EU-Kritik von links

Euroskeptizismus Die pro-europäische Linke agiert in ihrem Kern reaktionär, da die Ablehnung der heutigen EU Grundvoraussetzung für die Forderung nach einer gerechteren Welt ist.

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Die Europäische Union (EU) in dieser Form existiert erst seit 2007, doch ihre Anfänge liegen weit zurück. Der erste große Zusammenschluss erfolgte durch den sogenannten Fusionsvertrag 1965, der die damaligen drei Gemeinschaften Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM), Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammenführen sollte. Dieses Bündnis war auch in dem militärischen Beistandspakt Westeuropäische Union (WEU) organisiert, der in seiner Form erst Juli 2011 aufgelöst wurde. Die Mitgliedsstaaten in diesem Militärbündnis waren auch gleichzeitig Mitglied des NATO-Bündnisses. Die WEU bestand allerdings nicht nur aus Staaten der EW/EU, sondern versammelte auch assoziierte Mitgliedsstaaten, deren Aufnahme an der NATO-Mitgliedschaft geknüpft war. Darunter zählten bis zur Auflösung Island, Norwegen, Polen, Tschechei, Türkei und Ungarn. Als 1993 der Maastricht-Vertrag angenommen wurde, wurde der Grundstein für die Etablierung einer Europäischen Union gelegt. Bis zum Vertrag von Lissabon von 2007 bestand dieses Bündnis aus der EG, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Der endgültige ubiquitäre Zusammenschluss erfolgte dann 2007, als die EU in den Verträgen von Lissabon als supranationalen Staatenbündnisse aus der Taufe gehoben wurde. Die Kritik an den Institutionen der EU und ihren Vorgängerorganisationen sind ebenso alt die sie selbst.

Die Gesellschafts- und Wirtschaftsgrundlagen sind geprägt von neoliberalen und imperialistischen Ideen. Die Grundidee des Zusammenschlusses der europäischen Staaten als zentrales Friedensprojekt wurde nicht eingehalten. Nach dem von der NATO getragene völkerrechtswidrige Krieg in Jugoslawien in den 1990er Jahren auf europäischem Kontinent ausgetragen wurde, waren auch direkt wieder verschiedene europäische Staaten involviert. Die EU ist ein fester Partner der NATO und in verschiedenen Krisen- und Kriegsgebieten direkt oder indirekt involviert. Auch die Bundesrepublik spielt durch Bereitstellung von Logistik und Soldat*innen als sogenannte „Ausbilder*innen“ eine maßgebliche Rolle. Waffenexporte in Staaten wie Türkei und Saudi-Arabien tragen zur Unterdrückung von Menschen wie in Kurdistan und direkten kriegerischen Situationen wie in Jemen bei. Die Arbeits- und Sozialpolitik spielt ebenso auf der Klaviatur des Neoliberalismus. Banken und Konzerne werden durch Steuerentlastungen begünstigt und sogenannte Steueroasen wie Luxemburg und Irland sind fester und gewollter Bestandteil der Union. Europa ist es nach zwei Weltkriegen wieder gelungen, eine politische und militaristische Macht zu spielen. Hauptnutzerin ist hierbei die Bundesrepublik, die die Haushalte der Mitgliedsstaaten kontrolliert, mittels der Europäischen Zentralbank (EZB) Kapital in ihrem Sinne verwalten lässt und Marktwirtschaft, Konkurrenzkampf sowie eine religiös verbrämte Schuldenbremse einfordert.

Italien als jüngstes Beispiel einer direkten Konfrontation stellt die EU auf eine Kraftprobe. Der Staat ist drittstärkste Volkswirtschaft in der Union und daher wichtiges Vehikel in der europäischen Fiskalpolitik, die auf ständige Privatisierungen baut und soziale Gerechtigkeit unisono negiert. Die rechte Regierung in Italien präsentierte einen Haushaltsplan mit einer Neuverschuldung von 2,4% des BIP. Den Bürokrat*innen in Brüssel und Berlin gefällt das gar nicht und bauen auf einen weiteren Dialog. Doch Italiens Regierungspräsident hat bereits verdeutlicht, dass er keinen weiteren Spielraum mehr erkennen mag. Im Deutschen Bundestag ist diesbezüglich ein kleiner Schlagabtausch entstanden, als die CDU adressiert an die Linksfraktion von deren „Freund*innen“ sprach. Hintergrund ist die Gleichsetzung rechter und linker Kritik an der EU von konservativen Politiker*innen, die darauf aufbauend alte Konzepte der Totalitarismustheorie bedienen. Als 2015 in Griechenland eine linke Regierung an die Macht kam, wurde die euroskeptische Haltung brutal niedergeschlagen und die Tsipras-Fraktion auf einen neoliberalen Kurs gezwungen. Heute leidet der Staat an Überschuldung, Massenarbeitslosigkeit und einem zerstören Sozialsystem. Kritik an den EU-Institutionen wird von selbst ernannten Menschen der politischen „Mitte“ mit rechtspopulistischer Ideologie gleichgesetzt. Dieser Umstand ist der politischen Linke teils selbstverschuldet, die das Terrain an die Rechte verloren hat.

