Die EU-Illusion der Linkspartei

Bundesparteitag Die Linke verabschiedete an diesem Wochenende ihr EU-Wahlprogramm und positioniert sich als EU-optimistische Partei – trotz der Kritik daran.

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Es war ein kontroverses, doch vereinendes Wochenende für die Linkspartei. Vom 22. bis zum 24. Februar 2019 traf sich die Partei in Bonn, um das Programm für den EU-Wahlkampf am 23. bis zum 26. Mai 2019 zu beschließen. Der Parteitag war zentral für die weitere politische Ausrichtung und spiegelte den gesellschaftlichen Diskurs wider. Der reformistische Flügel konnte sich größtenteils durchsetzen und ermöglichte einen latenten Rechtsruck respektive eine Stabilisierung der Verankerung im politischen Betrieb. Die Rolle als oppositionelle Kraft in der Europäischen Union (EU) wurde als Abkehr von einer radikalen Gesellschaftskritik mit den progressiven Worten eines „Neustarts der EU“ umdefiniert. Die Beschreibung der EU als „militaristisch, undemokratisch und neoliberal“ wurde mit Verweis auf die „abschreckende Wirkung“ vom Entwurf gestrichen. Gregor Gysi hat besonders „proeuropäische“ Wähler*innen im Blick und verteidigt wie viele weitere reformistische Genoss*innen die Union als „Friedensprojekt“. Ignoriert indes wird die strukturelle Kriegsführung der EU-Mitgliedsstaaten außerhalb der Union, wie beispielsweise in Jemen, Mali und Syrien. Der Riss, der durch die Partei geht, wird besonders jetzt deutlich, bei der selbst zentrale Grundfragen in Zweifel gezogen werden, wie eine spontane Aktion von unter anderem Heike Hänsel zur Solidarität mit Venezuela zeigte.

Der Grundtenor des europapolitischen Programms ist trotz der Diversitäten auf den Listen eine im Sinne der EU. Dabei wird geflissentlich die Union mit dem Kontinent Europa vermengt. Der propagierte „Neustart“ stellt somit nicht die Grundkonzeption der Union infrage, sondern lediglich Erscheinungen durch politische Entwicklungen. Trotz der Negation der „Reizwörter“, um „proeuropäische“ Wähler*innen nicht zu verschrecken, wird der Neoliberalismus und die Militarisierung der Union kritisiert, die „Illusion der Reformierbarkeit“ jedoch aufrechterhalten. Diese sollte man jedoch nicht schüren, wie Lucy Redler, Sprecherin der Antikapitalistischen Linken (AKL), anmerkte. Die Partei geht nun mit dem Versprechen in den Wahlkampf, die EU neu zu starten. Dieser Neustart gleicht allerdings mehr einer akzentuierten Verbesserung des Status quo, denn Floskeln wie die Stärkung von Arbeiter*innenrechte oder die Erzwingung von Steuerabgaben von Unternehmen wie Amazon behalten den Klassenantagonismus bei und ignorieren - oder verschleiern - die grundsätzliche Ausgangslage des Staatenbundes. Zwar wurde der Forderung nach einer „Republik Europa“ keine Mehrheit beschafft, doch es zeigt eindeutig, wohin der Weg gehen soll. Die Kapitalinteressen und Strukturen der herrschenden Klasse erfahren keine zentrale Kritik, da der reformistische Flügel sich schon längst dazu entschlossen hat, den Staat als Herrschaftsinstrument einfach zu übernehmen, ohne ihn zu zerschlagen.

Die Farce, die sich dahinter verbirgt, ist eindeutig. Mit Verweis darauf, es wäre eine „unmarxistische“ Antwort, die „Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft“ mit dem Ruf nach „Nationalstaaten“ zu begegnen, wie Katja Kipping so meint, bleibt sie der Antwort jedoch schuldig, wie viel Marxismus noch in der Partei ist, die sich auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bezieht. Eine Stärkung des bürgerlichen Staates in wirtschaftlicher Union und die illusorische Annahme, lediglich der Abbau von Bürokratisierung würde aus dem Sozialstaat den Sozialismus ermöglichen, zeugen von einer großen Abkehr. Ein ähnlich gelagerter Fehler wurde in den Reaktionen zur spontanen Aktion kolportiert. Man müsse zwar den US-Imperialismus ablehnen, doch dies ginge nur einher mit einer Kritik an Nicolás Maduro offenbart eindeutig die Werdung der einst sozialistischen Partei zur staatstragenden, sozialdemokratischen Kraft. Um die Worte Kippings zu verwenden: es ist „unmarxistisch“, aggressives Verhalten eines Staates mit innenpolitischen Schwierigkeiten aufzurechnen resp. zu entkräften. Es erweckt den faden Beigeschmack, dass eine Verurteilung durch den reformistischen Flügel ausbliebe, wenn die Kritik an Maduro fehle. Die Frage, die sich hierbei auftut, ist eine prinzipielle und im Kern ideologische. Damit begibt man sich auf die Pfade der Verbürgerlichisierung des eigenen Standpunkts, der sich dann nur noch in Partnerschaften ausdrückt, derweil die Reform immer mehr wie ein revolutionäres Instrument verstanden wird.

Die beiden gewählten Spitzenkandidat*innen, Özlem Demirel und Martin Schirdewan, sprechen dahingehend zwar von einem „radikalen Kurswechsel“, dennoch distanziert man sich prophylaktisch von der EU-Skepsis. „Es geht nicht darum... mit EU-Skepsis zu werben“, so Demirel. Diese Äußerungen und Anmerkungen werden in der Öffentlichkeit breit rezipiert. Während linksbürgerliche Medien wie taz und Tagesspiegel von einer konkreten Vernunft sprechen, sehen Kommunist*innen die Gefahr, die pluralistische Linkspartei völlig zu verlieren. Die Entschärfung der eigenen Worte und der interne Angriff gegen internationalistische Solidarität legt das „unmarxistische“ Verhalten an den Tag, dass die Partei im Kern schon längst kundtun möchte, doch bedingt durch das linke Gewissen daran gehindert wird. Dieses Wochenende platziert die Linkspartei in die Reihe der EU-Optimist*innen, die eine soziale Union als Gradmesser für eine humanistische und solidarische Welt betrachten. Die staatstheoretischen und bürgerlichen Unterdrückungsmechanismus hinter einer solchen Konzeption bleiben ihr verborgen, denn sie ist ja keine marxistische Partei (mehr). Der linke Flügel wirkt mit der Zeit wie ein Schatten ihrer selbst, die selbst von „roten Linien“ sprechen, was Regierungsbeteiligungen angeht. Linien können überschritten werden. Man fühlt sich nun von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine emanzipiert, wie Matthias Meisner in seinem Kommentar schreibt. Die Sozialdemokratisierung der Linkspartei schreitet unaufhaltsam voran, dass selbst Marxist*innen wie Lucy Redler sich in der Schutzbehauptung verheddern, „dass auch die neue Passage (des Programms) nicht den Wünschen des Reformerlagers in der Partei“ entspräche.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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