Die Ära des Merkelismus

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird 2021 der Politik den Rücken kehren. Nach 16 Jahren Regierungszeit. Doch sie war keine traditionelle Politikerin, sondern Botin der Modernisierung

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Widersprüche durchzogen ihre Kanzlerschaft
Widersprüche durchzogen ihre Kanzlerschaft

Foto: Zick,Jochen-Pool/Getty Images

Ich habe das sichere Gefühl, dass es an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen.“ Nach den schlechten Ergebnissen der Christlich Demokratischen Union (CDU) bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen formulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Worte. Dies wird ihre letzte Legislaturperiode sein, nach 2021 wolle sie der Politik den Rücken kehren. Merkel ist seit 2000 Parteivorsitzende der CDU und seit 2005 Bundeskanzlerin der BRD. In ihrer Rede benannte sie, dass sie bei dem Bundesparteitag im Dezember nicht mehr für den Parteivorsitz kandidiere. Ein Bruch, war doch der Parteivorsitz traditionell mit der Bundeskanzlerin vereint. Unter der Zeit Merkels vollzog die CDU mehrere – teils widersprüchliche – Wandel. Unter ihrer Führung wurde der deutsche Konservativismus stetig reformiert, wodurch auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) unter Druck geriet, da sie es schaffte, sozialdemokratische Politik für ihre Agenda zu vereinnahmen. Die CDU als überkonfessionelle Partei vertrat bis zur Wahl Merkels ein rechtes Klientel, wodurch keine historisch relevante neue rechte Partei entstehen konnte. Die Modernisierung der Union machte aus der Volkspartei dann letztlich das, was sie stets vorgab zu sein: eine Volkspartei.

Als Angela Merkel 2005 als erste Frau Bundeskanzlerin wurde, stand die Union bereits im Begriff einer Umstrukturierung. Die Spendenaffäre unter Helmut Kohl versetzte die Partei in eine Krise, derer sich Merkel bedienen konnte, um einen neuen politischen Stil zu präsentieren. Bis zum Jahre 2015 – sprich ein volles Jahrzehnt – erschien die Bundeskanzlerin als pragmatische, eklektische, doch ruhige und nüchterne Politikerin. Das Schicksal, das sie ereilte, war nicht hausgemacht, sondern Resultat globaler Entscheidungen und Richtungswechsel. Unter ihrer Kanzlerschaft erfolgte die Finanzkrise 2007/2008, die sie als Vertreterin des Kapitals nüchtern beantwortete. Die CDU erschien stets als Verwalterin des Status Quo, und hernach auch von zu starken Akzentuierungen ausgeschlossen. Der Traditionalismus des deutschen Konservativismus konnte weitere Jahre walten. Doch ab 2011 vollzog sich ein schleichender, doch kontinuierlicher Wandel, der als Produkt der Politik Merkels auftrat.

Im Frühjahr 2011 vollzog sie eine radikale Kehrtwende nach der Katastrophe in Fukushima und forderte den Ausstieg aus der atomaren Energie. Diese Entwicklung kann als erster Kristallisationsmoment gesehen werden, in dem eine primär innerparteiliche Regung stattfand. Die dezente Konfrontation mit dem konservativen Erbe wurde durch die Abschaffung der Wehrpflicht untermauert. Diese Entscheidungen waren eine Erscheinung der gesellschaftlichen Modernisierung, doch stand dies konträt zum originären Klientel der Union. Die Nüchternheit der Person Merkel konnte jedoch einen etwaigen innerparteilichen Konflikt überschatten. Der Zeitpunkt war auch der Beginn der Entfremdung der Partei von der Person, wie sie auch in späteren Umfragen bestätigt wurde. Nach und nach wurde die Politik der CDU nicht mehr mit der Politik Merkels gleichgesetzt, wodurch ein narratives Missverhältnis entstand, in der die Bundeskanzlerin mehr und mehr als eine überparteiliche Instanz wahrgenommen wurde. Um die Ära Merkel zu verstehen, ist dieser Moment der Abstraktion ausschlaggebend, wie es in der Geschichte der BRD so zuvor noch nie geschehen war.

Diese Entpolitisierung des Politischen akkumulierte sich in einer Vereinnahmung traditionell sozialdemokratischer Punkte, wie dem Kampf des dreigliedrigen Schulsystems, ein Kernelement der CDU. Die Idee von Gemeinschaftsschulen war zuvor der politischen Linken angeheftet, doch nun erschien es ein zentrales Programm der größten Volkspartei Deutschlands. Dadurch bewegte sich der Konservativismus in eine Krise, obgleich die Anfänge noch überschaubar waren, im Hinblick auf den rasanten Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD), als Katalysator rechtskonservativer Elemente, aber unabdingbar sind. In dieser Situation ist auch die steigende Substanzlosigkeit der SPD zu suchen, die durch die folgenden Regierungskoalitionen mit Angela Merkel von rechts getrieben wurden, weil sie den Anschluss versagten. In diesem Zeitraum entwickelte sich eine weitere Widersprüchlichkeit, die besonders in medialen Rezeptionen transportiert wurde: die realpolitischen Handlungen und Aktionen der Bundeskanzlerin wurden in der Öffentlichkeit diametral quittiert, was besonders am Sommer 2015 zu erkennen ist.

