Der Thälmann-Kult

Niemals gefallen Als Schüler und Verteidiger des Stalinismus muss das Wirken Ernst Thälmanns - auch zum 75. Jahrestag seiner Ermordung durch Faschist*innen - kritisch betrachtet werden.

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Der 75. Todestag Ernst Thälmanns wurde in den letzten Tagen mehrmals debattiert. Grund hierfür war die Gedenkveranstaltung der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), die von der „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“ anfänglich verhindert wurde. Begründet wurde es mit Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen mit der Möglichkeit einer parteipolitischen Vereinnahmung des Gedenkens sowie einer verzerrten Aufarbeitung beziehungsweise Erinnerung an Thälmann und sein Wirken. Verschiedene linke Politiker*innen und Organisationen sahen darin den Versuch, den Kommunismus weiter zu degradieren als auch die „Totalitarismus-Theorie“ zu bemühen, was besonders Ulla Jelpke von der Linkspartei hervorhob. Mit den Worten „Thälmann ist Antifa!“ erklärt sie mit hervor geschobener Distanz zur MLPD Thälmann als „Gründer der Antifa“ und betreibt dabei nicht weniger als die antikommunistischen Apologet*innen eine Verzerrung der Geschichte des Antifaschismus. Die Person Ernst Thälmann als eine auf direktem Befehl Adolf Hitlers Hingerichtete scheint zentral im kollektiven Bewusstsein der radikalen Linken zu sein. Dabei wird schlechterdings eine subkutan stalinistische Ideologie transportiert und rezipiert, die im Kern mit einer sozialistischen Gesellschaft wenig gemein hat.

Ernst Thälmann betrieb in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) eine agitatorische Rolle und war Befürworter der Vereinigung von (linken) Sozialist*innen und Kommunist*innen Anfang der 1920er Jahren. Nach dem Tod Wladimir Lenins entbrannte in der Kommunistischen Partei Russlands ein Streit um dessen Nachfolge, der sich als grundsätzlicher Konflikt mit dem Bolschewismus als Richtung entwickelte. Der Widerspruch zwischen Josef Stalin und Leo Trotzki erreichte auch die KPD, die unter Führung Thälmanns 1923 den schlecht organisierten und koordinierten Hamburger Aufstand als vermeintliche Weiterführung der Novemberrevolution vollzog und scheiterte. Ein Jahr später wurde er Parteivorsitzender und entwickelte sich relativ schnell zum Schüler und Verteidiger Stalins und dessen nationalistische und vulgaristische Auslegung des Marxismus. Das beinhaltete nicht nur die grundsätzliche Absage jeder Kritik am Parteikonzept Lenins, sondern hatte auch die bürokratische Degeneration zur Folge, die Thälmann maßgeblich mittrug. Leo Schwarz bezeichnete das in der jungen Welt beispielsweise als Überwindung „quälender Fraktionskämpfe“, was nicht weniger bedeutet als die Befürwortung der Zerschlagung der innerparteilichen Demokratie, der genuin leninistischen Freiheit der Debatte. Parallel zur sowjetischen Schwesterpartei entwickelte sich hiernach auch in der Weimarer Republik eine linke Opposition zur Kommunistischen Partei, die sich größtenteils um Leo Trotzki und seine Anhänger*innen scharrte.

Als energischer Verteidiger der „Sozialfaschismusthese“ wirkt Thälmanns Aufruf 1932 zur antifaschistischen Einheit auch deshalb problematisch, weil im sowjetischen Duktus bereits eine diametrale Entwicklung dieser Taktik verabschiedet wurde. Die Stalinisierung der kommunistischen Weltbewegung schlug sich in der KPD unter Thälmann radikal nieder. Das bedeutete auch die Verfolgung der kommunistischen Opposition, die tief greifend eine faktische Umschreibung der jungen Geschichte der Russischen Revolution innehatte als auch die Restauration beziehungsweise Negation des orthodoxen Marxismus. Ernst Thälmann als Stalinist hatte trotz seines Kampfes gegen die deutschen Faschist*innen und sein bis zum Tod disziplinierten Glaube an eine bessere Welt als Nicht-Theoretiker ein grundsätzliches Problem der Legitimation, besonders in der heutigen Zeit. Es ist ebenso Teil der Aufarbeitung und Geschichte, dass revolutionäre Kommunist*innen in der eigenen Bewegung und Organisation verfolgt wurden, die sich gegen die Politik Stalins richtete. Die Entwicklung eines regelrechten Kults um Thälmann als Märtyrer der Faschist*innen führte den stalinistischen Kurs sowohl im Osten als auch Westen Deutschlands fort. Während in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Kritiker*innen des Stalinismus auch im Namen Ernst Thälmanns verfolgt wurden, beriefen und berufen sich in der BRD – wie die MLPD – besonders stalinistische und maoistische Organisationen auf Thälmann als vermeintliche Führungspolitiker der KPD.

Ob es moralisch verwerflich ist, Thälmann einer Kritik an seinem Todestag zu unterziehen, ist nicht Kern der Debatte. Er ist besonders in Deutschland eine zentrale Figur der Geschichte der (deutschen) Arbeiter*innenbewegung und ihrer Degeneration, die wie eine nicht zu kritisierende Persönlichkeit gehandhabt wird. Als „Gründer der Antifa“ gilt er dahingehend nur formal, als er eine „Antifaschistische Aktion“ 1932 ausrief. Diese baute jedoch selbst auf den bereits in linken Kreisen aus Italien entwickelten Antifaschismus. Gewissermaßen rezipiert Jelpke dadurch den Vorwurf der herrschenden Klasse einer Organisation der Antifa, die es so nicht gibt. Es handelt sich um die Aufarbeitung Thälmanns primär um eine innerkommunistische Angelegenheit, die jedoch nach außen kommuniziert werden muss, um dem Antikommunismus im Keim zu ersticken. Ernst Thälmann ist ein Opfer des Faschismus, was ihn jedoch nicht zu einem fehlerfreien Menschen und Politiker macht, der in seiner Entwicklung wie so viele in der Zeit der Festigung des Stalinismus aus opportunistischen oder fest überzeugten Gründen den Kurs mittrug. Eine Freisprechung von der Geschichte wird ihm trotz des Gedenkens nicht gewährt, im historischen Kontext hätte sich auch bei einem Überleben Thälmanns nichts Grundsätzliches geändert in der Nachkriegszeit. Wäre er jedoch selbst zu einem Kritiker der Degeneration unter Stalin geworden, würden weder Ulla Jelpke noch die MLPD von ihm zu berichten wissen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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