Die Macht der Enteignung

Volksbegehren Die im Grundgesetz verankerte Möglichkeit von Enteignungen ist alles andere als sozialistisch, sondern ein bürgerliches Instrument zur Kontrolle des Kapitals.

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Ein Gespenst geht um in Berlin - das Gespenst der Enteignung. Alle Mächte der Marktwirtschaft haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, die Christsozialen und die SPD-Vorsitzende, Blume und Nahles, bayerische Ministerpräsidenten und die deutsche Wirtschaft. In dieser Abwandlung des ersten Absatzes des Manifests der Kommunistischen Partei ließe sich die derzeitige Gemengelage und politische Auseinandersetzung in der Hauptstadt, doch auch bundesweit, beschreiben. Die desaströse Wohnsituation in den Großstädten mit teils unbezahlbaren Mieten für Geringverdiener*innen, Arbeitslose und Lohnabhängige hat den Besitz eines Daches über den Kopf zum Luxusgut verwandelt. Angeklagt werden primär die Immobilienkonzerne „Deutsche Wohnen & Co.“ und „Vonovia“, doch gemeint ist eine grundsätzliche Debatte über das Eigentum an sich. Artikel 14 und 15 des Deutschen Grundgesetzes stehen zentral in der Auseinandersetzung und bringen besonders Liberale und Marktradikale, doch auch Sozialdemokrat*innen zur Entrüstung. Dass gerade Bündnis 90/Die Grünen und ihr Vorsitzender Robert Habeck maßgeblich Ziel der Empörung sind, zeugt derweil von einer gewissen Ironie. Dabei wird die Frage beziehungsweise Diskussion darüber, wie sich die Eigentumsverhältnisse in der BRD - und folglich auch im Sinne des Grundgesetzes - definieren, nicht verfolgt.

Die Demonstrationen gegen den „Mietenwahnsinn“ werden stetig kämpferischer. Der Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, Rouzbeh Taheri, beschreibt das notwendige Anliegen mit der widersprüchlichen Realpolitik der herrschenden Klasse. Während man Mieter*innen aufgrund der Mietsteigerungen aus bezahlbaren Wohnungen verjage, müsse man parallel neue sogenannte Sozialwohnungen bauen, was beiderseitig im Sinne des Kapitals wäre. Als „Zeichen der Gegenmacht“ der privaten Immobilienkonzerne soll der Protest primär verstanden werden, erschüttert die Bürgerlichen und weiteren Gegner*innen der Initiative und dem Vorhaben jedoch allein durch das Wort „Enteignung“. Wie die Reaktionen von unter anderem Horst Seehofer (CSU), Markus Blume (CSU) und Christian Lindner (FDP), doch auch von Sozialdemokrat*innen zu entnehmen ist, fürchte man bereits den Sozialismus an dem Tor Brandenburgs anklopfen. „Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen“, sagt Seehofer und steht damit exemplarisch für eine inszenierte Debatte über ein Phantom, das einer reinen Ideologie folgt. Die historische Erfahrung macht es der BRD gewiss nicht leicht durch die Existenz der Deutschen Demokratischen Republik, den von ihr selbst verhassten Teil der deutschen Geschichte und verfällt dahingehend in eine antikommunistische Reflexhaltung, die mit dem eigentlichen Anliegen der Bewegung und der Enteignungsdebatte per se nichts gemein hat.

