Ein nichtenden wollendes Ende

SPD Die altehrwürdige Sozialdemokratie steht vor einem Scherbenhaufen. Das ist Resultat einer Politik, die seit 100 Jahren versucht, sich im Kapitalismus bequem zu machen.

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„Wir haben nicht mehr viel Platz nach unten“, meint Simone Lange von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Gemeint sind nicht nur die kontinuierlich schlechten Ergebnisse der Partei, sondern auch der fehlende interne Kompass, wohin es gehen soll. Nachdem die Vorsitzende Andrea Nahles am gestrigen Sonntag von allen Ämtern zurückgetreten ist, steht die SPD einmal wieder vor dem Scheideweg, den sie nicht meistern kann. Die Werte der altehrwürdigen Sozialdemokratie sind mitnichten erst seit ein paar Jahren verraten worden, sondern schon Jahrzehnte wird der Kern dessen bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt. Weder von der sozialistischen Arbeiter*innenpartei noch von der selbsternannten „Volkspartei“ ist noch etwas übrig. Die Partei kämpft um das politische Überleben, sieht sich sowohl von rechts als auch von links unter Druck gesetzt. Wobei konstatiert werden muss, dass auch die sozialdemokratische Linkspartei sich trotz des Desasters nicht behaupten kann, was ein grundsätzliches Problem der Sozialdemokratie ist. Um jedoch zu verstehen, wie die älteste Partei Deutschlands zu diesem Scherbenhaufen gelangen konnte, ist ein kurzer Blick in ihre Geschichte unausweichlich. Einst als Leuchtfeuer der internationalen Arbeiter*innenbewegung im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft ist sie heute Verwalterin eines Spätkapitalismus, der anfängt, seine eigenen Kinder zu fressen.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wurde 1875 aus der Vereinigung des trade-unionistischen Flügels um Ferdinand Lasalle und des kommunistischen Flügels um Karl Marx und Friedrich Engels gegründet. Bis zu Engels' Tod 1895 verfolgte die SPD einen klar revolutionären, marxistischen Weg, anerkannte den Klassenkampf und die Arbeitswerttheorie, welche durch den damaligen Haustheoretiker Karl Kautsky rezipiert wurde. Als das Gothaer Programm verabschiedet wurde bewegte sich die Partei sogar auf ultralinkem Gefilde, ein Phänomen, welches damals noch nicht so genannt, von Karl Marx allerdings entschieden kritisiert wurde. In den 1890er Jahren entwickelte Eduard Bernstein die revisionistische Theorie, die die SPD in drei Flügel spaltete: einen linken, revolutionären Flügel um Karl Kautsky, den zentristischen Flügel um August Bebel und den rechten, reformistischen Flügel um Eduard Bernstein, der bis zum Jahre 1914 trotz stringenter Kritik seitens der linken Opposition sich etablieren konnte. Bernstein negierte den Klassenkampf und das Revolutionskonzept und plädierte auf einen legalistischen, d.h. parlamentarischen Weg: die SPD solle die gesellschaftliche Mehrheit mittels Wahlen erlangen, um sodann den Sozialismus schrittweise aufzubauen. Das führte in den 1900er Jahren dann auch zu starken, internen Kämpfen mit Rosa Luxemburg, die als entschiedene Gegnerin des legalistischen Kurses auftrat und für einen orthodoxen Marxismus eintrat, wie auch Karl Kautsky, obgleich er anfing zu schwanken.

