Eine 16jährige, ungarische Transfrau, wird von ihren Eltern nicht ernst genommen, weil sie nie „irgendwelche Zeichen“ an den Tag legte. Als sie den ersten Besuch bei einer Psychiaterin hatte, die angeblich mit der Thematik vertraut sei, war sie voller Zuversicht und Freude. Nach 20 Minuten kam die brutale Ernüchterung: die Psychiaterin meinte, das Transmädchen sei mehr ein „femininer Junge“ , was sie komplett zerstörte und in Tränen zwang. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das biologische Geschlecht nicht dekonstruierbar ist. Ein weiblicher und ein männlicher Körper lässt sich durch Worte nicht entfrauen und entmannen. Doch der Körper ist nicht der Mensch. Die Geschlechtsidentität des Menschen, der in dem Körper steckt, ist sehr wohl dekonstruierbar, da die Frage des Geschlechts (Gender) stets ein Spiegelbild der herrschenden Begebenheiten sind. So gab es beispielsweise bei den Ureinwohner*innen Amerikas 5 verschiedene Gender. Die Trans*sexualität ist keine neumodische Erfindung, sondern lässt sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen, in der es immer biologische Männer und Frauen gab, die quasi in das Geschlecht des anderen „schlüpften“. Die Natur kennt kein Gender. Es kennt hernach auch keine männliche oder weibliche Geschlechtsidentität. Doch das bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt.
Der Mensch abstrahierte in seiner Geschichte die geschlechtliche Identität stets von der körperlichen Sexualität. Der Penis wird mit dem männlichen Geschlecht und die Vagina mit dem weiblichen in Verbindung gebracht. Doch erst der Siegeszug des Bürgertums hat diese Vorstellung in das gesellschaftliche Bewusstsein hineingetragen – und zwar so tief, dass es für eine absolute Normalität gehalten wird. Der Mensch tut es sich mit der Norm erheblich einfach und folglich mit Menschen, die ihr nicht folgen, erheblich schwer. Die schwule Homosexualität beispielsweise war bis im späten 20. Jahrhundert eine anerkannte, psychiatrische Krankheit. Das Aufkommen der queeren Bewegung ist keine modische Neuerscheinung, sondern die konsequente Weiterführung der sexuellen Revolution der westlichen Staaten. Queere Menschen sind Menschen, die nicht in das bürgerliche Bild der Geschlechterverhältnisse passen. Dabei müssen jene selbst gar nicht anti-bürgerlich sein. Doch ein Blick in die politische Realität zeigt sehr gut auf, dass in rechten Kreise ein queeres Outing eine absolute Seltenheit ist. Doch die queere Identität hängt nicht von der politischen Weltanschauung ab. Hernach ist auch die Trans*sexualität keine Spinnerei einer herbei fabuliertenlinksgrünenDummschwätzerei, sondern eine radikal dialektische Wissenschaft. Es geht eben nicht darum, irgendetwas dazuerfinden, sondern darum, das zu benennen, was es schon ewig gab.
Die Sichtbarkeit der Versteckten zwingt die Gesellschaft dazu, den Wortschatz zu erweitern, verbleibt dabei jedoch auf materialistischer Basis. Die grundsätzliche Frage, die sie stets stellt ist, was die Männlich- und Weiblichkeit definiert. Jene sind ebenfalls nur das Spiegelbild der herrschenden, aktuellen Meinung. Und doch hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ein Bild herauskristallisiert, das die Verschiedenheit der Geschlechter durchaus benennen kann. Und doch ist das gerade nicht die Voraussetzung, um sich eine Identität zu erzwingen. Die bürgerliche Psychiatrie ist ein extrem reaktionäres Gebilde, das die queere Revolution im Keim erstickt und das duale Bild der Geschlechter aufrechterhält, in dem sie alle queeren Menschen pathologisiert, gar, sie zwingt sich zu pathologisieren, um anerkannt zu werden. Es gibt keinen Baukasten, der definiert, ab wann eine Person transsexuell ist und wann nicht. Diese Frage, wer man ist, kann man nur alleine beantworten. Und wenn die bürgerliche Psychiatrie einem sagt, man sei nur ein „femininer Junge“, ist das der dialektische Niedergang der Psychiatrie, da sie entgegen ihrem Anspruch gegen die aktuelle Zeit kämpft. Doch die politische Reaktion in dieser Frage lasst sich nicht mit Worten und Neuschöpfungen begegnen, sondern mit einer grundsätzlichen Umwälzung der herrschenden Voraussetzungen. Das Zeitalter der dualen Geschlechter neigt sich dem Ende.
