Zweckfreundschaft

Politik Die Verbundenheit zwischen Deutschland und der Türkei ist eine jahrhundertealte. Die Feindschaft zu Russland und das Erschließen weiterer Ressourcen machen sie aus

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Drei Tage hält sich der Präsident der Türkei Reccep Tayyip Erdogan in Deutschland auf. Doch ruhig wird es für ihn nicht. Er wurde hier mit lautem Protest von Organisationen, Parteien, Kurd*innen, Linken und einer großen Mehrheit nicht willkommen geheißen, da der Präsident spätestens seit dem "Putsch" 2016 die Republik in einen autoritären Staat umfunktionieren läßt, in dem er Oppositionelle, Linke, Kurd*innen, Antifaschist*innen, Journalist*innen und regimekritische Zivilist*innen einkerkern und foltern läßt. Die BRD steht nicht zu unrecht in der scharfen Kritik, Erdogan staatsmännisch zu hofieren, derweil der SPD-Abgeordnete Martin Schulz eine wichtige Freundschaft zwischen den Staaten betont und von der deutschen Regierung generell nur lapidare Kritik geäußert wird, welche jedoch bei einer Pressekonferenz radikal konterkariert wurde, als ein türkisch-sprachiger Journalist herausgefördert wurde, da er für die journalistische Freiheit auf seinem T-Shirt warb, sowohl auf Deutsch als auch Türkisch. Das Band zwischen der Bundesrepublik und der Türkei kommt allerdings nicht von irgendwo. Die Verbundenheit trotz der heutigen teils diametralen Auffassungen von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte bleibt aufgrund geostrategischer und weltpolitischen Interesse intakt. Die Gründe dafür liegen ebenso in der Geschichte: Feindschaft zum russischen Imperialismus und das Erschließen weiterer Ressourcen der eigenen Interessen.

Als das Deutsche Reich 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste, wurde das damalige Osmanische Reich als wertvoller Verbündeter genutzt, dem man auch den Völkermord an den Armenier*innen 1915 schützend gestattete, was bis ins 21. Jahrhundert reicht, da jener bis heute nicht offiziell von der Deutschen Bundesregierung als solcher benannt wird. Um den deutschen Imperialismus zu wahren wurde eine feste Zusammenarbeit, das Deutsche Reich keinerlei Interesse daran haben konnte, wenn das Zarenreich die Osmanen annektieren würde oder sich England und Frankreich sich diesem Staat ermächtigen würde. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die geographische Landkarte eine vollkommen neue: nicht nur das Deutsche und Russische Reich wurde gestürzt, auch das gewaltige Osmanische Reich wurde in den 1920er in eine Republik transformiert, was dem imperialen Interesse des Deutschen Reiches jedoch kein Abbruch tat. Der zentrierte Hauptfeind Rußland stand weiterhin, diesmal gekoppelt an einen aggressiven Antikommunismus, den die Türkei und das Deutsche Reich weiter zusammenschweißte. Die Türkei fungierte als wichtigen, geostrategischen Stützpunkt, um die Einflußphäre Rußlands zu minimieren.

Zu der Zeit des Kalten Krieges, speziell als die Türkei Mitglied der NATO wurde, war sie europäisches und deutsches Schutzschild gegen den Sowjetkommunismus, hernach also ein wichtiger Partner, dem man einen militaristischen Putsch verzieh so auch der Beginn des Krieges gegen die autonomen Bestrebungen der Kurd*innen. Da sich in Form der PKK eine kurdische Partei der politischen Linken etablierte, war es der BRD nur recht, da es dem narrativen Feindbild des Sowjetkommunismus diente. Als die Sowjetunion und hernach auch der Realsozialismus zusammenbrach, fiel zwar die Systemkonkurrenz, nicht jedoch das tradierte Feindbild Rußlands. Aufgrund der Türk*innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg angeworben wurden, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das sogenannte "Wirtschaftswunder" hatten, wurde die Beziehung intensiviert. Durch die Annektion der DDR, die bedingt durch ihre Geschichte eine starke Bindung zu Rußland hatte, konnte das traditionelle Feindbild nicht mehr unwidersprochen angenommen werden, doch es ist dem deutschen und türkischen Kapital in der Hinsicht irrelevant gewesen, ob Rußland nun realsozialistisch, feudal oder kapitalistisch ist. Die Rußlandfeindlichkeit hat sich heute bis in sozialdemokratische Kreise verwurzelt, die nicht darüber müde werden, Putin und seine Politik zu kritisieren, doch bei der Faschisierung der Türkei wird nur eine oberflächliche Kritik geäußert, zum Völkermord an den Kurd*innen nahezu geschwiegen, da das Interesse des Kapitals, der Unternehmer und auch der Kriegswirtschaft höher wiegen.

Erdogan weiß um diese tief verwurzelte Beziehung, daher ist er auch in der Position, die Bundesregierung beispielsweise faschistisch zu schimpfen, türkisch-stämmigen, erdogankritischen Deutschen rassistisch entgegen zu treten, und poltert und verdammt jeden als Terroristen, der nur marginal eine harmlose Kritik an seine Politik äußert. Dies hat zur Folge, daß Deutsche in türkischen Kerkern sitzen, ohne daß die Bundesregierung etwas unternimmt bis hin zur verordneten Schweigen, wenn es um Kurdistan, Linke, Armenier*innen in der Türkei geht oder die mehrfach belegte Kooperation Erdogans mit militanten Islamist*innen. Die Bundesregierung ist an die Türkei gekettet durch dreckige Flüchtling-Deals, Rüstungsgeschäfte in Milliardenhöhen und das immer noch notwendige Bündnis zum Interesse des deutschen Kapitals als Eingangstor in die arabische Welt. Ob die Zerstörung und Unterwerfung Afrins, das Einkerken von Denis Yücel (der nach einem Jahr mittels eines Deals freikam) und Max Zirngast oder der Einfluß der unmittelbaren Politik in Deutschland - das imperiale Bündnis, welches seit mehr als einem Jahrhundert hält wurde dem deutschen Staat zum Verhängnis.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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