Das Wesen einer revolutionären Arbeiter*innenpartei stellte die SPD vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914-1918) immer mehr in frage, da die Reformist*innen die Schlüsselpositionen einnahmen und der zentristische Flügel um August Bebel de facto grünes Licht gab. Doch selbst nach Ausbruch des Krieges war die Partei eine linke Arbeiter*innenpartei, da die Marxist*innen keine andere politische Heimat hatten und in die Partei vertrauten. Dieses Vertrauen wurde jedoch durch den immer härter aufkeimenden Nationalismus stark beschädigt, was den linken Flügel um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Paul Levi dazu veranlasste, 1916 die Spartakusgruppe zu gründen, welche 1917 in der USPD, eine faktisch zentristische Partei mit Hang zum Revolutionismus, eine wichtige Strömung einnahm. Die SPD selbst baute 1917-1919 auf eine bürgerliche Demokratie und schreckte nicht davor zurück, ehemalige Genoss*innen zu ermorden, ursprüngliche Ideale zu verraten und die Vorstellung des Sozialismus' bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Mit Gustav Noske, Friedrich Scheidemann und Friedrich Ebert konnte der rechte Flügel der SPD die Macht an sich reißen, wodurch das Programm Eduard Bernsteins (welcher 1932 in Berlin verstarb) vollends zur Geltung brachte.

Ihre Aufgabe in der Weimarer Republik war eine sehr unglückliche. Anstatt mit anderen Linksparteien einen Block gegen den aufkommenden Faschismus zu bilden, gründete sie selbst bürgerlich-sozialdemokratische Korps, Hundertschaften, Gewerkschaften und Gruppierungen, was sie unweigerlich in temporäre Bündnispolitiken mit Monarchist*innen, Deutschnationalist*innen und Liberale zwang. Auch als Reaktion auf die schreiend falsche Politik der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in den 1920er Jahren distanzierte sie sich immer weiter von ihren Wurzeln und etablierte sich als Wahrerin der bürgerlichen Demokratie, ein Zustand, den Marx bis in die Knochen verabscheute. Die Zeit in der Weimarer Republik war eine essenzielle der Partei, welche sehr viele Grundsteine legte für das heutige Verhalten der SPD. Als die faschistische Diktatur herrschte, wurde die Partei in den Untergrund gezwungen, wodurch sie sich jedoch nicht zum sozialistischen Erbe bekannte, sondern der Sozialdemokratie, wie wir sie heute kennen, entscheidend zu prägen begann. Während sie nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR mit der Kommunistischen Partei zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vereinigt wurde, schlug sie in der BRD einen rechten Kurs ein und verdammte unter Konrad Adenauer jegliches marxistisches Verhalten, was auch als Trotzreaktion auf die deutschen Stalinist*innen zu werten ist. Neben den Unionsparteien avancierte die SPD zu einer maßgebenden Volkspartei, die 1959 im Godesberger Programm ihren ersten und ausschlaggebenden Ausdruck fand: der demokratische Sozialismus wird als Synonym zur Sozialen Marktwirtschaft definiert, d.h. die SPD ist seit 1959 eine kapitalistische Partei.

Dieser Kurs wurde in den letzten 60 Jahren kontinuierlich bestätigt. In Koalition mit den Grünen wurde nach der „Wiedervereinigung“ ein militaristischer Kurs gegen Jugoslawien vom Zaun gebrochen und der ohnehin schwache Sozialstaat durch die Agenda 2010 vollends ausgehöhlt. Die essentielle Frage, die sich stellt ist, wohin die Reise gehen soll. Der traditionell sozialdemokratische Weg des Reformismus ist kläglich gescheitert, er konnte nicht einlösen, was er seit jeher forderteine gerechtere Gesellschaft. Um das Dilemma der parlamentarischen Linken zu überwinden, wird mittelfristig die Frage im Raum stehen, ob eine Fusion mit Teilen der Linkspartei notgedrungen sein wird. Doch auch das wird die eigentliche Frage nicht lösen, die in den Wurzeln des Sozialismus begründet liegen: wie ist eine Gesellschaft frei von Unterdrückung möglich und durchsetzbar? Der Weg der SPD steht dem diametral entgegen, derso abgedroschen es auch klingen magals Verräter der Arbeiter*innen zu bezeichnen ist. Auch die neue Führung wird am Widerspruch zugrunde gehen, wenn sie weiterhin ihr Heil in der Regierungsverantwortung finden mag. Von der traditionellen Sozialdemokratie ist nichts mehr übrig. Es ist nur noch eine Worthülse, um den Schein einer sozialen Ader zu wahren, doch im Kern läuft ihre Reform des Kapitalismus dahin, eben jenen gegen jeden Zweifel zu verteidigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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