Entmystifizierung der Grünen

Neue Volkspartei Bündnis 90/Die Grünen erzielen zurzeit in allen Umfragen Ergebnisse, die sie als neue Volkspartei erscheinen lassen. Politisch links stehen sie seit 1990 nicht mehr.

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Der politischen Rechte ein Dorn im Auge, den Liberalen zu kollektivistisch, den Linken zu individualistisch. Was hat es mit der grünen Partei auf sich - und wieso gehört es zum guten Ton, sie grundsätzlich abzulehnen? Fangen wir von vorn an. Die grüne Partei wurde 1980 in Westdeutschland als Reaktion auf die Studentenbewegung, der Antikriegsbewegung und der Umweltbewegung ins Leben gerufen (obgleich bereits zwei Jahre zuvor sich einzelne ökologische Listen, Organisationen et cetera bildeten). In der damaligen Zeit verstand sich die Partei als Klassenpartei, die marxistische Wirtschaftspolitik und Ökologie miteinerander verbinden wollte. Sie war Auffangbecken vieler linker Strömungen, nach dem die K-Gruppen nach und nach zusammenbrachen oder sich selbst als bundesdeutsche Partei konstituierten (wie die Stalinist*innen der MLPD, die Cliffities der heutigen SGP et cetera). Der sympathische Ausdruck der gelebten Basisdemokratie und dem antiautoritären Prinzip folgte bereits nach wenigen Tagen die Verbürgerlichung der Partei. Das heißt: die ökosozialistische Thematik verschwand nach und nach in der Versenkung und es wurde - allerspätestens nach der Liquidierung der Ökosozialist*innen und Radikalökolog*innen während der konterrevolutionären "Wende" - ein Kompromiss zwischen Kapitalismus und Ökologie angestrebt.

Die "Linken" in der grünen Partei verschwanden komplett aus der Politik, gründeten Sekten (Jutta von Ditfurth ÖkoLinx) oder betraten die Massenparteien der Arbeiterklasse SPD oder PDS. Stimmen wie Hans-Christian Ströbele oder Jürgen Trittin blieben da die Ausnahme. In der DDR entstand zwischenzeitlich kurz vor dem Fall der Berliner Mauer ebenfalls eine ökologische Bewegung, welche gleichermaßen einerseits einen reformistischen Sozialismus anstrebten oder das konterrevolutionäre Bürgertum bei der Restauration kapitalistischer Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse in der DDR unterstützen. Wie die Geschichte zeigt obsiegte in dem Fall die sogenannte "Bürgerbewegung", maßgeblich das Bündnis 90, welches Systemkritiker*innen aller Couleur zu einem Dialog einlud. Nach dem die DDR in die Geschichtsbücher verbannt wurde kam mehrmals die Frage auf, wie das Erbe der "Bürgerbewegungen" anzunehmen ist. Die damalige grüne Partei Westdeutschlands ergriff die Option und baute sich als konsequente Wahrerin einer formalbürgerlichen Demokratie auf, in dem sie dazu gleich 1993 den damaligen DDR-Bund 90 schluckte. Mitte der 1990er Jahre kam es erneut zur grundsätzliche Frage, wie eine Gesellschaft aufgebaut werden soll. Als 1998 der neoliberale Gerhard Schröder die SPD radikal entsozialdemokratisierte, um zusammen mit den jetzigen Bündnisgrünen eine Regierungskoalition einzugehen, konnte man nur ahnen, in welch Gesellschaft sich die einstigen Atomschützer*innen und marxistischen Theoretiker*innen wagten.

