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deren Kriminalisierung.

Der sogenannte Verfassungsschutz listet in seinem Bericht 2017 die RH als „linksextremistische Organisation“, die „die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren“ versucht. Vorträge über „staatliche Repression“ werden ihr darüber hinaus negativ angelastet, und man wirft ihr mangelnde Zusammenarbeit vor. Bereits die Vorgängerorganisation der RH unter dem Namen Rote Hilfe Deutschlands (RHD), die von 1924 bis 1936 existierte, wurde in der Weimarer Republik als demokratiefeindliche Vereinigung betrachtet. Sie stand der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) nahe und vertrat die Rechte der Arbeiter*innen und politischen Aktivist*innen, hauptsächlich im Umfeld des Roten Frontkämpferbundes, ehe sie 1933 von den Faschist*innen verboten und letztlich 1936 zerschlagen wurde. Das Verhalten Seehofers im Jahre 2018 steht in kontinuierlicher Tradition der herrschenden Klasse der schleichenden Zerschlagung des linken Widerstands. Bereits unter dem ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) wurde das Internet-Portal linksunten.indymedia verboten, die Rote Flora in Hamburg und die Rigaer Straße 94 in Berlin stehen unter permanenter staatlicher Repression. Die Schlussfolgerung ist daher nicht ganz unerwartet, wobei die Intensität überrascht. Auch hat die plötzlich neue Politik der Deutschen Post AG einen bitteren Beigeschmack, die die linke Tageszeitung junge Welt (jW) mit einem faktischen Aufschlag von 28,5% Porto-Kosten angreift. Der gesellschaftliche Rechtsruck sieht in der Linken einen traditionellen Feind, der erfahrungsmäß mit den Mitteln des Staates begegnet wird.

Der Angriff auf die RH ist ein genereller Angriff auf die unabhängige Juristerei. Während es den Herrschenden des Staates kaum ein Achselzucken wert ist, wenn Faschist*innen und Neonazis von Anwält*innen der politischen Rechte vertreten werden, wird die linke Solidarität untereinander als direkten Angriff auf den Staat gewertet. Das Selbstverständnis der RH, nur jene Aktivist*innen zu unterstützen, die nicht willentlich und unpolitisch motivierte Straftaten begingen, wird geflissentlich ignoriert. Der pauschale Vorwurf der grundsätzlichen Unterstützung von nicht näher benannten „Straftäter*innen“ gehört zum Instrument des Bundesinnenministeriums. Untermauert wird dieser forcierte Klassenkampf auch von der politischen Stärke der Alternative für Deutschland (AfD), die beispielsweise im Land Sachsen-Anhalt eine Enquete-Kommission zur „Untersuchung von Linksextremismus in Sachsen-Anhalt“ ins Leben riefen. Auch mit Unterstützung der Landtagsfraktion der Christlich Demokratischen Union (CDU). Die aufbauende Kriminalisierung linken Widerstands und Politisierung entwickelt sich zu einem innenpolitischen Kampf. Die Solidaritätskundschaften in Folge der Verbotsforderung der RH sind jedoch ein Zeichen der Nichtakzeptanz des demokratischen Selbstverständnisses der Regierung. Der Angriff gegen die RH ist ein direkter Angriff auf die Einheit der politischen Linken als solche.

Mit etwa 9.000 Mitgliedern stellt die Organisation ein wichtiges und unabdingbares Netzwerk da. In ihrem Wirken ist sie dabei hochpolitisch – und wirkt auch dahingehend als „Problem“ der Bundesregierung. Wenn immer der sogenannte Rechtsstaat ein politisches Verfahren eröffnet oder ankündigt, ist es im eigenen Interesse, diesen zu entpolitisieren. De facto allerdings sind politische Gerichtsurteile kein Novum in der Geschichte der BRD und widerspiegeln dahingehend immer das Rechtsverständnis der Herrschenden. Dieses Faktum greift die RH auf und stellt sich bewusst in die Tradition der sozialistischen Bewegung, um als Akteurin eines gesellschaftlichen Wandels aufzutreten. Die radikale Politisierung des Rechtsstaats ließ sich auch in den etlichen Verfahren aufgrund des G20-Gipfels in Hamburg erleben, in der es zu regelrechten Abstrusitäten kam, wie der Anklage und folgenden Hausdurchsuchung eines Studenten, der zur „Tatzeit“ in Japan war. Dieses Unmachtspiel wird konterkariert durch das Gewaltmonopol der Polizei. Es muss bewusst gemacht werden, dass die orchestrierte Verletzung des demokratischen Minimalkonsens durch die herrschende Klasse autoritären Kräften leichtes Spiel macht, da de facto im Schulterschluss ein gemeinsamer politischer Feind bekämpft wird. Das Versteckspiel hinter der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ wirkt dabei höhnisch, die beliebig frei und unwidersprochen ausgelegt werden kann.

Die Existenz der RH ist ein unverzichtbares Instrument der politischen Linken und der Demokratie an sich. Ulla Jelpke bilanzierte, dass „[d]as Verbot dieses linken Solidaritätsvereins ... ein rein politisch kalkuliertes Manöver“ wäre, „das denn Widerstand gegen Rechtsentwicklung und Demokratieabbau schwächen würde.“ Mit dem Hintergrund der drei Kandidat*innen für den Vorsitz der CDU – und hernach potentieller Bundeskanzler*innen – ist von einem weiteren Rechtsruck auszugehen, der die politische Linke weiter in die Defensive zwingen wird. Der Angriff auf die RH, die Rote Flora, Rigaer 94 und weitere linke Organisationen, Zentren und Gruppen ist eine gezielte Kriegserklärung, die mit unfairen Mitteln begangen wird. Der Antifaschismus ist zum Staatsfeind verkommen, derweil der politische und gesellschaftliche Rechtsruck voranschreitet. Sollte das Verbot Wirklichkeit und die Rote Hilfe kriminalisiert werden, ist dies nicht nur ein empfindlicher Schlag gegen die Linke, sondern das Begräbnis des demokratischen Selbstverständnisses. Die BRD als selbsternannte Wahrerin der Demokratie manövriert sich in deren Autokratisierung und läuft Gefahr, die Geschichte nicht als Farce zu wiederholen, sondern als Barbarisierung. Der Staat befindet sich an einem Wendepunkt, in dem er sich die Frage stellen muss, wessen Geistes Kind er sein möchte. Der politischen Linken als kritisches Korrektiv ist die Offensive auferlegt, um nicht nur die Kriminalisierung des eigenen Netzwerkes zu verhindern, sondern die Gesellschaft grundsätzlich zu ändern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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