Die Faschisten des Internets

#GamerLeaksDE Die toxische Maskulinität der Gamer-Szene ist Mitresultat einer Faschisierung des Virtuellen. Sie vereint den Hass auf Frauen, Andersdenkende und stellt eine Gefahr da.

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Unter dem Hashtag #Gamergate wurde 2014 das erste mal in breiter Öffentlichkeit über patriarchale Machtstrukturen in der Videospiel-Industrie diskutiert. Ausgelöst wurde es durch einen Blog des Ex-Freundes der Videospielentwicklerin Zoe Quinn, der eine detaillierte Abrechnung mit ihrer Beziehung darstellt. Internet-Plattformen wie 4chan und reddit griffen diese Abrechnung auf und starteten eine regelrechte Hasskampagne gegen Quinn und weitreichend gegen feministische Akzentuierungen in der Industrie als solche. Die selbsternannten „Gamergaters“ sahen sich in der Pflicht, die Sphäre der Videospiele als Visualisierung ihrer postpupertären Männlichkeit zu wahren. Sie attackierten Feminist*innen, die die konservative und maskulinistische Ideologie der Mainstream-Videospiele in Frage stellten, mittels sexistischer und frauenfeindlicher Polemik, die besonders durch die Plattform 4chan nach außen transportiert und rezipiert wurde. Das Gamergate offenbarte ein stark umkämpftes Feld, in dem sich bis dato nur pubertierende und junge Männer zuhause fühlten und es als ihren Rückzugsort definierten. Frauen wurden entweder negiert oder Opfer einer toxischen Maskulinität, die sich seit Jahren in diversen Foren und Feldern des Internets festsetzen konnte. Videospielende Frauen wurden und werden als sexuelle Objekte wahrgenommen und in erzreaktionärer Hierarchie entsprechend behandelt, quasi der „Safe Space“ für potentiell aggressive, frauenhassende und in ihrer politischen Wahrnehmung auch rechtsautoritäre Männer.

Nach dem Aufschrei und daraus folgenden Skandal ist nicht viel geschehen. In den letzten Jahren wurde auch im Beisein mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck eine Faschisierung in rechtsautoritären Gamer-Szenen immer spürbarer und virulenter. Videospiele per se dienen primär als Instrument zur Verknüpfung, doch sie haben keinen unwesentlichen Anteil an deren Sozialisierung. In Deutschland ist vor kurzem unter dem Hashtag #GamerleaksDE eine neue Öffentlichkeit entstanden, die die inneren Strukturen und radikalen Politisierungen der Gamer-Szene offenlegt. Auffällig ist eine kontinuierliche Verrohung der Sprache, die einhergeht mit der absoluten Selbstgewissheit der Märtyrerrolle. Die im Zuge der schleichenden Faschisierung der Szene ist ein Spiegelbild der weltpolitischen Entwicklungen und muss als solche verstanden werden. Andererseits beinhaltete die Möglichkeit der inszenierten Realitäten im Internet immer eine tiefergehende und schnellere Radikalisierung des Sagbaren. Sozialdarwinistische Argumente und Aussagen sind führend und werden auf jene angewandt, die Opfer dieser Kultur sind. Auch im Zuge der aktuellen Ereignisse gibt es erste Relativierungen, in dem beliebige Gesetze des Internets herangezogen werden, und die klassische Opfer-Täter-Umkehr bedient wird. Man wurde nur falsch verstanden bzw. das Opfer verstünde die Realität eines Trolls nicht. Die Grenze des Trollings und der Benennung einer tatsächlichen Haltung ist jedoch fließend.