Im Namen der grünen Politik und der europäischen Sozialdemokratie wurden zwei bundesdeutsche Einschnitte getätigt, welche sich eine konservative Regierung nie hätte wagen ließ. Einerseits wurde im Namen Auschwitz' der völkerrechtswidrige Krieg gegen das ehemalige Jugoslawien initiiert, heißt: nach dem nationalsozialistischen Terror beteiligte sich Deutschland erstmals wieder an einem traditionellen Krieg. Die Bündnisgrünen waren somit außenpolitisch komplett auf Spur gebracht und waren die Exekutive der Imperialisierung Deutschlands. Der zweite maßgebliche Schnitt erfolgte innenpolitisch, wobei dieser auch globale Folgen hatte; aus den einzigen Freund*innen alternativer, linker Bewegungen und marxistischer Wirtschaftspolitiker*innen sind radikale Verwalter*innen des Neoliberalismus des 21. Jahrhunderts geworden. Mit der Gesetzgebung der Agenda 2010 wurde ein Reformpaket verabschiedet, welches auf legalem Weg den Reichtum der Reichen schützt, mehr, den Reichtum der Reichen auf Kosten der ärmsten der Bevölkerung vermehrt. Das neoliberale Leistungsprinzip wurde somit durch die damalige Protestpartei durchgeboxt.

Die Jahre nach der Abwahl war geprägt durch eine vermeintliche Neukonstituierung, wobei bewusst auf den Neoliberalismus gesetzt wird. Sie wollen ihn bis heute zähmen, nicht abschaffen. Sie ist die Partei der Klasse der Kapitalist*innen und deren Verwalter*innen, unterstützt die sterbende Mittelklasse und verfolgt teilweise ein nationalistisches Programm. Die Regierung in Baden-Württemberg hat nicht nur die Klimapolitik im Namen der Autoindustrie in frage gestellt, sondern trägt auch die Abschiebung der Hilflosen achselzuckend mit. Ein ähnliches Verhalten muss auch mit einem potentiellen grünen Ministerpräsidenten in Hessen erwartet werden. Ihre manchmaligen Ablehnungen von Kriegseinsätzen in der parlamentarischen Arbeit wirken da wie ein blanker Hohn. An einer Reform der Agenda 2010 denken sie auch nicht, gar der "linke" Flügel der heutigen Bündnisgrünen hält daran fest und verspricht nur Akzentuierungen, um das Elend nicht als Elend aussehen zu lassen. Die heutigen Bündnisgrünen betreiben eine Politik, wie es sich in einem bürgerlichen Staat so gehört. Weswegen sie dennoch einen Hass bis heute erlebt ist schnell zu erklären: sie wird unfairerweise mit ihren Wurzeln gleichgestellt. Da wird hie und da die Pädophilie-Frage aufgeworfen, Verbote im Namen des Klimawandels angesprochen oder ihr grundsätzlich vorgehalten, nicht regierungsfähig zu sein. Nicht regierungsfähig? Wenn es eine Partei neben den "Volksparteien" ist, dann definitiv die Bündnisgrünen. Immerhin waren sie es, die Deutschland wieder in die Position brachte, hochoffiziell Krieg führen zu dürfen. Immerhin waren sie es, die den Niedriglohnsektor Deutschlands und Europas auf den Weg brachte und quasi Pate stehen für die katastrophalen Arbeitsrechte im macronistischen Frankreich. Ihr Ruf nach offenen Grenzen wird sofort durch ihre Handschriften in allen neoliberalen Entwicklungen Deutschlands des 21. Jahrhunderts konterkariert.

Die herrschende Klasse sollte sich glücklich schätzen, dass es solch eine Partei in Deutschland gibt. Die Bündnisgrünen haben in ihrer Geschichte, nach dem sie den linken Ballast und die Gesellschaftskritik abwarfen, all die Schweinereien ermöglicht, die die Konservativen stets durchsetzen wollten. Doch da wird nun geplärrt und verachtet. Die Rechten haben nichts zu befürchten. Man wird zwar grüne Politiker*innen auf Anti-AfD-Demonstrationen ab und an sehen, doch im Grunde handeln sie auch in ihrem Interesse, wenn es an die parlamentarische Arbeit geht. Sie trennt zwar die Ideologie, doch vereint die Klassenpolitik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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