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#dankePolizei Was tun mit der Polizei? Ob man den Apparat reformieren oder abschaffen möchte - am Ende kommt man an einer Staatskritik nicht vorbei.

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Es sind weitere „Einzelfälle“ und weitere rechtsradikale Strukturen als auch Netzwerke innerhalb der Polizei ans Tageslicht gekommen. Polizist*innen in Nordrhein-Westfalen teilten rassistische und rechtsradikale Nachrichten und Bilder in Chatgruppen, in Göttingen wird während eines Livestreams ein junger Mann von einem Beamten geohrfeigt und die rechtsgerichtete Polizeigewerkschaft DPolG versammelt unter #dankePolizei unfreiwillig weitere Probleme, Herabwürdigungen und vermeintlicher Verfehlungen innerhalb polizeilicher Strukturen. Zentral sind rassistische Einstellungen, deren Aufarbeitung vom Innenministerium unter Horst Seehofer jedoch verhindert wird, derweil Rainer Wendts Stoßtrupp DPolG in Thüringen die Offenlegung von Problematiken innerhalb der Polizei als Übertritt einer „rote Linie“ betrachtet. In den letzten Wochen wurde die Kritik an der polizeilichen Institution sowie weiterer Aufdeckungen von strukturell rassistischen und tendenziell rechtsradikaler Einstellungen immer lauter. Der häufig postulierte Vorwand, die deutsche Polizei sei immerhin nicht der Struktur US-amerikanischer Beamt*innen gleichzusetzen, ist dabei nicht als Verteidigung zu verstehen, sondern muss gerade den inhärenten Charakter und die staatliche Rolle der Exekutivorgane verständlich machen, wonach die Kritik an der Polizei letztlich keine „Verfehlungen“ aufdeckt, sondern den dialektischen Prozess innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates.

Ob die Polizei reformiert oder abgeschafft gehört ist hierbei an die Rolle des Staates geknüpft. Eine Reform der exekutiven Gewalt impliziert die grundsätzliche Bejahung des bürgerlichen Staates und anerkennt die ausführende Funktion der Beamt*innen. Vereinzelte Kritiken, die beispielsweise den strukturellen Rassismus aufgreifen, verweigern sich bei Reformvorschlägen der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System, das bedingt durch seinen Klassencharakter die Notwendigkeit der Polizei erst erschafft. Das Nichterkennen, dass die Polizei kein losgelöstes Moment der Gesellschaft und Politik ist, sondern in ihr agiert, handelt und reagiert, stellt die Fraktion jener, die die Polizei reformieren wollen, vor eine Problematik, die versucht wird mit dem Prinzip eines „demokratischen Rechtsstaats“ zu umgehen. Jener „demokratische Rechtsstaat“ steht jedoch nicht als unabhängige Kontrollinstanz außerhalb der gesellschaftlichen Beziehung, sondern ist ebenso in ihr verwurzelt und kann gar nicht anders, als die Juristerei der herrschenden Sprechung zu vollziehen. Freilich sind die Beamt*innen der Polizei ebenso dem Gesetz unterworfen wie Nicht-Beamt*innen auch. Die Zunahme der Gewalt und Grenzverschiebung ist also eine Reaktion auf eine grundsätzliche Krise des herrschenden Systems, deren Ursachen in der ökonomischen Krise zu finden sind.

Der bürgerliche Staat als Institution der Herrschenden braucht die Polizei zur Verteidigung der eigenen Interessen. Dass sich diese Verteidigung mitunter mit rassistischen, klassistischen, antisemitischen und weiteren unterdrückenden Ideologien gemein macht, ist keine Verwunderung. Der radikale Widerspruch zwischen den Unterdrückten der Gesellschaft und den Unterdrückern erzwingt eine Ideologisierung zur Verstetigung des eigenen Standes in einer globalisiert-kapitalistischen Welt. Die teils brutale Gewalt, die die Polizist*innen bürgerlicher Staaten hierbei gegenüber linken Demonstrant*innen einsetzen, bei rechten Demonstrationen wie den Coronaleugner*innen jedoch eher milde auftreten, ist unter anderem dadurch erklärbar, da der Klassenantagonismus weiterhin bestehen bleibt, ganz gleich, wie oft man es auch leugnen mag. Die Polizei ist „Hauptwerkzeug der Gewaltausübung des Staates“, womit eine Kritik an der Polizei zur Staatskritik führen muss, mindestens jedoch die Hinterfragestellung des herrschenden Systems.

Nichtsdestoweniger reagiert der bürgerliche Staat genau dann auf Kritik, wenn sie in ihrer Intensität nicht mehr zu leugnen ist, wie beispielsweise die Suspendierung von Beamt*innen, die in WhatsApp-Chats rechtsradikalen Inhalt teilten. Die Suspendierung darf jedoch nicht als ernstzunehmender Prozess einer Aufarbeitung verstanden werden, sondern istwie häufig in den Vereinigten Staaten zu sehen ist – ein Ablenkungsmanöver, um besonders jene Stimmen zu beruhigen, die die Hoffnung in den „demokratischen Rechtsstaat“ noch nicht verloren haben. In den Vereinigten Staaten ist es bisweilen so, dass suspendierte Polizist*innen de facto verlegt oder zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort wieder eingestellt werden. So geschehen bei dem Beamten, der 2014 TamirRice erschoss. Einer Studie zufolge wurden lediglich 21 % aller Polizist*innen suspendiert, die für einen Mord verantwortlich sind.