Doch dieser Kampf bedeutet auch die Überwindung unserer eigenen Diskrepanz. Solange es Cisgender und Transgender als Begriffe geben muss, ist der Kampf nicht gewonnen. Niemand hat das Recht die individuelle Identität des Einzelnen in Frage zu stellen, schon gar nicht anhand körperlich-sexueller Merkmale. Ja, eine Vagina definiert eine biologische Frau, doch noch lange nicht einen weiblichen Menschen. John Oliver, Moderator der Sendung „Last NightTonight“, fasste den Widerspruch und den Umgang damit folgendermaßen zusammen: „Trans*Menschen haben ein Geschlecht, was sich von dem unterscheidet, welches ihnen von Geburt an zugewiesen wurde. Dieses soziale Geschlecht ist mit dem biologischen nicht gleichzusetzen. Geschlechtsidentität ist, was Du bist. Die sexuelle Orientierung ist, wen Du liebst. Einige Trans*Menschen bestreiten den Weg einer geschlechtsangleichenden Operation sowie einer Hormontherapie, andere wiederum nicht. Interessanterweise hat diese Entscheidung, was sie tun oder nicht, medizinisch gesprochen, Dich unter keinen Umständen zu interessieren. [...] Man fragt sich, wie man eine Trans*Person anspricht? Im Grunde ist es mehr als einfach: sprich sie an, wie sie angesprochen werden möchte.“ Doch vom gesprochenen Wort zur materialistischen Realität ist es erklärter Weise mehr als ein Katzensprung entfernt. Dennoch bleibt es unabdingbar, es stets immer und immer wieder anzusprechen.
Die queere Revolution
LGBTQ
Die Psychiatrie hat keine Antwort auf die queere Revolution. Zusammen mit der bürgerlichen Ideologie tut sie alles daran, das Bild der zwei Geschlechter zu verteidigen
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Mitglieder eines chinesischen „Trans-Chors“. Sie alle teilen die Erfahrung von Diskriminierung, in einem Land, in dem ihre Identität als psychische Krankheit gilt
Foto: Hector Retamal/AFP/Getty Images
23:55 02.10.2019
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Kommentare 4
"da sie entgegen ihrem Anspruch gegen die aktuelle Zeit kämpft", womit das Ganze zum "Zeitgeist" degradiert wird?Eines der lächerlichsten Vorurteile der Gegenseite lautet, daß schwule Elternpaare zu schwulen Kindern führen. Da würde natürlich sofort widersprochen, und zwar, weil es eben doch auch eine angeborene, körperliche Komponente gibt, welche beeinflußt als was man sich nun denn genau empfindet.Eine Wissenschaft, welche dies leugnet, bzw. allein auf die Sozialisation zurückführt, tut dies aus Gründen der politischen Manipulation, und begeht damit Verrat an der wissenschaftlichen Objektivität. Der allgemeine Antidiskriminierungs-Aktivismus schadet der eigenen Sache, wenn er meint, die letzten Reste von Diskriminierung dadurch beseitigen zu können, daß er die Mehrheitsgesellschaft, ob nun Männlein/Weiblein, Rassen, oder Klassen durch diverse Methoden vernichten, vermischen, spalten, oder gleichschalten könnte.
„Die Psychiatrie hat keine Antwort auf die queere Revolution. Zusammen mit der bürgerlichen Ideologie tut sie alles daran, das Bild der zwei Geschlechter zu verteidigen“
Sie beziehen sich für diese verquere Ansicht auf einen Reddit-Post? Und was bitte ist die „bürgerliche Psychiatrie“?
Nicht dass ich das Beispiel in Frage stelle, aber den inhaltlichen Transfer von der ungarischen Psychiaterin zur „bürgerlichen Psychiatrie“ kann ich nicht nachvollziehen.
..
