Alte Denke, neue Verpackung

Gender Der Gesetzesentwurf zur Reform des Transsexuellengesetz ist eine Katastrophe. Anstatt auf legitime Kritik zu hören, wird weiter auf Zwang gesetzt

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Alte Denke, neue Verpackung

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahre 1981 wird seit mehreren Jahren in von Verbänden, Transsexuellen und Angehörigen scharf kritisiert. Im Jahre 2011 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass die Gesetzgeber*innen eine grundlegende Reform erarbeiten sollen. Am 8. Mai 2019 wurde vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sonach ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der BuzzFeed Deutschland exklusiv vorliegt. Im Zuge der Entscheidung, ein drittes Geschlecht zu ermöglichen, wandte man sich dem alten TSG zu, um den Kritiken und Problemen der Vergangenheit und Gegenwart entgegenzuwirken. Die Tatsache, dass den beteiligten Verbänden, denen der Entwurf geschickt wurde, nur zwei Tage Zeit gewährt wird, um eine Antwort und Stellungnahme zu verfassen, ist dabei alles andere als ein gutes Zeichen. Begründet wird die extrem verkürzte Reaktionszeit nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass die sogenannte Reform mit so wenig Widerstand und Reaktionen wie möglich durch die Instanzen gejagt werden soll. Anstatt den Status Quo zu überwinden und die juristische Unsicherheit im Falle von transsexuellen Menschen zu schließen, zementiert der Entwurf so einen der Punkte, der häufig kritisiert wurde: Das Selbstbestimmungsrecht der queeren Menschen wird unter Vorbehalt gestellt und weiterhin an psychologischen und ärztlichen Gutachten geheftet – auch wenn diese so nicht genannt werden.

Bereits die Problem- und Zielsetzung im Entwurf bleibt in binären Strukturen verankert. Anstatt den wissenschaftlichen und soziologischen Konsens anzuerkennen, dass das Geschlecht (Gender) über „männliche“ und „weibliche“ Charakteristika hinausgeht, wird sich, obgleich kritisch, mit dem überholten Bild vom „eindeutig weiblichen oder männlichen Körperbild“ befasst. Um eine Lösung zu formulieren, wird jedoch wert darauf gelegt, eine „Ernsthaftigkeit“ als Voraussetzung zu formulieren, die mit keiner weiteren Bemerkung erklärt, eruiert oder untermauert wird. Dadurch wird unmissverständlich suggeriert, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der keine Abweichungen zulässt. Im Gegenteil, bei widersprechenden oder dem Antrag zuwiderlaufenden Handlungen und Aktionen wird mit Hinblick auf eine Änderung des § 409(g) im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) darauf hingewiesen, dass eine „erneute Antragsstellung auf Änderung des Geschlechtseintrag“ erst nach einer Frist von drei Jahren möglich ist. Wer hiernach aus persönlichen, beruflichen, psychischen oder anderen Gründen zukünftige juristische Anpassungen des Geschlechts zurückzieht, erfährt wortwörtlich eine Sanktion. Es ist ein bestrafendes Verfahren, das gegen das absolute Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen gerichtet ist.

Die Frage, ob es so weit kommen wird, bleibt der gegen die Interessen der queeren Menschen handelnde Entwurf jedoch offen. Ein kleiner Fortschritt ist es, dass transsexuellen Menschen eine grundsätzliche Streichung der Geschlechtszugehörigkeit in Aussicht gestellt wird. Nichtsdestoweniger hat sich im Gegensatz zum alten TSG wenig geändert. Anstelle eines Gutachten wird formal von einer „Beratungsbescheinigung“ gesprochen, die verpflichtet sein wird. Dafür wurde ein sperriger Gesetzesname aus der Taufe gehoben, der sich Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz, kurz GIBG, nennt. Darin wird die Aufgabe der „Beratung“ als „Anspruch“ gefasst, was jedoch im Widerspruch zur Voraussetzung niedergeschrieben im Entwurf BGB § 19 steht, der neben der postulierten „Ernsthaftigkeit“ und „Sicherheit“ die sogenannte „Beratungsbescheinigung“ benötigt. Das Ziel dieser „Beratung“ ist nicht zu unterscheiden von einem psychologisches Gutachten, in dem erklärt werden muss, „dass sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft“ seinem*ihrem Geschlecht zugehörig fühlt. Letztlich wird dieser vermeintliche Fortschritt mit der Aufforderung begründet, solche „Bescheinigungen“ zu begründen. Das hat in der Praxis zur Folge, dass besonders bei konservativen oder unsensiblen Personen, die nach dem GIBG ausgesucht werden, reaktionäre und binäre Herangehensweisen an den Tag legen, was dazu führt, den beratenden Menschen nicht ernstzunehmen.

