Eine kapitalistische Pandemie

Coronavirus Es ist nicht das Virus, das die Menschen tötet, sondern der Kapitalismus. Die Quarantäne ist hierbei eine autoritäre Entwicklung zur Selbstverteidigung des Systems.

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Knapp zwei Monate nach Ausbruch des Coronavirus (COVID-19) wird auch in der BRD die Ernsthaftigkeit dahinter anerkannt. Für die kommende Woche wird die Schließung der Grenzen zu u. a. Dänemark, Frankreich und der Schweiz angeordnet, nach dem in einigen Städten und Gegenden bereits das kulturelle Leben zum Stillstand gezwungen wurde. Die unbekannte Konstante des Virus stellt für die Regierungen dahingehend eine Problematik dar, als dass obligatorische Mechanismen des herrschenden Systems nicht mehr zu greifen scheinen. Wobei hierbei ein Trugschluss auszumachen ist: die Pandemie ist ein Ausdruck der Krise des Kapitalismus in einem Stadium, als dass die inhärenten Selbsterhaltungsmechanismen die eigentlichen Schwächen und Gefahren offenbaren. Dabei muss bedacht werden, dass es sich bei COVID-19 nicht um ein abstrahiertes Phänomen handelt, welches einzig auf den Ursprung zurückzuführen ist. Demzufolge ist es folgerichtig und unabwendbar, nicht eine Region in der Volksrepublik für die derzeitige Krise zur Verantwortung zu ziehen respektive individuelles (Fehl)-Verhalten, in der westlichem Hemisphäre. Die Krise, wie sie derzeitig die Gesellschaft ereilt, ist Resultat und Produkt gleichermaßen der kapitalistischen Produktionsweise, die von der Freiheit und der Demokratie derer spricht, die sich in ihr befinden. Dass sich dieser Freiheitsgedanke als illusorisch ausprägt, ist für die ärmste Schicht der Gesellschaft kein Novum, wird im autoritären Gehabe der Regierungen jedoch nochmals ausdrücklich veranschaulicht.

Besonders gefährlich ist das Virus für schwache und alte Menschen, deren Immunsystem auf die neue Herausforderung nur schwach oder gar nicht reagieren kann. Dementsprechend ist von einer weiter steigenden Todesrate auszugehen. Die Rolle der Quarantäne spielt hierbei eine vermeintlich einvernehmliche, wobei konstatiert werden muss, dass dieses Mittel kein obligatorisches ist, sondern ebenso in der Logik der kapitalistischen Dialektik zu finden ist. Die vermeintliche Freiheit des Marktes kehrt sich in ihr Gegenteil um, alsbald das politische, ökonomische und soziale Leben durch die Pandemie einen Einbruch erfährt. Der Ruf nach zinslosen Krediten und Anleihen ist groß und gewaltig, die Bundesregierung scheint dem gerne nachzukommen. Um den wirtschaftlichen Niedergang zu hemmen, spricht der Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) von möglichen „Verstaatlichungen“. Der Aufschrei im marktradikalen und bürgerlichen Gefilde ist erwartbar, dennoch offenbart sich hier ein Zugeständnis, welches nicht als solches diskutiert wird. Eine staatliche Kontrolle über die Wirtschaft wird als Option herangezogen, um den ökonomischen Down Fall zu begegnen. Es handelt sich hier natürlich nicht um sozialistische Gedankenspiele, doch legen sie die DNA des kapitalistischen Marktradikalismus zutage, welcher in Krisensituationen eben nicht zur Verteidigung greift. Altmaier geht es freilich nicht um die Löhne der Arbeiter*innen, sondern der Festigung des Status Quo. Daher ist der Ruf nach „Verstaatlichung“ auch kein Wink in die richtige Richtung, sondern umgekehrt der autoritäre Mechanismus der Regulierung des Wirtschaftssystems, um die Profitlogik zu verteidigen.