Der Übergang vom Virtuellen in die Realität ist dabei ebenso denkbar klein. Maskulinistische Fantasien werden offen nach außen kommuniziert und sie sind Mitresultat der gesellschaftlichen Verrohung. Vergewaltigungen werden in veröffentlichen Chats verharmlost, der offene Wunsch nach einem zweiten Holocaust bekundet und direkte Gewaltaufrufe verbreitet. Die Symbiose aus Gewaltbereitschaft, Antisemitismus und Misogynie ist kein Novum, wird jedoch immer stringenter und lauter verkündet. In diesem selbst auferlegten Universum herrschen die Gesetze des „Stärkeren“, in der eine naturwüchsige Männlichkeit wird propagiert. Diese stellt sich nicht nur gegen das weibliche Geschlecht als zu sexualisierendes Objekt, sondern in der Tragweite auch gegen alles, was dem Idealbild entgegensteht. Der ideologische Zusammenschluss mit rassistischem Gedankengut ist dabei nur konsequent. Die dargestellte Männlichkeit sieht diese ausschließlich nur für Weiße vor und vereinnahmt dahingehend einen kruden, fast schon antiken Nationalismus. Es ist daher keine Zufall, dass viele Benutzernamen der frauenhassenden Maskulinisten sich positiv auf den Patriotismus oder Nationalsozialismus beziehen, sei es auch nur durch bekannte Schlagwörter. Die eigentliche Problematik und dahingehend auch Gefahr ist jedoch die fehlende Konsequenz und Aufarbeitung dessen. Durch starke, rechtsradikale Organisationen außerhalb des Internets wie der Identitären Bewegung (IB) oder der Alternativen für Deutschland (AfD) sehen sie sich in ihrer Grundüberzeugung bestätigt und motiviert, noch weiter zu gehen.

Der notwendige Kampf gegen diese gefährliche Ideologie wird unisono getreu dem rechtsradikalen Duktus als humanistische Tat betitelt, was in deren Augen eine Beschimpfung ist. Die Diskursverschiebung ist in den faschistischen Sphären des Internets schon längst vollzogen und wird durch ihre ideologisierten Nutzer selbstsicher nach außen getragen. Dabei bleibt es nicht bei Beleidigungen, sondern direkten Morddrohungen, der Veröffentlichung von persönlichen Daten und das Übertreten der Hemmschwelle einer direkten, gewaltbereiten Konfrontation außerhalb des Internets. Sie fühlen sich durch die radikalen Kräfte in den Parlamenten bestärkt, die tagtäglich gegen den Verlust der männlichen Identität schreien und eine Verweiblichung des Mannes befürchten. Das bedingt weitere Opfer der LGBTQ*-Community, die ebenfalls nur eine Sexualisierung erfahren. GamerLeaksDE bringt das an die Öffentlichkeit, was seit je her in den tiefen Foren der Menschenverachtung sich tummelt und sich nicht nur auf die Gamer-Szene beschränkt. Sie ist in dem Fall Katalysator und Ausdrucksform einer grundsätzlichen Gefahr durch eine fragile, aggressive und selbst radikalisierten, neuen Maskulinität. Diese wird nicht nur durch die Verachtung der Frau verdeutlicht, sondern auch in der Publikation und Verbreitung von gezielt antisemitischen, rassistischen und faschistischen Inhalten, die unter der Nichtigkeit „Schwarzer Humor“ fungiert und bei aller Ironie doch stolz die Bezeichnung „Nazi“ mit sich führt.

Auf den Vorwurf der Faschisierung antwortete ein User, dass auch „Nazis, Faschisten und Patrioten“ Videospiele spielen würden, und man dadurch keine Verallgemeinerung ziehen könnte. Der Hauptpunkt ist jedoch nicht die Industrie als solche, sondern die Gruppenbildung, die gezielt durch Ideologisierungen Raum für „Nazis, Faschisten und Patrioten“ geben. Das als Normalität abtun ist mit eine Ursache für die heutige Auseinandersetzung und gehört gleichermaßen diskutiert und in die Öffentlichkeit getragen. Was bleibt ist die absolute Notwendigkeit, den Opfern jegliches Gehör zu verschaffen und argumentative Trockenlegung der Täter. Es wäre natürlich naiv zu glauben, eine fundierte Auseinandersetzung würde etwas an deren Agenda ändern, daher ist es umso mehr wichtig, dieses Phänomen im Ganzen zu betrachten. Die Solidarität gilt allen Frauen* und Unterdrückten der faschistischen Maskulinität und der Zusammenschluss von Feminist*innen und Antifaschist*innen ist dabei unabdingbar. Betreiber*innen von Plattformen, die diesen Nutzern ein zuhause geben, sollten darüber hinaus die Frage zu lassen, in wie weit Faschismus auf dem eigenen Server geduldet werden kann. Gesellschaftliche Wandel und Kritiken dürfen keinen Halt vor der virtuellen Barriere machen, denn das einst nur einer handvoll technisch versierter Menschen zugängliche Internet ist schon längst zu einem festen Bestandteil des gesamtgesellschaftlichen Diskurs geworden, das nach dem gleichen Regeln funktioniert wie die Welt außerhalb der Server.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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