Der Wunsch nach Unfreiheit

Debatte Immer häufiger hört man, die Meinungsfreiheit stehe unter Beschuss. Dabei wird so viel gemeint wie nie zuvor

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Vor allem Golfspieler scheinen immer wieder mit den Medien aneinander zu geraten
Vor allem Golfspieler scheinen immer wieder mit den Medien aneinander zu geraten

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Es steht wahrlich schlecht um die Meinungsfreiheit in der BRD. Wer nicht „Refugees welcome“ oder „Wir sind bunt“ skandiert, bekäme verbal sofort eins auf die „Fresse“. Gesellschafts- oder regierungskritische Kommentare seien grundsätzlich unerwünscht. Man dürfe heutzutage gar nichts mehr sagen, um nicht sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Insgeheim habe eine „extrem linke Blase“ die Deutungshoheit darüber, was politisch korrekt sei. Liest und hört man solche Aussagen, man sollte fast meinen, es herrsche eine Diktatur. Doch genau das wird auch transportiert. Von einer „Meinungs-“ und „Gesinnungsdiktatur“ wird gesprochen. Der Wert der Aussage sei gemessen an herrschenden Begebenheiten, in dem Fall von einer herbeifaulierten Mehrheit. Und das ist es auch: fabuliert. Stefan Kretzschmar, ehemaliger Handballspieler, gab T-Online und dem WDR ein Interview, in dem er erwähntes ankreidet. Niemand traue sich mehr, den Mund aufzumachen. Solch eine Aussage wirkt wie ein Befreiungsschlag einer inszeniert unterdrückten Mehrheit, die speziell in den Kommentarspalten und Tweets einen Diskurs einschlägt, die jedoch anders als von sich behauptet keine Meinungsfreiheit einfordert, sondern den Pluralismus abschaffen möchte. Dabei werden mehrere Widersprüchlichkeiten vermengt, bei der teilweise auch die gelebte Debatte instrumentalisiert wird, um eine unterdrückte Rolle zu formieren, will heißen: die postulierte Opferrolle entsteht aus dem vorhandenen Meinungspluralismus.

Was ist an solch Aussagen in der Realität dran? Sprache als linguistisch-politisches Instrument ist gemäß seinem Wesen kein starres Moment, sondern den gesellschaftlichen Entwicklungen konsequent unterworfen. Die radikale Rechte – nicht nur in der BRD, sondern ebenso in weiteren Staaten Europas und Nordamerikas – hat es sich schon längst zur Aufgabe gemacht, für ihren politischen Kampf zur gesellschaftlichen Hegemonie den italienischen Marxisten Antonio Gramsci für sich zu vereinnahmen. Davon abgeleitet streben sie einen kulturellen Anspruch auf die Deutungshoheit, in dem sie die Debattenkultur anders als propagiert nicht von Zwängen befreien wollen, sondern jene erst verankert wissen möchte. Ironischerweise hat gerade das Versagen des Liberalismus den Weg für einen faktischen Marsch durch die Institutionen ermöglicht, bei dem sich das zuvorderst in Zirkeln und politischen Blasen entwickelte Denken frei jeglicher Zensur verbreiten konnte. Daran geknüpft bedingt durch die Freiheit des Wortes wird eine Unfreiheit propagiert, wenn die ureigenste Meinung einen Widerspruch erfährt. Der Trick hierbei ist nun, den legitimen Widerspruch als autoritäre Zensur zu verkaufen, um sich einer genehmen Opferrolle zu bedienen. Darüber hinaus ist es – anders als Kretzschmar verstehen möchte – mitnichten so, dass eine internationalistische und flüchtlingsfreundliche Politik im Sinne der Herrschenden ist. Dieser bewusste Widerspruch der Politik wird von der radikalen Rechten benutzt, um realpolitisches Handeln und theoretisches Denken gegeneinander auszuspielen.