Die EU ist ein supranationales, antidemokratisches und militaristisches Bündnis, deren Staaten Frankreich und Deutschland auf Kosten ärmerer Mitgliedsstaaten erbitterten Konkurrenzkampf provozieren und jeglichen Aufstand dagegen entweder bürokratisch oder militärisch niederschlagen. Prägendstes Beispiel ist die militärische Gewalt Spaniens gegenüber der Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens. Die Freiheitlichkeit, die sich die Union gerne gibt und jene in allen Szenarien bedroht sieht, ist eine illusorische. Arbeits- und Obdachlosigkeit wird als Normalität angesehen, die Demokratisierung erfährt einen reaktionären Rollback und lässt rechte Regierungen an die Macht gelangen, die jedoch als natürliche Erscheinungsform auftreten. Liberale und progressive Stimmen sehen die „Idee Europas“ verletzt, doch worin soll die eigentlich bestehen? Die Grundauslegung der Einheit basiert auf einer gemeinsamen Wirtschafts- und Friedenspolitik, doch beides ist schon längst der Realität gewichen. Die Quittung für die Einführung des Euros als Gemeinschaftswährung muss die Union seit Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 tragen. Jede Kritik daran wird „populistisch“, „antidemokratisch“ und „nationalistisch“ gebrandmarkt. Dabei ist diese EU ein perfektes Ideal der jahrelangen Krise des Kapitalismus.

Die europäische Fiskalpolitik ist glorreich gescheitert. Der Brexit kann sich so ausgelegt lesen lassen, auch wenn sich dort teils diametrale Politiken vereinten. Die einzige Gemeinsamkeit ist das Beharren auf die Existenz des Kapitalismus und der Glaube an die Unendlichkeit dessen. Dieser Wahn wird untermauert mit einer stetig steigenden Militarisierung gegen Russland. Der darin begründete Abwehrmechanismus ist ungeachtet der eigentlichen Politik Putins das Erbe des Antikommunismus, der sich weiterentwickelte in einer Feindschaft gegenüber jeglicher Humanität. Frontex und die darauf fußende „Festung Europas“ ist die Kurzschlussreaktion des Kapitals, die inneren Unterdrückungen und Unmenschlichkeiten von der Außenwelt abzukapseln, in der durch Panzer, Bomben und Waffen Elend und Krieg exportiert wird. Die unaussprechliche Diskrepanz resultiert in der formalen Unterstützung kurdischer Kräfte, die gegen den Daesh aufstehen, doch der gleichzeitigen Kriminalisierung von Kurd*innen in der EU. Diese politische Schizophrenie ist der Zick-Zack-Kurs des Kapitalismus im 21. Jahrhunderts, der auf offene Märkte und Globalisierung angewiesen ist. Der einzige Ausweg ist die radikale Demokratisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Dies führt unweigerlich zu einer Diskussion über Währungen und Neuorganisierungen, doch diese zu meiden ist die eigentliche Feindlichkeit gegenüber der Idee Europas.

Die EU zerfällt und stirbt, die radikale Rechte profitiert davon. Der Ruf nach neuen Nationalismen, Protektionismen und Abkapselungen ist allerdings der falsche, da er dem nationalen Kapital konsequent in die Hände spielt. Es muss die grundsätzliche Frage einer Welt gestellt werden, wie wir leben wollen. Dazu gehört das Einbeziehen von sozial-ökologischen Mechanismen und einer Gesellschaft , die nur post-kapitalistisch sein kann. Der Kampf gegen die EU ist ein Kampf gegen die herrschende Idee, gegen den nicht zu zähmenden Kapitalismus und vor allem ein Kampf gegen den globalen Rechtsruck. Die pro-europäische Linke agiert in ihrem Kern reaktionär, da sie dadurch die Ressource falsch verlagert, um ein anderes Europa zu ermöglichen. Die Ablehnung der heutigen EU ist Grundvoraussetzung für die Forderung nach gerechteren Welt, die den Supranationalismus Europas jedoch nur als Vehikel nutzt. Der desaströse Neoliberalismus, das Kernelement des Kapitalismus, ist des Menschen schlimmster Feind und zuständig für Terror, Krieg, Elend und Hunger in aller Welt. Verursacherin der Schuldenkrise, der Massenarbeitslosigkeit und zerstörten Wirtschaften in den Mitgliedsstaaten der EU ist die Union selbst. Sie legitimiert sich durch die Aneignung fremder Souveränitäten, um daraus ihren imperialistischen Charakter zu formen. Das Wesen der EU im Jahre 2018 ist der Mord an Flüchtlingen, der Unterstützung von Elend in Jemen und der Türkei und der bedingungslosen, da im „Kalten Krieg“ sozialisiert, Feindschaft gegenüber Russland.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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