Eine euro-optimistische Linke

Europawahl 2019 Das Wahlprogramm der Partei kommt erstaunlich zahm und harmlos daher. Es vertritt eine klassisch sozialdemokratische Politik mit der Gefahr, die SPD zu beerben.

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Vom 23. bis 26. Mai 2019 findet die neunte Wahl zum Europaparlament statt. In der BRD wird am Sonntag, den 26. Mai gewählt. Die deutsche Linkspartei, die in der EU-Fraktion „Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken“ (GUE/NGL) mit 7 Abgeordnete die größte nationale Partei stellt, veröffentlichte vor wenigen Tagen den ersten Entwurf ihres Wahlprogramms. Am Wochenendes des 8. und 9. Dezember 2018 wird der Leitantrag des Programms durch den Parteivorstand verabschiedet, um voraussichtlich am 8. Februar des nächsten Jahres die letzten Änderungsanträge zu diskutieren. Vom 23. und 24. Februar 2019 soll das endgültige Programm dann verabschiedet werden. Als Spitzenkandidat*innen der Partei wurden die NRW-Politikerin Özlem Demirel und Martin Schirdewan gewählt, der aufgrund des Wechsels Fabio de Masis in den Bundestag 2017 in das EU-Parlament nachrückte. Aktuellen Umfragen zufolge wird die Partei mit 9-10% gehandelt, was ein verbessertes Ergebnis zur letzten Wahl darstellt (7,4%). Obgleich der Entwurf noch nicht in endgültiger Fassung verabschiedet wurde, gibt er die Stoßrichtung an, was die Linke mit der Europäischen Union (EU) verändern möchte. Besonderen Stellenwert erhält die Sozial- und Arbeitspolitik sowie die Militarisierung und der darauf beziehenden Migrations- und Flüchtlingspolitik.

Der französische Ökonom Cédric Durand sprach im Kontext der Haltung zur EU von zwei divergierenden Fraktionen: Euro-Optimist*innen und Euro-Pessimist*innen. Erstere beschreibt er als reformistische Kräfte, die das europäische Projekt gestalten wollen und es - auch bei direkter Kritik - grundsätzlich bejahen. Zweitere sieht er als strikt oppositionelle Kräfte, die das Versprechen der EU für nicht eingehalten sehen und sie hernach abwickeln wollen. Die obligatorische Unterscheidung zwischen euroskeptischen und pro-europäischen Fraktionen wirkt dahingehend überholt. Der Programmentwurf der Linkspartei positioniert sie nach Durand eindeutig in eine euro-optimistische Fraktion. Die Union wird als Friedensprojekt bejaht, formuliert jedoch strikte Kritik an den sozialen Rechten der Unionsbürger*innen. Bereits in der Präambel wird das Missverhältnis zwischen Profitstreben der Märkte und den individuellen Rechten der Arbeiter*innen angeprangert. Der neoliberalen Wirtschaftspolitik wird eine Absage erteilt und der autoritäre Charakter des Kapitalismus kritisiert. Eine direkt antikapitalistische Politik ist nicht ableitbar, womit die Position verstärkt wird, den Kapitalismus lediglich zu reformieren. Mit der Betonung auf der „Kraftlosigkeit der Sozialdemokratie“ wird (un)bewusst das Erbe der sterbenden SPD angetreten.

Die Linkspartei fordert mit ihren Partner*innen in der GUE/NGL eine verbindliche Mindestlohnregelung auf EU-Ebene, im Falle für die BRD mindestens 12 Euro. Ohne es näher zu definieren wird von einer sicheren Arbeit, „die zum Leben passt“ geschrieben, womit speziell mit Blick auf Österreich der „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ eine Absage erteilt und eine 30-Stunden-Woche gefordert wird. Darüber hinaus sollen die Pflichten und Rechte der Gewerkschaften gestärkt, die sogenannte Sozialpartnerschaft gefördert und eine Mitbestimmung der Arbeiter*innen erkämpft werden. Der Ruf nach mehr Mitbestimmung findet sich an vielen Stellen des Entwurfes, ohne das darauf näher eingegangen wird. Die Rechte der Arbeiter*innen und Bürger*innen soll über das Arbeitsleben hinaus durch den Ausbau der Infrastruktur und der Sicherung der Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Gesundheit garantiert werden. Die nebulöse Äußerung, statt Banken Beschäftigte mit einem „Rettungsschirm“ abzufangen lässt auf einen verstärkten Schutz des Arbeitsplatzes schließen. Das in der Partei selbst kontrovers diskutierte Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird mit dem Wunsch nach einer „individuellen“ Mindestsicherung ins Gespräch gebracht.