Dieses Ausmaß der Brutalität ist in der BRD noch nicht zu finden, doch auch hier zeigt sich eine kumulative Radikalisierung, wie auch heute, am 20. September 2020, in Dresden zu sehen war. „Du fängst eine Kugel“, sagte ein Polizist, der dicht vor einem Banner von linken Demonstrant*innen stand. Besonders unter #dankePolizei werden weitere Konfrontationen mit der Polizei deutlich, die nicht nur eine Verschiebung des Diskurses verdeutlichen, sondern auch die Gefahr unterstreichen, dass die Hemmschwelle zur direkten Gewaltanwendung immer weiter sinkt. Durch einen Erfahrungsbericht der Linken-Politikerin Martina Renner wird auch der misogyne Charakter der Polizei deutlich. Auch das ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal des exekutiven Organs, sondern ebenfalls ein Spiegelbild des Staates, der sein Fundament darauf aufbaut. Eine Reform des Polizeiapparats wäre hiernach ein unmögliches Unterfangen, wenn jener vom Staat abstrahiert und als losgelöste Entität betrachtet wird.

Wäre eine Abschaffung der Polizei der richtige Weg? Anders als bei Reformbemühungen wird hier primär eine grundsätzliche Ablehnung des Apparats impliziert, doch größtenteils verkennt auch diese Forderung die Funktion der Polizei. Die Abschaffung der Exekutive – beziehungsweise ein Teil davon – ist, solange es den Staat bedarf, nicht durchführbar. Würde man es theoretisch dennoch vollbringen, die Polizei bei Beibehaltung aller anderer staatlicher Strukturen abzuschaffen, bleibt ihre Rolle vakant, was bedingt durch das herrschende System entweder durch eine Erweiterung anderer Kompetenzen des Staates oder durch die Bildung privater Einrichtungen beantwortet werden muss. Anders als bei der Polizei wären private Sicherheitsanbieter*innen kaum zu kontrollieren, was die Anarchie des Marktes und der Traum eines jeden Libertären wäre. Die Abschaffung der Polizei muss hierbei eine Antwort geben, was an deren Stelle errichtet wird. Um nicht bei einer idealistischen Kritik zu bleiben, kann die Polizei vom Staat nicht abgetrennt werden, was eine Weiterführung der grundsätzlichen Kritik unweigerlich erzwingen muss. Das heißt: die Polizeikritik muss in eine Staatskritik umschlagen, besonders bei der Forderung, die Polizei abzuschaffen.

Wie ist damit nun umzugehen? Darf keine Kritik mehr geäußert werden, wenn der Staat nicht die selbige erfährt? Keineswegs. Der Polizeiapparat muss mit seinen rassistischen und rechtsradikalen Strukturen einer dringenden Kritik unterworfen werden und Forderungen, Untersuchungsausschüsse zu bilden, um die Wurzel zu ergründen, sind im Rahmen der bürgerlichen Möglichkeit wichtig und notwendig. Es darf allerdings nicht die Illusion entstehen, dass eine strukturelle Änderung innerhalb der Polizei eintreten wird. In letzter Konsequenz führt eine radikale Polizeikritik an der Systemfrage nicht vorbei, was die verstärkte Gewalt durch die Beamt*innen und die Duldung der Herrschenden nur zusätzlich erklärt. Denn sie sind sich dessen mehr als bewusst. Es ist dieser Widerspruch und diese gefährliche Illusion, dass der Staat als vermeintlich moralische Kontrollinstanz irgendetwas an seinen eigenen Organen zu ändern vermag, wenn deren Ideologie dadurch rezipiert und angewandt wird. Mit diesem Wissen wird auch deutlich, dass Aufklärungen expliziter Polizeigewalt, wie beim Mord an OuryJalloh, nicht erwünscht sind und der Staat alles daran tut, jene zu verhindern.

Die Polizei ist lediglich das ausführende Monopol der bürgerlichen Staatsgewalt. Wenn Polizist*innen unverhältnismäßige Gewalt anwenden, für Leid und auch Tod von Menschen verantwortlich sind, sind es zwar die Beamt*innen, die es vollziehen, doch der Staat ist der Täter. Forderungen, auch Teils von Linken, den Polizeiapparat auszubauen, ist dabei unerklärlich und zeigt lediglich auf, dass die (bürgerliche) Staatsgläubigkeit besonders von reformistischen Linken über alles erhaben scheint. Die Gewalt seitens der Polizei, wie sie in den letzten Wochen immer stärker und offensichtlicher wurde, ist kein individueller Ausdruck einzelner Polizist*innen, sondern systematisch und ein Produkt der Krise des bürgerlichen Staates. Wenn der Widerstand gegen Ungerechtigkeit zu groß wird, bedient sich der Staat jener Mittel, im Namen des „demokratischen Rechtsstaats“ für „Ordnung“ zu halten. Diese demokratische Anomalität wurde von vielen bereits so sehr internalisiert, dass es nicht verwunderlich ist, wenn für die Mehrheit der Polizeiapparat per se keine Problematik darstellt, sondern nur deren vermeintliche Unterwanderung rechtsradikaler Netzwerke.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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