Es wurde gejagt

Chemnitz Wer schweigt, macht sich schuldig. Der Faschismus, der nie verschwunden war, hat in Chemnitz probiert, wie weit er gehen kann. Und das Resultat war enorm

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Er würde ihn schütteln, wenn er könnte.
Er würde ihn schütteln, wenn er könnte.

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Seit einer Woche steht Sachsen exemplarisch für die weitere Entwicklung des Faschismus in der BRD. Machen wir uns nichts vor: der Faschismus wurde nach 1945 nich ausgerottet, sondern zurückgestellt. Die Politik der Westmächte unterstützte während der letzten 70 Jahre immer dann faschistische Kräfte, wenn es darum ging, sozialistische Modelle niederzureißen, wie die Militärdiktaturen in Griechenland, der Türkei, Portugal, Argentinien und Chile. Nach dem Zusammenbruch der Majorität des Realsozialismus brach auch jenes Feinbild zusammen, was den Faschismus in Europa und der Westmächte die Chance ermöglichte, langsam doch kontinuierlich die Wurzeln in der Gesellschaft zu schlagen.

Kurz nach der "Wiedervereinigung" Deutschlands kündigte sich der Faschismus in Rostock-Lichtenhagen an, als unter der applaudierenden "Mitte der Gesellschaft" ein Flüchtlingsheim in Flammen aufging, quasi die Urform der "Asylkritik". Simultant entwickelte sich ein dichtes Netzwerk faschistischer Kräfte, die sich in Kameradschaften und Parteien niederlassen konnte, teils geschützt durch den deutschen Verfassungsschutz, bis hin zum eklatanten Staatsversagen beim Nationalsozialistischen Untergrund, einer faschistischen Terrorgruppe, die für zehn Menschenmorde verantwortlich war: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Zwei Jahre nach der "Auflösung" des NSU durch den dualen Suizid Uwe Mundlos' und Uwe Böhnhardts wurde die AfD als vermeintliche Alternative zur herrschenden Klasse gegründet. 2015 wurde der wirtschaftsliberale Flügel entmachtet und die Politik um die völkischen Mitglieder um Björn Höcke, Alexander Gauland, Beatrix von Storch u.dgl.m. gewannen mehr und mehr Einfluß, nicht nur innerhalb der Partei. Als natürliche Verbündete wurden trotz mehrmaliger Distanzierungen die rassistische PEGIDA und die nationalrevolutionäre Identitäre Bewegung anerkannt. Je mehr die AfD in den Parlamenten Abgeordnete entsenden konnte, desto offener wurde anhand ihrer Sprache die Verrohung der Gesellschaft deutlich.

Es wird ein extrem reaktionärer, wertkonservativer, frauenfeindlicher, rassistischer und protofaschistischer Wind erzeugt, der im Jahre 2018 einen elendigen und blutigen Höhepunkt erreichte: das Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer wird beklatscht, das Verbrennen von Flüchtlingsheimen wird bejaht, der Kampf gegen jedweden, minimalen Progressivismus wird radikal entfacht, was nicht nur Linke jeglicher Couleur betrifft, sondern auch weltoffene Student*innen, Feminist*innen, Migrant*innen, Sozialliberale, Muslim*innen und Jüd*innen. Das Bild einer Familienpartei wird dabei ebenso bemüht, bei dem das Kind vor "Frühsexualisierungen" und Homosexualität geschützt werden muß.

Das Frauenbild erfährt einen erzreaktionären Rollback; politische Maskulinität wird emporgehalten, Führerkulte wiederbelebt und der Ruf nach Konzentrationslager wird lauter. Erst vor kurzem hat eine der AfD-nahestehende Delegation die Existenz der Benutzung von Gaskammern in frage gestellt, Mahnmale an die Shoa werden als "Schande" betitelt und ein Großdeutsches Reich wird heraufbeschworen. Jörg Meuthen, Parteivorsitzender AfD und vermeintlich liberales Aushängeschild sieht darin kein Problem, sondern relativiert in Sekundenschnelle und subsumiert faschistischen Geist als legitime Besorgnisse des "Volkes".