LGBTQ Die Psychiatrie hat keine Antwort auf die queere Revolution.«
Bitte gestatten Sie ein paar Widerworte von einem Schwulen:
Ihre Laudatio hier trägt den Makel der Verallgemeinerung ihres Standpunktes. »Die queere Revolution«, wie Sie schreiben, vollzieht sich vor dem Hintergrund einer geschätzten Weltpopulation von vermutlich nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung. – Valide Zahlen gibt es nicht! In diesem Sinne betrachte ich Ihren Standpunkt als eine grandiose Übertreibung.
»Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das biologische Geschlecht nicht dekonstruierbar ist. Ein weiblicher und ein männlicher Körper lässt sich durch Worte nicht entfrauen und entmannen. Doch der Körper ist nicht der Mensch. Die Geschlechtsidentität des Menschen, der in dem Körper steckt, ist sehr wohl dekonstruierbar, da die Frage des Geschlechts (Gender) stets ein Spiegelbild der herrschenden Begebenheiten sind.« Von welchen Begebenheiten sprechen Sie?
All die Beispiele, die Sie nachfolgend anfügen, haben den Charm von seltenen Exoten – waren nicht etwa Gang und Gäbe. Gesellschaften sind damit immer unterschiedlich umgegangen und das wars. Sie mögen in vergangenen Zeiten sogar noch eine homosexuelle Kultur gepflegt haben oder heute noch die Lady Boys akzeptieren, doch die LGBTQ-Gemeinde ist und bleibt eine Minderheit, ist von daher überhaupt nicht in der Lage, eine »queere Revolution« zu veranstalten.
Ihre Provokation »…mit der bürgerlichen Ideologie tut sie alles daran, das Bild der zwei Geschlechter zu verteidigen«, ist nur vor dem Hintergrund einer dümmlichen Genderdiskussion zu verstehen, die Geschlechtseigenschaften von Menschen als Ergebnis ihrer Sozialisation definiert. Ein Schwachsinn angesichts der statistischen Tatsache, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das Prinzip Frau bzw. Mann lebt, eine Minderheit sich bestenfalls als Bi-Sexuell bezeichnet.
In diesem Sinne, aber auch nur in diesem Sinne stimme ich mit Ihnen überein, wenn Sie behaupten » …die queere Identität hängt nicht von der politischen Weltanschauung ab. Hernach ist auch die Trans*sexualität keine Spinnerei…«
Und ja – ich unterstütze: »Niemand hat das Recht die individuelle Identität des Einzelnen in Frage zu stellen, schon gar nicht anhand körperlich-sexueller Merkmale.«
Den Kalauer allerdings von John Oliver hätten sie besser weggelassen, denn er ist in mancherlei Hinsicht fragwürdig: »Geschlechtsidentität ist, was Du bist.« Noch nie etwas von Geschlechtsrollendiffusion Betroffener gehört?
||| Der Penis wird mit dem männlichen Geschlecht und die Vagina mit dem weiblichen in Verbindung gebracht. |||
Das ist zumindest unter biologischem Aspekt Blödsinn. Penis und Vagina sind Teile des jeweiligen Fortpflanzungssystems und werden somit nicht mit männlichem und weiblichem Geschlecht "in Verbindung gebracht", sie definieren und manifestieren vielmehr das jeweilige Geschlecht. Was nichts daran ändert, dass dieses Geschlecht immer noch durch psychische und/oder biochemische Besonderheiten überschrieben werden kann. Hinsichtlich der Häufigkeit dieses letzten Umstands schweigen valide Statistiken; dass hier von einer "Revolution" die Rede sein kann, darf getrost hinterfragt werden. Es ist eher so, dass in einige soziale Schichten einiger weniger Gesellschaften die Einsicht einsickert, dass einerseits das Biologische breiter aufgestellt ist, als evolutionäre Notwendigkeit allein es erklären könnte, und andererseits, dass das Menschliche nicht vom Biologischen allein definiert wird.
Ob Ungarn repräsentativ für "bürgerliche Psychiatrie" ist, darf bezweifelt werden. Andererseits darf auch bezweifelt werden, dass es viele Staaten und Gesellschaften auf der Erde gibt, die die beschworene Revolution mit offenen Armen empfangen. Der rechtliche Status der LGBTQ ist in vielen Nationen immer noch bestenfalls prekär, in vielen mörderisch.