Zwei Entscheidungen seitens der CDU-Führung und Angela Merkel trugen die interne Krise nach außen: die Bejahung der Frauenquote in börsenorientierten Unternehmen und die Öffnung der Grenzen. Erstere war mitnichten ein Feldzug des Feminismus, dennoch wurde er medial und in immer lauter werdenden Kritiker*innen Merkels so dargelegt: der herbei fabulierte Linksruck der CDU wurde geboren. In solch Zeiten war und ist es sekundär, in wie weit eine Forderung tatsächlich realisiert wurde, denn dies war auch der Moment des Aufstiegs der AfD, und sonach dem Aufschwung einer anti-merkelistischen Politik. Merkel war als zentristisch agierende Person in einem stetigen Zwist von Anspruch und Wirklichkeit, dem sie nie gerecht wurde. Doch als sie in den Sommermonaten 2015 die Außengrenzen zu Österreich öffnete, um flüchtende Menschen ins Land zu lassen, geschahen zwei essentielle Dinge: Angela Merkel brach dialektisch mit dem traditionalistisch-konservativen Klientel und öffnete dadurch dem Aufstieg des Rechtsradikalismus alle Tore, und jedwede weitere Politik wurde nun an diesem schizophrenen Vorgang gemessen.

Diese Momente sind auch Grund dafür, dass der traditionelle Block zwischen CDU und CSU in eine weitere Krise gezwungen wurde. Die Sozialdemokratisierung unter Angela Merkel markierte nicht nur den Untergang der SPD, sondern auch die gesellschaftliche Teilung. Unter ihrer Führung konnte der institutionelle Rassismus in gewalttätige, direkte Äußerungen und Taten ausbrechen und die BRD fand sich in der absurden Position wieder, sich selbst im Weg zu stehen. Ganz gleich, dass sich die realpolitische Flüchtlingspolitik der Forderungen von Rechten und Rechtsradikalen bediente – und sie im supra- wie internationalen Kontext auch anwandte – verkam Angela Merkel zu einer flüchtlingsfreundlichen Liberalen. An ihrer politischen Haltung und Methodik, die sie seit 2005 bediente, hat sich freilich wenig geändert. Die Neuerfindung des Konservativismus ist ihr Produkt und wurde auch durch die Grundfrage der sogenannten „Ehe für Alle“ weiter zementiert. Unter Angela Merkel forcierte eine konservative Partei die – im bürgerlichen Duktus – Liberalisierung des Politischen.

Die Zeit nach Merkel – der Post-Merkelismus – wird gezeichnet sein von dem Bruch des Konservativismus mit sich selbst und der tiefen, gesellschaftlichen Spaltung. Grundsätzlich agierte sie im Sinne der herrschenden Idee und vollzog die gesellschaftliche Entwicklung im internationalen Umfeld mit, was binnen 13 Jahren ihre Partei zusehends vor Probleme stellte. Die Besonderheit der Bundeskanzlerin ist die erwähnte Abstraktion des Eigentlichen. Die Entscheidungen der CDU, obgleich sie sie mit trug, wurden von ihr separat gewertet. Zufriedenheit mit Angela Merkel war somit keine Gleichsetzung mit der Zufriedenheit mit den Unionsparteien. Sie vermachte sich selbst, trotz der ihr inhärenten nüchternen Herangehensweise, zur idealisierten Persönlichkeit. Mit ihrem Namen werden historisch wertvolle Politiken in Verbindung gebracht, speziell die Zeit der Flüchtlingspolitik. Der damals vollzogene Humanismus mag sicherlich ein ernst gemeinter sein – und dies wird Angela Merkel auch ewig mit anheften, ob negativ oder positiv konnotiert – doch er markierte auch die Unsicherheit, die ihr innewohnte. Merkel war keine Politikerin im traditionellen Sinne. Sie war die notwendige Botin einer konservativen Modernisierung, die es ihr erlaubte, auf menschlicher Ebene ein weinendes, palästinensisches Flüchtlingskind zu trösten, um es dann auf politischer Ebene im weiteren Kontext abzuschieben. Diese Widersprüchlichkeiten durchzog ihre ganze Kanzlerschaft. Bis heute.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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