Die Causa "Aufstehen"

Reformismus Die Sammlungsbewegung "aufstehen" will als Vermittlerin agieren, doch beschwört durch den Ruf nach Einheit nur weitere Spaltungen. Sie steht dem eigenen Anspruch im Weg

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Sarah Wagenknecht
Sarah Wagenknecht

Jens Schlueter/Getty Images

Die Partei Die Linke befindet sich turnusgemäß in einer weiteren Krise. Am 14. November 2018 formulierte die parteiinterne Strömung „Kommunistische Plattform“ eine Mitteilung, die an den Bundestagsabgeordneten Thomas Nord gerichtet war, in der sie die „Einheit“ der Partei fordern. Auslöser war die Entwicklung der selbsternannten Sammlungsbewegung „aufstehen“, die maßgeblich von der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei Sahra Wagenknecht am 4. August 2018 ins Leben gerufen wurde. Die Intention Wagenknechts und ihrer Mitstreiter*innen, darunter unter anderem Fabio De Masi und Sevim Dağdelen, war es, eine Plattform zu schaffen, die ein zukünftiges „linkes Bündnis“ etablieren soll. Dementsprechend öffnet sich die Bewegung primär den Mitgliedern und Sympathisant*innen der Parteien SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die an einer Zusammenarbeit interessiert seien. Innerhalb der Linkspartei wird die Bewegung schon seit ihrer Ankündigung letzten Jahres kritisch begleitet, da eine externe Konkurrenz vermutet wurde, die sich in der weiteren Entwicklung mehr und mehr bestätigt. Seit ihrer Gründung beansprucht die Bewegung mehrere tausende, virtuell eingeschriebene Abonnent*innen eines Newsletter, die formal, aber in der Sache falsch als Sympathisant*innen gelistet werden. Sie beschreibt sich als basisdemokratische Initiative mit dem gesteckten Anspruch, auf parlamentarischem Wege eine Mehrheit zu erreichen. Unterstützt wird sie daher auch von Intellektuellen und Künstler*innen, die sich parteipolitisch bisher eher weniger beteiligten. Trotz der mehrmaligen Beteuerungen, die Bewegung sehe sich nicht als Konkurrenz zur Linkspartei, entwickelt sie sich aber kontinuierlich dazu.

Sahra Wagenknechts Äußerungen stehen unter einem doppelten Vorbehalt. Einerseits wird sie als kluge und intelligente Beobachterin und Analytikerin herrschender Verhältnisse bezeichnet, die sozialpolitisch auch in der Regel die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Ihre Haltung zu globalisierenden, hernach in der Thematik der Flüchtlingspolitik verankert, kollidiert allerdings mehrmals mit offiziellen Beschlüssen mit der Partei. Die Aufregung, die sich dort abspielt, ist allerdings eine relativ aufgesetzte. Formal bekennt sich Wagenknecht zu den Beschlüssen der Forderung nach offenen Grenzen, schränkt diese in realpolitischer Absicht jedoch dahingehend ein, dass eine Unendlichkeit der Aufnahme nicht möglich ist. Diese Binsenwahrheit ist so simpel wie naiv. Ihre Argumentation fußt jedoch auf der Hoffnung, „verloren gegangene“ Wähler*innen des rechten Randes „zurückzugewinnen“, das heißt explizit das Fischen im Becken der Alternativen für Deutschland (AfD). Das subsumiert sich bis hin zur vorsichtigen, doch offiziellen Distanzierung der mehr als 200.000 Menschen greifende #unteilbar-Demonstration letzten Monats, die Wagenknecht in ihrer Polemik auf „Offene Grenzen“ reduzierte. Die Taktik ist so verwunderlich nicht und verankert in den Widerständen in der eigenen Partei. Trotz dessen erschienen vereinzelte Menschen mit Banner der Bewegung „aufstehen“ an jener Demonstration, was die Dezentralisierung markiert.

