Die närrische Unvernunft

Fünfte Jahreszeit Karneval beginnt und bringt erneut die gesellschaftlichen Widersprüche zutage, die als Spiegelbild fungieren. Rassismus, Sexismus und Misogynie ist vorprogrammiert

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Die närrische Unvernunft

Foto: Lukas Schulze/Getty Images

Die sogenannte fünfte Jahreszeit ist in den Startlöchern. Ob Karneval, Fasching oder Fasnacht - des Deutschen liebste Zeit eint trotz lokaler Besonderheiten der Aufbruch des gesellschaftlichen Widerspruchs. Man bricht aus dem Alltag, dehnt die Grenzen des guten Geschmacks und gibt sich trotz stetiger Negation hochpolitisch. Ungeachtet der christlichen Tradition finden sich Bürger*innen aller Schichten und Konfessionen miteinander, bei der sich besonders in ländlichen Gebieten die Frage der Position danach im sozialen Kontext niederschlägt. Das „närrische Treiben“ ist fest verankert im kollektiven Gewissen und hat die einstige Intention schon längst der Lächerlichkeit preisgegeben. Während im Mittelalter geboren im Katholizismus die Fastnacht sich als religiös-zynische Abrechnung verstand, gewissermaßen als legale Elitenkritik, ist sie heute Zufluchtsort der bürgerlichen Restvernunft und längst verschmolzen mit der einst verbrämtem Elite. In ihr haftet sowohl der Schatten der eigenen historischen Verantwortung als auch das Spiegelbild der herrschenden Klasse. Sie ist dahingehend selbst Interpret rassistischer und antisemitischer Stereotype und gleichermaßen anfällig für dahintreibende Entwicklungen. An der Oberfläche mag sich die Jugend im Alkoholkonsum verlieren, doch darunter verbirgt sich eine vermisste Tradition, bei der sich das deutsche Bürgertum wieder so wähnen darf, ohne sich ihrer selbst zu schämen.

Der originär katholische Karneval ist auch in diesem Jahr trotz stetiger Kritik struktureller Diskriminierung nicht willens, lernfähig zu sein. Das kann er auch gar nicht, denn die Zeit an sich entspringt keiner gezielten Organisation, sondern ist stets Schnittstelle und Spiegelung des gesellschaftlichen Istzustands. Sie rezipiert daher auch nur, ohne selbst zu wirken. Die politische Rechtsentwicklung findet seine Verankerung in dieser Zeit, besonders in den politischen Aschermittwoch der etablierten Parteien. Doch auch in diesem Rahmen bleibt die scharfe Kritik gefangen im eigenen Widerspruch, bei der höchstens linke und rechte Parteien gemäß ihrer Stellung zum herrschenden System den Populisten geben. Besonders in rechtsradikalen Organisationen wird die Möglichkeit der Grenzverschiebung diskursiv in Anspruch genommen, bei der die sprachliche Verrohung nur die Rückübersetzung der deutschen Fastnacht ist. Die Fastnacht wähnt sich in absoluter Unschuldigkeit und kontert legitime Kritik am Traditionsbewusstsein tautologisch mit eben diesem. Letztes Jahr um diese Zeit kritisierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) die Faschingszeitung der Rötze Fastnacht. Verkauft wird diese Zeitung von sogenannten „Faschingsjuden“, die durch die bewusste Kleidung und die Funktion als Verkäufer antisemitisch stereotypisiert wird. Diesen Vorwurf dementierte der „Faschingspräsident“ Frank Gazinski gar nicht, sondern fühlt sich missverstanden. Seiner Ansicht nach soll diese Stereotypisierung den Antisemitismus entkräften und so als Stärke verkaufen. Dass eine Stereotypisierung ganz gleich, ob positiv oder negativ konnotiert diskriminierend resp. rassistisch ist, scheint Gazisnki jedoch nicht zu verstehen.

Durch diesen währenden Bezug auf eine alte Tradition befindet sich die Fastnacht in der prädestinierten Position, Nährboden rechtskonservativer und völkischer Entwicklungen zu sein. In der Zeit des Hitlerfaschismus gab es eine ungleichmäße Gleichschaltung des Faschings, die in München besonders erfolgreich wurde, in Mainz jedoch noch 1937 kritische Kommentare zu hören waren. Der stets postulierte Widerstand des Kölner Karnevals ist jedoch Produkt einer Legendenbildung. Der Historiker Carl Dietmar verweist auf die bis heute andauernde Leugnung der Zeit im Faschismus und dekonstruierte die „Narrenrevolte“ von 1935 als rein organisatorische Maßnahme. Inhaltlich jedoch waren sie durch und durch faschistisch. „So wurden die bereits entrechteten Juden in den Umzügen und auch in Büttenreden verhöhnt und verspottet“, so Dietmar. Der fehlende grundsätzliche Widerstand des Karnevals liegt in der Sache selbst, denn die gesellschaftliche Funktion ließ keine andere Möglichkeit zu. In dieser Hinsicht liegt eine soziologische Wesensverwandtschaft zwischen der faschistischen Massenbewegung und dem tradierten Karneval zugrunde. Der Mythos der aus dem Mittelalter übernommenen „närrischen Neckerei“ gegen den herrschenden Stand wurde unlängst widerlegt und ist bis heute paradoxe Selbstbeschreibung.