Dieses "Volk" hat jedoch keinen Platz für Menschen, die dem deuschnationalen Bild nicht entsprechen. Es findet auch kein Platz für Demokratie, Parlamente, Grundgesetze, Menschenrechte, sprich: der Kapitalismus und mit ihm das Bürgertum findet sich in einer gefährlichen Krise, denn es bietet dem Faschismus keinen Widerstand, sondern schweigt und relativiert Übergriffe auf Menschen als "friedlichen Protest". Die Polizei verliert das Gewaltmonopol, doch Politiker*innen sehen darin keine Gefahr. Sozialist*innen, Kommunist*innen und weitere Linke erfahren den geballten Widerstand der Staatsgewalt und des Bürgertums, befürwortet die temporäre Isolationshaft von minderjährigen Linken auf dem G20-Gipfel, fördert die öffentliche Jagd auf Antifaschist*innen durch die Springer-Presse und kesselt jedweden friedlichen, antifaschistischen Protest ein.

Björn Höcke erklärte in seinem jüngsten Buch, daß er bei zukünftigen Demonstrationen seiner Partei der Polizei eine Frist von fünf Minuten gewährt, sollte sich ein Widerstand bilden. Sollte die Polizei den Widerstand nicht auflösen, stünden hunderte Patriot*innen im Rücken der Antifaschist*innen bereit. Diese Worte sind eines Höcke nicht unüblich. Die Gefahr ist die lapidare Offenheit, die sich dahinter verbirgt. Ein pensionierter Geschichtslehrer, der den Faschismus reinwaschen möchte, droht zukünftigem Widerstand mit öffentlicher Gewalt, und er meint das ernst. Die internationale Presse hat nach dem "Trauermarsch" vor der AfD gewarnt. Shaun King von The Intercept twitterte, daß die AfD gestoppt werden müßte, da sie "extrem gefährlich" sei.

Erich Kästner meinte, daß der Faschismus bereits 1928 hätte gestoppt werden müßte, 1933 sei es zu spät gewesen. Ich sage, wir haben 1928 bereits hinter uns. Der Faschismus in Deutschland und Europa gibt sich keine Mühe mehr, sich zu verstecken, da er es nicht mehr benötigt. Haß gegen Flüchtlinge, Migrant*innen und Linke ist weit verbreitet in der Gesellschaft und die AfD weiß diese "Werte" gekonnt für sich zu instrumentalisieren. Wer heute wegschaut, mach sich mitschuldig. Wer von allem nichts wissen konnte, der wird lügen. Es ist das eklatante Versagen des Bürgertums, doch das liegt in seinem Wesen. Die Worte Rosa Luxemburgs und Leo Trotzkis klingen erschreckend aktuell, als sie sagten, daß der Kapitalismus entweder in den Sozialismus oder in die Barbarei führen wird. Eine Alternative gibt es nicht. Der Faschismus, obwohl sich bewußt, Faschismus zu sein, hat einen eingespielten Verteidigungsmechanismus entwickelt, der ihm vom Faschismus frei spricht. Die vorgespielte Besorgnis wird inflationär weitergetragen und niemand will ein Nazi sein. So können Nationalsozialist*innen nur die Anhänger*innen Hitlers gewesen sein.

Wer schweigt, macht sich schuldig. Der Faschismus, der nie verschwunden war, hat in Chemnitz probiert, wie weit er gehen kann. Und das Resultat war enorm: Menschenjagd, Gewalt gegen die Presse, physische und verbale Gewaltausbrüche, das Skandieren faschistischer Vokabeln... teils geschützt von staatlicher Hand. Doch dem Bürgertum ist nicht zu trauen, es fischt am radikalen rechten Rand, ganz gleich, ob es die CSU ist oder die FDP. Auschwitz und der Nationalsozialismus waren kein "Vogelschiß", sondern das Resultat eines zerstrittenen Bürgertums und der kapitalistischen Krise. Diese Krise wiederholt sich, doch sie als Farce zu bezeichnen, wäre falsch. Es ist gefährlicher. Und es ist global. Ob USA, Italien, Deutschland oder Ungarn. Als sich damals in der BRD Michael Kühnen als erster Nachkriegsdeutscher öffentlich zum Nationalsozialismus bekannte, war die Gesellschaft schockiert, da sie merkte, daß der Faschismus nicht ausstirbt. Heute ist der Schock überwunden, und die Akzeptanz breitet sich aus. Es darf nicht geschehen. Der Faschismus muß bis auf die letzte Wurzel ausgerottet werden. Doch dafür muß auch über den Kapitalismus gesprochen werden. Es separat zu behandeln ist unmöglich, um nicht in die Barbarei zu fallen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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