Doch kein Linksrutsch

Bundestagswahl 2021 Die Linkspartei verlor trotz - oder wegen? - ihrer taktischen Manöver der vergangenen Wochen dramatisch an Stimmen. Weder SPD noch Grüne sind auf sie angewiesen.

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Das endgültige Ergebnis steht noch nicht fest, aber die ersten Hochrechnungen lassen bereits eine Tendenz erkennen. Besonders Gewinner*innen und Verlierer*innen der Bundestagswahl 2021 sind deutlich. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die zuletzt von 1998 bis 2005 mit Gerhard Schröder den Bundeskanzler stellte, konnte mit 26 % die meisten Stimmen auf sich vereinen. Die Unionsparteien, die seit 2005 mit Angela Merkel die Bundeskanzlerin stellten, landete mit knapp 24,5 % auf dem zweiten Platz. Dass die BRD erneut von der Union regiert wird, ist also alles andere als gemacht. Viel wahrscheinlicher scheint es derzeit, dass die neue Bundesregierung vom ehemaligen Bürgermeister aus Hamburg Olaf Scholz geführt wird. Während die SPD im Vergleich zu 2017 knapp 6 Prozentpunkte dazugewinnen konnte, sackten die Unionsparteien dramatisch ein. Spätestens seit der Ernennung Armin Laschets als Kanzlerkandidat wendete sich das Blatt. 2017 konnte die Union noch 32,9 % gewinnen, das ist ein Verlust von knapp 8,5 Prozentpunkten. Doch auch der Höhenflug von Bündnis 90/Die Grünen, der sie im Frühjahr bei bis zu 28 % sah, war nur von kurzer Dauer. Sie kamen auf nur noch 13,9 %, was immer noch ein Gewinn von 5 Prozentpunkten im Vergleich zu 2017 ist. Die Freien Demokrat*innen (FDP) konnten ihr Ergebnis leicht auf 11,7 % korrigieren, die rechtsnationale Alternative für Deutschland (AfD) sackte leicht auf 10,5 % ein. Die größte Verliererin ist allerdings die Linkspartei: im Jahr 2017 konnte sie 9,2 % der Wähler*innenstimmen auf sich vereinen. Jetzt liegt sie nur noch bei 5 %.

Wie eine Regierungskoalition aussehen wird, wird sich die folgenden Tage zeigen. Der herbei fabulierte Linksrutsch wird jedenfalls ausbleiben. Bei aktuellen Zahlen käme ein Bündnis aus SPD, Bündnisgrünen und Linkspartei nicht auf die benötigten 371 Stimmen. Bleibt es dabei, dass eine Koalition aus Unionsparteien und SPD ausgeschlossen wird, wird die kommende Bundesregierung aus drei Parteien bestehen müssen. Will die Union mit Armin Laschet den Bundeskanzler stellen, müsste sie eine Koalition mit Bündnisgrünen und der FDP eingehen. In Hinblick auf die Ambitionen der Bündnisgrünen scheint diese Konstellation allerdings wenig wahrscheinlich, was einen Kanzler Olaf Scholz mehr als gesichert erscheinen lässt. Wollen die Sozialdemokrat*innen die Konservativen in die Opposition verbannen, bliebe ihnen nur eine sogenannte „Ampel-Koalition“, bestehend aus FDP und Bündnisgrünen. Alternativ käme eine Koalition mit der Union infrage; als Drittpartei entweder die FDP oder die Bündnisgrünen. Gleich, wie es sich herausstellen wird, wird von einem neuen Aufbruch kaum die Rede sein werden. Denn wenngleich die SPD die neue führende Kraft ist, ist sie keine Partei, die seit Jahren nicht mehr in der Regierung war: in drei von vier Kabinetten Merkels war die SPD Juniorpartnerin der Union. Sie war hiernach in der Position, die Politik zu betreiben, für das sie stets gewählt wurde.