Der Glaube an eine Unfreiheit des Wortes hat schon längst den Rahmen der Rechten verlassen. Immer häufiger finden sich auch konservative und liberale Stimmen, die, wenn nicht gleich von einer „Meinungsdiktatur“ sprechen wollen, doch eine Gefahr hin zu solch einer sehen. Zentral hierbei ist die stark umstrittene „Extremismus-Theorie“, die in den letzten Jahren allerdings eine einseitige Wertung bekommen hat. Linke Ideale und Theorien stehen absolut unbegründet im Verdacht, die Demokratie der BRD zu unterwandern, derweil die Parteienlandschaft selbst einen graduellen Rechtsruck erfährt. Die Präsenz linken Widerstands gegen rassistische und nationalistische Politik wird hierbei als struktureller Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet, wobei dort selbst diese Freiheit in Anspruch genommen wird. Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire, Kritik an der Politik der Rechten als direkten Angriff auf eine Meinungsfreiheit zu definieren, während selbst nicht davor Halt gemacht wird, den Terror des Faschismus zu instrumentalisieren. Die Verkürzung darauf, eine Meinungszensur wäre nationalsozialistisch, ist nicht nur historisch falsch, sondern auch politisch ziemlich absurd. Dass sich die radikale Rechte dabei selbst in einem ständigen Widerspruch befindet, wenn sie beispielsweise Holocaustleugner*innen verteidigt, tut dem Phänomen keinen Abbruch, sondern ergänzt ihn wunderbar.

Wenn es um die Frage geht, was Meinungsfreiheit ist, steht zentral gegeben, was Meinungsfreiheit nicht ist. Formal ist die Freiheit der Gedanken absolut und unantastbar, anders verläuft es, wenn diese geäußert werden. Strafrechtliche Normen bieten den Rahmen für eine politische Diskussion und Debatte, die bei Übertritt jedoch nicht – wie in einer Diktatur üblich – mit Folter oder Mord beantwortet wird. Die gemeinte Diktatur steht symbolhaft in den Augen der Rechten für eine Steuerung des gesellschaftlichen Diskurs, was in der BRD allerdings nicht stattfindet. Um Kretzschmars unbegründete Sorge aufzugreifen: Wäre „Refugees welcome“ die Politik der Herrschenden, warum gibt es dann Abschiebeflüge in Kriegsgebiete, Lagerzentren für Geflüchtete, unterlassene Hilfeleistungen bei den Toten im Mittelmeer und Kriegslieferungen nach Saudi-Arabien und Türkei, die maßgeblich daran beteiligt sind, dass Menschen fliehen?

Die Meinungsfreiheit, die oft gewünscht und gefordert zu werden scheint, ist häufig kritikloser Rassismus und Nationalismus. So wird sich darüber echauffiert, dass kolonialistische Sprache gesellschaftlich geahndet wird, was nicht weniger als die Psyche des Deutschen beschreibt. Ali Utlu lebt in ständiger Angst, als „Rechter“ abgestempelt zu werden, und sieht hierbei nicht die Gefahr der kontinuierlichen Sprachverrohung. Ausschlaggebend war die Frage, ob man mit Wähler*innen der Alternativen für Deutschland (AfD) reden sollte. Ist es ein Merkmal der Meinungsfreiheit, mit allen reden zu müssen, denen man politisch entgegensteht? Definiert sich die Meinungsfreiheit als Verpflichtung, sich jede Meinungsverschiedenheit anzuhören? Nein, natürlich nicht. Meinungsfreiheit heißt auch, mir nicht jede Meinung anhören zu müssen. Sascha Lobo hat es etwas plakativ als Menschenrecht bezeichnet, Meinung zu selektieren. Und genau das ist das genuine Wesen dessen. Eine Gesellschaft geht daran nicht zu Grunde, wenn Meinung nicht in allen Kanälen gehört wird. Doch sie geht zugrunde, wenn sie diese nicht zulässt. Doch ist das hier der Fall? Die Leser*innenkommentare, Beiträge in Parlamenten, Tweets und Blogs sind übervoll an Meinungen und Äußerungen, die gegen die Herrschenden gerichtet sind, die gegen den Antirassismus agieren, die gegen das Menschenrecht anschrei(b)en. Das unkommentiert stehen zu lassen, wäre ein Armutszeugnis einer pluralistischen Gesellschaft. Doch hier macht sich das eigentliche Dilemma auf: Wird der Meinung widersprochen, herrscht Diktatur. Wird sie ignoriert, ebenso. Was die Schreier*innen von „Meinungsdiktatur“ im Kern eigentlich fordern ist relativ simpel: Nur die ihre Aussage behält Geltung und recht, und wer dem nicht zustimmt ist: ein Nazi.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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