Binnen weniger Stunden haben sich bereits mit der Thematik befasste Personen und Vereine zu Wort gemeldet. Während Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) die kurze Reaktionszeit scharf kritisiert, spricht Doris Achelwilm, Gleichstellungssprecherin der Linkspartei, von einer „Enttäuschung“ und greift das eingeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Entwurfes an. Ähnlich argumentieren sowohl Sven Lehmann von Bündnis 90/Die Grünen als auch Jens Brandenburg von der Freien Demokratischen Partei (FDP). Sie halten dem Entwurf vor, dass er „Trans- und Intersexuelle“ mittels „Zwang über den Körper“ weiter bevormunde und dass die Entscheidung, „welche geschlechtliche Identität“ jemand habe, nur der Mensch selbst entscheiden könne. Dass sich die BRD hier nicht mit Ruhm bekleckert, war in der Konstellation der Regierungsfraktion leider zu erwarten. Dass es erheblich fortschrittlicher und menschenfreundlicher funktioniert, zeigen besonders Dänemark und Argentinien. Während das Königreich 2017 ihr TSG entbürokratisierte und Menschen ab 18 Jahren ohne weitere Voraussetzungen eine Änderung des Personenstands bietet, stimmte 2012 bereits Argentinien dafür, jedem Menschen einmalig frei entscheiden zu lassen, ob und was er*sie eingetragen haben möchte. Der Entwurf ist hiermit eine Fortsetzung des TSG und keineswegs eine Weiterentwicklung, mehr eine Verankerung alter Gepflogenheiten.

Lotte Laloire vergleicht in ihrem Kommentar im neuen deutschland den „Beratungszwang“ mit „dem für Schwangere vor einem Abbruch“. „Eine Frechheit“ sei der Entwurf und das Verhalten der Regierung im Bezug auf die Reaktionszeit – womit sie mehr als Recht hat. Es muss grundsätzlich Schluss sein mit der Pathologisierung transsexueller und aller anderen queeren Menschen, deren Selbstbestimmungsrecht durch die binäre Norm und Gesellschaftsstruktur erheblich eingeschränkt wird. Das gegen den Willen des Einzelnen von Geburt an von Ärzt*innen aufoktroyierte Geschlecht scheint unwiderruflich und absolut für den Rest des Lebens zu sein. Dabei ist das Geschlecht kein starrers Ding und auch nicht einzig auf „männlich“ und „weiblich“ zu reduzieren. Daher ist auch das dritte Geschlecht nur eine vorübergehende Lösung, denn es zwingt weiterhin den Menschen zu einer Entscheidung, die im bürokratischen Duktus und der Logik des binären Bürgertums unwiderruflich zu sein scheint. Die Kritik an dem Entwurf muss unmittelbar mit einer grundsätzlichen Psychiatriekritik verknüpft werden, die daran setzen muss, die Normalität des Geschlechts von den binären Ketten zu befreien und sowohl eine frei bestimmte Willensentscheidung über die eigene Identität ohne Druck von außen und oben ermöglichen als auch den Kampf gegen strukturelle Feindseligkeit, Diskriminierung und Gewalt gegen nicht-binäre Menschen zu führen. Das neue TSG ist die Fortsetzung des Alten und bis auf ein paar semantische Schönheitskorrekturen und vermeintlichen Verbesserungen ein Schlag ins Gesicht der queeren Menschen, deren Kampf damit erst begonnen hat, für die Freiheit ihrer selbst und aller zu streiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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