Deutschlands Hang zur Diktatur

Venezuela Deutschland anerkennt Juan Guadió und setzt seine traditionelle Lateinamerika-Politik fort. Wenn es der Wirtschaft genehm, werden auch Diktaturen unterstützt.

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Am 23. Januar 1958 wurde der venezolanische Diktatur Marcos Pérez Jiménez gestürzt. 60 Jahre später wird sich ein einfaches Mitglied der Nationalversammlung unrechtmäßig zum „Übergangspräsidenten“ der nunmehr Bolivarischen Republik ernennen. Juan Guaidó hat sich zuerst in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ zum „Übergangspräsidenten“ ernannt und auf Grundlage der Verfassung Venezuelas die Wahl Maduros vom 28. Mai 2018 für nichtig erklärt. Sowohl der Nationale Gerichtshof Venezuelas als auch die Mehrheit der Weltgemeinschaft hält die Entscheidung Guaidós für null und nichtig und bezeichnet sie folgerichtig als Putsch. Dennoch wurde der Stein ins Rollen gebracht und binnen weniger Stunden folgten die ersten Solidaritätsbekundungen und Anerkennungen seitens der westlichen Welt und rechter lateinamerikanischer Regierungen. Die Vermutung, hinter dem Putsch verstecke sich das imperialistische Streben der USA, ist alles andere als aus der Luft gerissen, wenn die Geschichte Lateinamerikas im 20. Jahrhundert betrachtet wird. Bestätigt wird das unter anderem von Diego Sequera, Journalist aus Venezuela, der unterstreicht, dass Guaidó besonders in Kreisen der „Elite-Zirkeln und Ivy-League-Universitäten in Washington“ angesehen ist. Die Rolle, die ihm aufgetragen wurde, ist die Repräsentation einer vermeintlich demokratischen Opposition, um militärische Interventionen und den Sturz der legitimen Regierung zu unterstreichen. Es war dahingehend nur die Frage einer (kurzen) Zeit, bis auch die EU und die BRD sich in die Politik einmischen. Am 4. Februar 2019 anerkannte die Bundesregierung Juan Guaidó als Präsidenten der Bolivarischen Republik.

„Die Frist für Nicolás Maduro ist abgelaufen“, sagt der Außenminister Heiko Maas (SPD) in einer Presseerklärung und reiht sich ein in die unrühmliche Geschichte der deutschen Lateinamerikapolitik. Wie die rechte Opposition beruft sich auch Maas auf die venezolanische Verfassung und fordert „demokratische Wahlen“, um „Normalität“ zu garantieren. „Normalität“ in diesem Sinne beschreibt kaum eine gesellschaftliche Demokratisierung Venezuelas. Die politische Konfrontation ist hierbei ebenso ein Relikt aus dem sogenannten Kalten Krieg und eng verknüpft mit wirtschaftlichen Interessen. Dass die deutsche Wirtschaft sich nicht für einen demokratischen Minimalkonsens interessiert, beweist sie nicht nur in Staaten wie in der Türkei und Saudi-Arabien. Lateinamerika, der stets als „Hinterhof der USA“ bezeichnet wurde - und auch bis heute so behandelt wird -, erlebte im 20. Jahrhundert mehrere militärdiktatorische Phasen, bei der besonders die deutsche Wirtschaft stark profitierte. Als am 11. September 1973 der Sozialist Salvador Allende von Augusto Pinochet in den Suizid getrieben und bis 1984 eine brutale Militärdiktatur errichtet wurde, hielt sich die BRD zurück. „Politisch war die Botschaft über den Putsch erleichternd“, schreibt Friedrich Heller in seiner Biografie über Pinochet und erklärt die besonders antikommunistische Haltung beider Staaten für ausschlaggebend. Der 1976 eingesetzte Deutsche Botschafter in Santiago Erich Strätling vertrat die Politik des Diktators. Trotz des Drucks auf die Bundesregierung, Kritik an Pinochet zu üben, hielt sie sich bedeckt und konterkarierte verbale Noten mit Beschwichtigungen, es nicht so gemeint zu haben. „Die Menschenrechte waren kein durchgängiger Parameter der bundesdeutschen Außenpolitik“, beschreibt Heller die durchweg defensive Haltung der BRD.