Offenkundiger wird die Auswahl der Verkleidung der selbsternannten Närr*innen. In eurozentristischer Herangehensweise werden jedes Jahr in unterschiedlicher Intensität rassistische, sexistische, transfeindliche und ableistische Merkmale rezipiert und bedient. Gerade zu klassisch ist hierbei das „Blackfacing“, bei der weiße Männer und Frauen in die „Rolle“ eines afrikanischen Menschen schlüpfen, häufig gepaart mit der rassistischer „Afrofrisur“. Doch auch die indigenen Völker Amerikas gehören zum Standardrepertoire der weißen Fastnacht, bei der besonders die weibliche Rolle einen sexistischen Unterton erfährt: indigene Frauen“kostüme“ sind besonders lasziv und leicht bekleidet, wobei eine dominante Sexualisierung der Frau* betont wird. Frauen* generell erfahren nicht nur eine sexistische Verdinglichung, sondern auch eine Enthumanisierung, wenn Männer die Rolle der Frau* einnehmen, und sich heterosexistisch wie eine „Frau“ kleiden. Wie der Student*innenrat der Universität Leipzig in einem Referat über „Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit und kulturelle Aneignung im Faschismus“ 2016 schreibt, erfüllen besonders Männer, die in Variationen als „Frau“ gehen, mehrere diskriminierende Elemente. Neben dem misogynen Faktor ist ein transfeindlicher Subtext vorhanden, bei der die „Verkleidung“ als strukturelle Machtergreifung zusätzlich gewertet werden muss. Die im Altertum zelebrierte „Gleichheit“ in der „närrischen Zeit“ war schon damals eine patriarchal zentrierte, die bis heute anhält. Diese offenkundigen Verdinglichungen und Enthumanisierungen von Lebensformen, Völker und Lebensweisen, die dem heterosexistischen, eurozentristischen Diskurs widersprechen, sind zentral in der vermeintlichen Neuordnung der deutschen Fastnacht.

Die fünfte Jahreszeit ist das Konglomerat gesellschaftlicher Widersprüche und ihrer Auswirkungen gleichermaßen. Die ihr inhärenten diskriminierenden Faktoren stehen dabei zentral in der inszenierten Selbstbehauptung und fungieren als entintellektualisierte Kritik, die sich jedoch ihrer selbst verweigert. Rassistische, antisemitische und klassistische Strukturen sind dabei existentiell und scheuen sich nicht vor der Behauptung, positiv veranlagt zu funktionieren. Das ewige Mantra, dies wäre alles schon so gewesen, noch vor der eigenen Zeit, straft dem dialektischem Prozess einer jeden gesellschaftlichen Entwicklung Lüge und Heuchelei. Die kolonialisierte Aneignung und der eurozentristische Blick rezipiert dabei all jene unterdrückten Schichten, die schon dem Wesen nach Opfer der kapitalistischen Gesellschaftsform sind. Vertreter*innen von Sinti und Roma, aber auch islamistische Terrorist*innen werden aus dem internationalen Kontext gerissen und der eigenen Überheblichkeit untergeordnet, um so eine vorgespielte Kritik zu ermöglichen. Ehrlicherweise müsste es um die Anklage an den eigenen Wandel gehen, jedwede Anpassung, Selbstkritik und materialistische Entwicklung akzeptieren zu müssen. Doch die Fastnacht kann nur dann den Rassismus, kolonialistische Aneignung und Sexismus abschweifen, wenn die Gesellschaft selbst sich jener entledigt. Dafür ist ein grundsätzlicher Wandel vonnöten, der bei ausbleibendem Erfolg allerdings selbst die Barbarei der bürgerlichen Klasse entwickeln wird. Der aus dem privaten Fernsehen bekannte Lieferservice für Karnevalsprodukte „Karneval Universe“ bietet zur passender Stunde auch schon mal eine Adolf-Hitler-Maske an. Da es der gesellschaftliche Rechtsruck nicht anders will, scheint es für den kapitalistischen Mehrwert unausweichlich, das dunkle Erbe der Fastnacht zu verdinglichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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