Die wirtschaftspolitischen Forderungen tragen eine klar linkssozialdemokratische Handschrift. Der explizite Exportüberschuss der BRD wird für die desaströse Politik der sogenannten Troika (IWF/EZB/EU-Kommission) mitverantwortlich gemacht, welche vor allem in Griechenland und weiteren Staaten des europäischen Südens ins Elend trieb. Die massive Ungleichheit der „Wettbewerbsfähigkeit“, die als Primat der Wirtschaft schlechthin kritisiert wird, soll durch die Beendigung der Austeritätspolitik und Lockerung der Schuldengrenze begegnet werden. Lokale und regionale Akteur*innen sollen in wirtschaftlichen Kreisläufen gestärkt und durch öffentliche Investitionen gefördert werden. Dem zusätzlich wird eine „linke Industriepolitik“ propagiert, die vor allem strukturschwache Gegenden stärken soll und ebenso durch „demokratische Mitbestimmungen“ reformiert werden soll. Von einer Verstaatlichung der Banken wird zwar nicht gesprochen, jedoch schwammig von deren „Entmachtung“, wovon bspw. eine öffentlich-privatrechtliche Teilhabe nicht ausgeschlossen ist.

Fiskalpolitisch fordert sie wie viele Globalisierungskritiker*innen die sogenannte Tobin-Steuer von 0,1%, eine unionsweite Vermögenssteuer und ein einheitlicher Steuersatz für Unternehmen. Adressiert an u.a. Google und Amazon wird vor allem das Steuerkonzept Irlands und Luxemburgs kritisiert, das jährliche Verluste von Milliardenbeträge für die EU-Staaten bedeutet. Dieses fehlende Defizit wird zynisch durch eine stetige militärische Aufrüstung konterkariert. Es ist gewiss nicht übertrieben zu sagen, dass die Welt sich im Zweiten Kalten Krieg befindet. Die jüngsten Provokationen der Ukraine im Schwarzen Meer verdeutlicht das Säbelrasseln. Der Friedens-Nobelpreis, den die EU 2012 erhielt, tritt sie konsequent mit Füßen, wenn die EU-Staaten, die auch Mitglied der NATO sind, 3x mehr für Militär ausgeben als Russland. Die Linke fordert eine konsequente Entmilitarisierung Europas, das grundsätzlichen Verbot von Rüstungsexporten und die langfristige Auflösung der NATO, die durch ein „Sicherungssystem“ mit Russland ersetzt werden soll. Die EU gibt jährlich 5,5 Milliarden Euro für das Militär aus. Mit dem Betrag könnte der weltweite Hunger halbiert werden. Dem darüber hinaus wird die Militarisierung als Hauptursache für die Eskalation der Kriege in Staaten wie Afghanistan, Syrien und Jemen verantwortlich gemacht. Das Asylrecht soll reaktiviert und die Vereinbarungen mit Despoten und Diktatoren („Flüchtling-Deals“) sofort aufgekündigt werden.

Der Entwurf der Linkspartei zum Europaparlament gibt sich erstaunlich handzahm und leitet ihre wirtschaftspolitischen Standpunkte von keynesianistischen Ideen ab. Eine grundsätzliche Gesellschaftskritik wird ebenso vermisst wie das Bekenntnis zur Überwindung des Kapitalismus, was immerhin im Programm der Bundespartei verankert ist. Wie in der Präambel angedeutet wird ein Projekt der mittelfristigen Übernahme der europäischen Sozialdemokratie angestrebt. Besonders deutlich wird das in den vielen Forderungen nach gewerkschaftlicher Stärke, der Stärkung sozialer Rechte durch den Staat und der Vereinheitlichung der Union, sprich dem Wunsch nach den Vereinigten Staaten von Europa. Das eigentliche Feuer und die notwendige Schärfe und Kritik lässt sich in der Abrechnung mit der Militarisierung und der Flüchtlingspolitik sehen, in dem kompromisslerisches Verhalten nahezu nicht existent ist. Die deutsche Linkspartei ist trotz der Kritik an der EU eine euro-optimistische Partei, die sich nach und nach der eigenen Wurzeln distanziert und den Fehler begeht, das versuchen zu halten, was nicht zu halten ist. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Diskussionen und Anträge das Programm nach links rückt, wobei Worten noch lange keine Taten folgen müssen. Dieser Entwurf lässt den verspäteten Transformationsprozess erkennen, denn die ehemaligen Staatsparteien des sogenannten „Ostblocks“ in den 1990er Jahren binnen weniger Monate vollzogen. Eine neoliberale EU lässt sich nicht reformieren. Sie muss von Grund auf verändert werden. Diese radikale Zielsetzung sollte Grundvoraussetzung einer jeden linken Partei sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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