Bei ihrer Rolle während der Diktatur Paraguays wurde ein ähnlicher Weg eingeschlagen. Am 6. Mai 1954 erfolgte der militärische Putsch durch Alfredo Stroessner, der von Aldo Zuccolillo als „sehr deutsch, germanisch, hart“ beschrieben wurde. Zuccolillo gründete während Stroessners Diktatur die oppositionelle Zeitung ABC Color. Die Spendenaffäre der Christlich Demokratischen Union (CDU) bon 2000 offenbarte Verbindungen zur paraguayischen Regierung und dessen Wirtschaft. 1981 wurde mit Sitz in Stuttgart ein „El Instituto“ unter dem sperrigen Namen „Institut für deutsch-paraguayische Beziehungen zur Wirtschafts- und Kulturförderung GmbH“ von Heinz Aigner, einem Rechtsanwalt, gegründet. Aufgabe war die Verbesserung wirtschaftlicher Beziehungen. Trotz der Bezeichnung als „private Einrichtung“ gab es Verbindungen zu Mitgliedern der Christdemokrat*innen, so unter anderem dem damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Hans Filbinger. Dieser sei mit Aigner in „Geldwäsche-Aktionen“ in Paraguay verwickelt gewesen. Anteilseigner*innen an dem Institut privatisierten auch staatliche Grundstücke Paraguays. Der damalige Staatsminister des Auswärtigen Amtes Jürgen Möllemann (FDP) war auch der Ansicht, dass die Diktatur unter Alfredo Stroessner „bei weitem nicht so katastrophal“ gewesen sei und war der Ansicht, durchaus mit „Demokratie“ werben zu können.

Ein Blick ins 21. Jahrhundert lässt die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu militärischen und rechten Regierung in Lateinamerika nicht historisieren. Die Wahl des Faschisten Jair Bolsonaro wurde besonders von der deutschen Wirtschaft euphorisch begleitet, mitunter wurde alles andere als negativ konnotiert vom „Trump der Tropen“ gesprochen. Mit Hinblick auf die Abwicklung von demokratischen Errungenschaften und der Jagd auf Antifaschist*innen, queeren Menschen, Frauen* und Intellektueller bleibt die BRD jedoch ihrer Tradition verpflichtend ruhig. Denn schon in der damaligen Diktatur profitierte die deutsche Wirtschaft. Venezuela und Nicolás Maduro indes haben nun den folgenschweren Fehler begangen, die Wirtschaft teils zu verstaatlichen und die eurozentrische als auch westliche Politik zu kontern. Die Sozialpolitik, die bereits unter Hugo Chávez eingeführt wurde, spielte nicht nur gegen die Regeln des internationalen Kapitals. Auch die Anbindung an Russland, die Volksrepublik China oder den Iran hat die internationale Wirtschaft den Venezolaner*innen niemals verziehen. Der für antiimperialistische Kommentare unverdächtige Deutschlandfunk ließ Sebastian Engelbrecht sagen: „Es ist ein Rückfall in kolonialistische Zeiten.“ Heiko Maas und die Bundesregierung haben nicht nur die Verfassung Venezuelas missverstanden wie André Scheer und Modaira Rubio erläutern, sie verletzen auch das Völkerrecht und die Souveränität der Bolivarischen Republik. Die Floskel, man müsse Maduro nicht mögen, um die Einmischung abzulehnen, ist dabei jedoch nicht hilfreich. Die westliche Demokratie ist extrem dehnbar und richtet sich grundsätzlich nach den wirtschaftlichen Interessen. Die BRD und die Bundesregierung nehmen nach ihrer Kumpanei mit rechtsradikalen Militärs in Paraguay und Chile sowie dem neuerlichen Schweigen in Brasilien die arrogante Stellung ein, erneut an Seite der USA die „Demokratie“ zu verteidigen. Nur waren die stetigen Versuche, unliebsame Regierungen zu stürzen, ein Rollback in finstere Zeiten.

Hände weg von Venezuela.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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