Parallel zur Entrüstung konnte der Immobilienkonzern „Deutsche Wohnen & Co.“ demgemäß ihrer marktradikalen Grundhaltung ihr Vorhaben juristisch durchsetzen. Das Landgericht Berlin sprach das Tochterunternehmen „Gehag“ vom Mietpreisspiegel frei und stellte ihr faktisch einen Freischein für horrende Erhöhungen aus. Der Berliner Mietspiegel sei angreifbar, lässt sich „Deutsche Wohnen & Co.“ zitieren und stellt den historischen Klassenkampf auf eine neue Stufe. Das Wohl und Recht der Mieter*innen ist ihnen sekundär und sie kommen mit ihrem Vorhaben auch durch, denn die herrschende Klasse beschäftigt sich lieber mit einer Subdiskussion darüber, ob Enteignungen ein Menschenrecht verletze. Die politische Linke spielt hierbei ein doppeldeutiges Spiel. Einerseits unterstütze sie das Volksbegehren folgerichtig, andererseits ist ihr Verständnis von der Entwicklung der Debatte unzureichend. Denn der Angriff auf Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes ist gleichermaßen eine Verankerung eines marktliberalen Grundverständnisses, der die BRD vor die Situation stellt, den eigenen Sozialstaat nach und nach aufzugeben. De facto geht es um bürgerliche Enteignungen, denn eine entsprechende Entschädigung wurde in der Debatte nie ausgeschlagen. Enteignungen dieser Art sind substantiell und allgegenwärtig in bürgerlichen Gesellschaften und Staaten und ein natürliches Instrument der herrschenden Klasse. Der Aufschrei seitens der Gegner*innen ist hierbei die Angst, die Deutungshoheit darüber zu verlieren, ab wann eine Enteignung legitim ist, und ab wann sozialistisch, also illegitim.

Die mittelfristige Frage ist auch, in welchem Interesse eine mögliche Enteignung steht. Auch die neuen Eigentumsverhältnisse werden gekoppelt an politische Entscheidungen sein, hiernach dem Worte nach vergesellschaftet, in der Hand der Stadt Berlin. Das klingt für die FDP sicherlich ungeheuerlich sozialistisch und somit ablehnenswert, doch die Grundstruktur des Eigentums wird mitnichten angetastet. Die BRD ist ein kapitalistischer Staat und somit als Eigentümerin selbst den marktkapitalen Verhältnissen, Strukturen und Entwicklungen unterworfen. Eine wirklich sozialistische Enteignung müsste eine sozialistische Regierung in Verantwortung als Grundvoraussetzung haben, was in Berlin jedoch nicht der Fall ist. Obgleich man bei einer Koalition zwischen SPD, Die Linke und Grünen von einem kommenden Sozialismus schwadroniert, stellt sich die Sozialdemokratie nahezu geschlossenen gegen grundgesetzlich verankerte Enteignungen. Die Hoheit über das Instrument Enteignung ist in der Privatisierung der Verhältnisse zu finden. Die Berliner Regierung 2004 - bestehend aus SPD und der Vorgängerorganisation der Linken (Partei des Demokratischen Sozialismus - PDS) - ließ die damalige Wohnbaugesellschaft GSW privatisieren. Nico Popp kommentierte die Vergangenheit mit der aktuellen Lage sarkastisch mit den Worten: „Nur wer mit dem Gedanken spielt, die Nummer zur Abwechslung mal in der umgekehrten Richtung zu versuchen, bekommt Ärger.

Mieter*innen fordern bezahlbaren Wohnraum und stellen sich gegen einzig auf Akkumulation von Kapital ausgelegten Vermieter*innen - und die Politik wittert Sozialismus. Es ist ein eindrucksvolles Paradebeispiel dafür, wessen Interesse tatsächlich vertreten wird, was besonders dann in Erinnerung gerufen werden muss, wenn einmal mehr von mehr „sozialem Wohnraum“ im Bundes- und Landtag debattiert wird. Es dreht sich keineswegs um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung, sondern um die Befriedung der Privatwirtschaft und ihr verbündeten, dialektischen Wechselspielen. Ein Gespenst geht um in Berlin - doch es ist die bürgerliche Angst vom Verlust der eigenen Deutungshoheit über ein Instrument der Kontrolle über das Kapital. Wenn ihnen das Instrument entgleitet, fallen sie in reflexartige Strohmänner, die sich einzig darum drehen, totalitarismustheoretische Vergleiche anzustellen. „Eigentum verpflichtet“ heißt es so schön, doch es ist eine hohle Phrase, die beliebig austauschbar bleibt, deren Entfaltung einzig daran geknüpft ist, von wessen Eigentum die Rede ist. „Die Deutsche Wohnen ist in den letzten Jahren wie ein Invasor in Berlin aufgetreten, wie ein Fremdkörper, der in diese Stadt eingefallen ist und nur das Ziel hatte, die Mieten in seinen Wohnungen nach oben zu treiben“, so Rouzbeh Taheri. Doch erst eine vermeintlich linke Regierung hat die „Invasion“ ermöglicht. Das ewige Lied des Kapitalismus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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