Die bürokratische Diskriminierung

Transsexualität Der Gesetzgeber ist in der gesellschaftlichen und moralischen Pflicht, das TSG dahingehend zu reformieren, um langfristig das argentinische Modell zu adaptieren.

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Das Transsexuellen-Gesetz (TSG) regelt in der BRD die Rechte und Pflichten von transsexuellen Menschen, wenn es um Namens- und Personenstandsänderungen als auch operative Angleichungen geht. Dieses Gesetz war jedoch bereits bei Verabschiedung 1981 ein Schritt vorwärts, doch zwei Schritte zurück. So war es beispielsweise in den ersten Jahren noch vorgeschrieben, daß transsexuelle Frauen sich bei einer nicht gewünschten operativen Angleichungen haben müssen sterilisieren lassen, mit der Begründung, da im Falle einer Kindeszeugung die transsexuelle Frau im Sinne der faktischen Rechtsprechung der BRD wieder ein cissexueller Mann sein wird. Diese Unmenschlichkeit wurde zwar gekippt, doch im europäischen und globalen Vergleich sind das TSG und die Rechte für transsexuelle Menschen sehr im Rückstand. In Argentinien beispielsweise existiert seit 2012 ein weltweit einzigartiges Gesetz, das transsexuelle und generell queere Menschen von bürokratischen Diskriminierungen vollkommen befreit. Die WHO bezeichnete diese gesellschaftliche Entwicklung als Vorbildfunktion, da die Personen bei dem Wunsch einer Namens- und Personenstandsänderung nicht mit "Hürden wie der Hormontherapie, operativen Angleichung oder psychiatrischen Diagnosen" konfrontiert werden, die sie als "abnormale Menschen" bezeichnen.

In der BRD war bis Juni 2018 die Transsexualität nach ICD-10 eine "Geschlechtsidentitätsstörung" als Unterkapitel der "Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen". Bis zum Jahre 2022 soll diese Bezeichnung nun weltweit fallen und durch den vermeintlich neutralen Begriff "Gender Incongruence" ersetzt werden. Das sind jedoch lediglich Schönheitsoperationen, denn das Problem liegt nicht in der Bezeichnung der Menschen - obgleich ein Weg weg von pathologisierender Diskriminierung ein wichtiger Schritt ist -, sondern in deren Behandlung und der Akzeptanz. Hierzulande ist die externe Feststellung sowohl an kostenpflichtigen, gerichtlichen Stellen als auch psychiatrischen Gutachten geknüpft. Um eine gewisse Neutralität zu wahren sind zwei unabhängige Gutachten verpflichtend, die nun trotz der Streichung als "Geschlechtsidentitätsstörung" den transsexuellen Menschen begutachten, sprich pathologisieren. Nichts anderes ist die Funktion des Gutachten: es soll sicher stellen, daß der transsexuelle Mensch es "ernst meint", so, als wäre es eine Spielerei, ein fröhliches Wechseln. Diese Urteil liegt allein in den Händen der unabhängigen Psychiater*innen und den örtlichen Amtsgerichten. Das kann auch im schlimmsten Fall bedeuten, daß der transsexuelle Mensch abgewiesen wird, wenn beispielsweise eine Psychiaterin die Identität in frage stellt.

Die Problematik mit den Psychiater*innen ist keine ungefähre, sondern eine betont aktuelle. Psychiater*innen, die sich auf die Transsexualität "spezialisierten", sind nicht unbedingt frei von traditionellen Rollenbildern und verlangen dann manchmal das Abspielen heteronormativer Stereotypen. Extrem plakativ betrachtet kann das dann bedeuten, daß eine transsexuelle Frau, die in ihrer Kindheit nicht mit Puppen spielte, einen eher skeptischen Blick erhalten wird. Der daraus kolportierte, unsichtbare Sexismus wird gesellschaftlich nahezu nicht behandelt oder diskutiert. Die BRD tut es sich schwer, transsexuellen Menschen entgegen zu kommen, dabei gibt es viele Staaten, die mit einem äußerst positiven Beispiel vorangehen, auch in der Europäischen Union, so Dänemark, das 2017 langsam den argentinischen Weg einschlug. Dabei darf trotz der Entwicklung in der WHO, die Transsexualität als Störung abzuerkennen, nicht vergessen werden, daß der transsexuelle Mensch dennoch leiden kann, das jedoch nicht mit einem vermeintlich "störenden Verhalten" konnotiert ist, sondern den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen. In dieser Hinsicht ist auch die Schule in der Pflicht, ein sensibles Bewußtsein zu schaffen, welches gleichzeitig auch das geläufige Bild von transsexuellen Menschen entkräften soll.

Die BRD ist in der grundsätzlichen Verpflichtung, allen Menschen ein freies und würdiges Leben zu sichern. Für transsexuelle Menschen betrifft das die Abschaffung der gerichtlichen Hürde und einer radikalen psychiatrischen Reform. Es obliegt einzig dem transsexuellen Menschen und seinem selbstbestimmtem Recht, welchem Geschlecht er angehörig ist, welchen Namen er für sich wünscht und ob er angleichende Maßnahmen in Anspruch nehmen möchte - oder eben nicht. Transsexuelle Menschen werden auf staatlicher Ebene diskriminiert, obwohl sie gesellschaftlich bereits - auch durch mediale Rezeptionen - anerkannt werden. Bei der stets bemühten Unantastbarkeit der Würde ist jegliche Verletzung zu beklagen und zu überwinden. Der Gesetzgeber ist in der gesellschaftlichen und moralischen Pflicht, das TSG dahingehend zu reformieren oder abzuschaffen, um langfristig das argentinische Modell zu adaptieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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