Vor einem Jahr wurde noch groß und lauthals in den Medien posaunt, dass die Schließung oder Privatisierung von Krankenhäusern eine stringente Notwendigkeit sei, da es zur „problematischen Überversorung“ käme. Die von der marktradikalen Bertelsmann-Stiftung produzierte Studie wirkt in der heutigen Zeit wie ein blanker Hohn, obgleich schon damals klar und jedem bewusst sein sollte, dass eine Schließung von ärztlichen Zentren respektive deren Privatisierungen zu einem rasanten qualitiativen Einbruch führen würde. Die Pandemie offenbart diese verheerende Politik eindrücklich, bei der bereits nach wenigen Tagen eine Überforderung zu merken ist und dahingehend eine ausreichende Betreuung verunmöglicht wird. Die Zerstörung der öffentlichen Kraft im medizinischen Sektor ist dialektisches Produkt des Kapitalismus, welcher die Brutalität heute offenbart. Die Reaktion in dieser Situation kann nur die Quarantäne sein, bei der an das Individuum appelliert wird, eine Verbreitung zu dämmen. Eine Kritik an dieser Abschottungspolitik in jedem Maße muss die Systemkritik miteinbeziehen, denn in der logischen Konsequenz kann die Durchführung nur sein, das Individuum zu brechen, wie es bereits im spanischen Königreich zu sehen ist, bei der bei Nichtbeachtung der Ausgangssperre horrende Strafen aufgebrummt werden.

Der kollektive Solidaritätsgedanke ist ein wichtiger und zu unterstützender, dennoch darf diese Losung, einfach zu Hause zu bleiben, nicht zu einer Unterstützung von autoritären Maßnahmen führen, die in der Härte immer konkreter werden müssen. Die Forderungen, zu Hause zu bleiben, mag für Unternehmer*innen und Teile der höheren Schichten keine Problematik darstellen, doch für Arbeiter*innen, welche auf den Lohn angewiesen sind oder Kinder und Jugendliche, welche aufgrund der Schließung von Bildungseinrichtungen bei den arbeitenden Eltern bleiben müssen, offenbart sich eine weitere Konglomeration von Problematiken, die an der Wurzel gepackt werden muss. Dass die Kapitalist*innen ihre Angestellten ungern entlohnen, wenn sie der Arbeit fern bleiben, ist offenkundig. Hiernach kann auch da nur der Staat eingreifen, was jedoch in ein Dilemma führen wird, das sich negativ auf den ökonomischen Faktor niederschlagen wird. Die faktische Schließung des kulturellen Lebens zwingt viele in die Arbeitslosigkeit, besonders Selbständige. Das Coronavirus ist ein Faktor, welcher den eigentlichen Charakter des Kapitalismus schonungslos erkenntlich macht. Doch es scheint noch nicht im Bewusstsein angelangt zu sein, dass die eigentliche Krise nicht die des Coronavirus ist, sondern dem Versagen der Staaten, die sich der kapitalistischen Profitlogik unterworfen haben. Wenn der medizinische Sektor faktisch kampfunfähig gemacht wurde, bringt es wenig, Desinfektionsmittel und Klopapier zu horten, obgleich auch hier der Egoismus jener zutage kommt, die der Barbarei des Kapitalismus unterworfen.

Was gilt es zu tun? Der Fokus darf nicht einzig beim Virus und der Eingrenzung liegen, sondern es muss die dialektische Vielschichtigkeit dahinter analysiert werden. Der schleichende Autoritarismus der BRD liebäugelt offen damit, bei Versorgungsengpässen das Militär einzusetzen. Das mag im derzeitigen Herrschaftssystem seine Logik haben, doch gerade deshalb liegt die Wurzel der Gefahr eben dort. Der erste Schritt muss die Sicherstellung der 100 % Lohnfortzahlung für alle sein, die in Selbstquarantäne oder in aufoktroyierter zu Hause bleiben müssen. Nicht Wirtschaftsbetriebe müssen verstaatlicht werden, sondern in erster Linie der komplette medizinische Sektor entprivatisiert und in gesellschaftliche Hand überführt werden. Darüber hinaus ist es unabdingbar, die Forschung an einem Gegenmittel nicht der Gefahr auszusetzen, daraus Profit zu schlagen, wie es der US-Präsident Donald Trump vorhat. Der kollektive Solidaritätsgedanke, welcher derzeit bedingt durch Quarantäne umhergeistert, muss aufgegriffen werden, um dem sterbenden Kapitalismus einen weiteren Stoß zu geben, um ihn letztlich zu überwinden. Es ist nicht der Coronavirus, es sind nicht die Individuen, welche die Gefahr nicht ernst nehmen oder anerkennen, es sind auch nicht die Hamsterkäufer*innen, die chaotische Zustände hinterlassen und auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Es ist der Kapitalismus, der die Menschen tötet. Es ist die Zerschlagung der öffentlichen Versorgung durch die marktradikale Profitlogik, die diese Maßnahmen nun erzwingen. Die Quarantäne ist die autoritäre Selbstverteidigung des Kapitalismus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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