Das Vorhaben der Bewegung, ein Netzwerk zwischen reformistischen Linken zu schaffen, scheitert bereits an den Beschlüssen aller drei Parteien, keine offizielle Kooperation zu starten. Das bringt gerade Wagenknecht in ein Bedrängnis, denn faktisch vertritt sie als Fraktionsvorsitzende die Linkspartei im Deutschen Bundestag. Und dieses Dilemma werfen ihr neben Nord mehrere Mandatsträger*innen vor, die faktisch eine neue Organisation aufzieht, die langfristig als Rechtsabspaltung zu deuten ist. Die Vorsitzende der Partei, Katja Kipping, übt sich oft in humanistischen Distanzierungen zu Wagenknecht und beteuert die Losung der „Offenen Grenzen“, doch unter ihrer Regie wurde ein sogenanntes „linkes Einwanderungsgesetz“ diskutiert, dass dieser Losung entgegensteht. Kipping selbst ist Mitglied des liberalen Flügels der „Emanzipatorischen Linken“ und steht Regierungsbeteiligungen grundsätzlich offen gegenüber. Die ehemalige Kommunistin Wagenknecht greift dieses Vorhaben mit ihrer Bewegung ebenfalls auf. Dadurch entsteht ein interessantes Konkurrenzverhalten, was keines ist: sowohl der Kipping-Flügel als auch „aufstehen“ stehen für eine reformistische Politik, die das Ziel einer Rot-Rot-Grünen Koalition in sich trägt. Die Unstimmigkeiten sind rein semantischer Natur und eruieren in Streitereien, die die Linkspartei in folge doch zur Spaltung bringen kann.

Einheit durch Spaltung

„Aufstehen“ nimmt sich die französische „La France Insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon und die Labour-interne Bewegung „Momentum“ zum Vorbild. Der gewichtige Unterschied ist jedoch die fehlende Verankerung und Dezentralisierung. Die Bewegung Mélenchons ist langwieriges Resultat einer grundsätzlich gespaltenen Linken Frankreichs, in der der Wortführer selbst mehrere Parteien gründete und wieder verließ. Sollte Wagenknecht auf organisatorisch ein Vorbild daran nehmen, wird sich hypothetisch eine Parteigründung finden, die sich zwischen SPD und Linkspartei positioniert, jedoch ist dieser Erfolg alles andere als gewiss. Eine Spaltung der Linkspartei würde „aufstehen“ keineswegs zu einer mobilisierungsstarken Massenpartei führen, die ideologisch fest mit Wagenknecht verknüpft ist. Allerdings würde die parlamentarische Linke empfindlich geschwächt werden und paradoxerweise das Ziel beider einer reformistischen Wende ad absurdum führen. Das ist die scheinbar unheilbare Krankheit einer jeder Linken: die Einheit wird durch Spaltungen herbei geschworen. Die politische Notwendigkeit der Bewegung ist in ihrer Struktur auch nicht ersichtlich, da eine bürokratisch aufoktroyierte Bewegung nur scheitern kann. Parteiübergreifende Diskussionsgruppen existieren bereits und bedürfen keiner auferlegten Bewegung, die de facto ein linksnationalistisches Gedankengut befriedigen möchte. Dadurch verkommt „aufstehen“ bereits nach wenigen Wochen zu einem persönlichen Coup Sahra Wagenknechts, die durchaus langfristig die Frage aufwerfen wird – wie so oft – wohin die Partei treiben wird.

Das Programm als solches ist aus dem Baukasten der Sozialdemokratie im 21. Jahrhunderts. Neben der Bejahung des Sozialstaats, guten Löhnen und Bildung findet sich ein Bekenntnis zu Europa und der Forderung nach einer „neuen Wirtschaftsordnung“, die über keynesianische Ideen nicht hinausgeht. Marxistische oder revolutionäre Forderungen sucht man vergebens, womit die ehemalige Kommunistin Wagenknecht, die in den 1990er Jahren noch trotzig den Stalinismus verteidigte, zu einer reformistischen Sozialdemokratin wandelte. Ob so ein Programm neben der SPD und der Linkspartei wirklich notwendig ist, ist offenkundig. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Bewegung eine persönliche Angelegenheit Wagenknechts und ihres Mannes Oskar Lafontaine ist, als stille Rebellion gegen die eigene Partei, die sich formal einer vulgaristischen Elite-Kritik bedient, doch die Struktur nicht wagt anzufassen. Es ist politisches Kalkül und Machtbestreben, bei der betont wird, man wolle die Menschen dort abholen, bei der andere Versagen. Eine vertrackte Form der Selbstkritik, in der der Glaube herrscht, eine frische Organisation würde Fehler vergessen machen. „Aufstehen“ hat den Anspruch, Sozialdemokrat*innen, Linksparteiler und Grüne zu vereinen, doch bis auf Einzelpersonen will niemand mitmachen. Die Idee ist schon beerdigt, nun hat sie keine andere Möglichkeit mehr, als zu konkurrieren und, um der Selbstkritik treu zu bleiben, als neue Partei an den Start zu gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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