Dass gerade mit Olaf Scholz eine neue, soziale Politik auf der Agenda steht, ist in Hinblick auf die Positionen Scholzens nicht vermittelbar. Als Vertreter des rechten Flügels der Sozialdemokratie war er maßgeblich an der Entwicklung und Verteidigung der Agenda 2010 beteiligt, ist für die Errichtung von „Gefahrenzonen“ während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg verantwortlich und ist darüber hinaus für Finanzskandale zuständig. Eine tradierte sozialdemokratische Regierung wird man hier kaum erwarten können; diese wird ohnehin von der SPD kaum mehr vertreten, welche seit dem Schröder-Blair-Papier und dem sogenannten „dritten Weg“ Rechte der Arbeiter*innenklasse und der unterdrückten Schicht nach und nach einschränkten und bekämpften sowie sich für eine faktische Neoliberalisierung der Partei starkmachten. Dass mit Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans zwei mehr oder minder dezidiert linke Vertreter*innen die Partei führen, entkräftet die realpolitische Entwicklung keineswegs. So stehen auch sie besonders in außenpolitischen Fragen für einen radikal transatlantisch-militaristischen Kurs. Die Sozialdemokratie per se findet in ihrem Namensvetter SPD keine politische Heimat mehr. Die Partei, die sich trotz ihres pluralistischen Charakters als sozialdemokratische respektive reformistische Linkspartei versteht, ist gerade jene, die bei den Wahlen dramatisch verloren. Wie konnte das geschehen?

Das Scheitern der Linkspartei ist an mehrere Faktoren gebunden. Zwar ist eine Aufarbeitung dringend notwendig; dennoch war bereits in den vergangenen Wochen erkennbar, dass der neu eingeschlagene, teils mit der Parteibasis nicht abgestimmte Kurs der Führung einen Stimmenverlust nach sich ziehen wird. Im Frühjahr wurde noch das Ziel herausposaunt, man wolle auf jeden Fall zweistellig werden; nun ist derzeit nicht mal sicher, ob die Fünf-Prozent-Hürde erreicht wird. Drei Direktmandate scheinen jedoch sicher: Sören Pellmann aus Leipzig II, Gregor Gysi aus Treptow-Köpenick (Berlin) und Gesine Lötzsch aus Berlin-Lichtenberg. Die Führung der Linkspartei biederte sich an die SPD und Bündnisgrünen an, obgleich diese klar formulierten, welcher Konsens nicht aufgeweicht werden dürfe. Dass einige davon im Widerspruch zum Erfurter Parteiprogramm der Linkspartei standen und stehen, schienen Janine Wissler und Dietmar Bartsch jedoch wenig zu tangieren. Besonders im Falle der Außenpolitik waren sie zu weitreichenden Zugeständnissen bereit, die einerseits die Frage nach dem Austritt aus der Kriegsallianz NATO ausklammerte und Mandatierungen von Bundeswehreinsätzen betraf. Ein erster historischer Bruch des pazifistischen Profils erfolgte Ende August, als sich eine überwältigende Mehrheit der Abgeordnete der Linksfraktion der Stimme enthielten, die Evakuierung von Zivilist*innen aus Afghanistan über militärische Mittel zu organisieren. Dass sich das Militär hiernach nicht nur um die Zivilist*innen kümmern sollte, sondern auch eine strategische Verankerung über die Zeit hinaus nach sich zog, war offenkundig. Dass einige Abgeordnete gar für das Mandat stimmten, machte den Bruch mehr als deutlich.

Bereits in ihrem Sofortprogramm bekundete die Führung der Linkspartei wohlwollend eine „rot-grün-rote“ Koalition, die unter einem rechten Sozialdemokraten und den bellizistischenBündnisgrünen allerdings zu einer faktischen Unterordnung und Stimmengeberin der Linkspartei geführt hätte. Frieden mit Russland, reformistische Forderungen und eine Revision des deutschen Militarismus; Punkte, die in der Linkspartei eigentlich federführend sind, wären mit SPD und Bündnisgrünen nicht möglich gewesen. Dennoch pochte die Partei bis zur letzten Minute darauf, nur mit ihnen einen Politikwechsel vollbringen zu können. Eine solche reformistische Regierung hätte schlechterdings wenig erreichen können, was allerdings nicht als nachträgliche Rechtfertigung für einen Wahlboykott gelesen werden kann, sondern als Appell, dass die Linkspartei sich zu ihrem Parteiprogramm bekennt, und die Rolle der sozialistischen Opposition übernimmt. Ein notwendiger Politikwechsel, der die Überwindung des herrschenden Systems implizieren muss, ist in einer reformistisch-bürgerlichen Regierung nicht möglich. Die Linkspartei täte an diesem Ergebnis gut daran, das Desaster von 2002 nicht zu wiederholen. Sie muss sich auf das besinnen, was ihre historischen Vorbilder bereits predigten, darunter die Kommunistin Rosa Luxemburg, die die Notwendigkeit einer sozialistischen Regierung erst nach der Überwindung des kapitalistischen Systems erkennt. Bis dahin ist es Pflicht der Linkspartei, den sozialistischen Kern herauszuarbeiten und eine parlamentarische Opposition zu fahren bei gleichzeitigem Widerstand gegen den Kapitalismus, auf der Straße, in den Gewerkschaften und den Massen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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