Gebt das Patent frei!

Impfstoff Der Kampf um die Verteilung des Coronaimpfstoffes zeichnet sich ab. Da der Patentschutz das größte Hindernis dabei ist muss er aufgehoben werden.

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Vor wenigen Tagen wurden die ersten Menschen gegen das Coronavirus geimpft. In der BRD wurden knapp 42.000 Impfdosen verabreicht, mehrheitlich in Nordrhein-Westfalen. Der Impfstoff von BioNTech und Pfizer ist der erste in der EU zugelassene Stoff, der verspricht, „95 von 100 immunisierten Menschen“ vor einer (weiteren) Infektion zu schützen. Das Vakzin ist nicht der einzige: Auch Staaten wie Kuba, die Volksrepublik China und Russland entwickelten Stoffe, die eine ähnliche Quote erreichen sollen. Die wahrscheinlich über Südafrika in Britannien verbreitete Mutation, die mittlerweile auch das Festland Europas erreichte, sollte den Impfstoff nicht beeinträchtigen, wenngleich weitere, langfristige Untersuchungen ausstehen. Grundsätzlich ist das Vakzin nicht als Allheilmittel zu verstehen, denn die Frage, ob eine immunisierte Person eine nichtgeimpfte dennoch anstecken könne, wurde noch nicht beantwortet. Nichtsdestoweniger ist vordergründig die sehr schnelle Entwicklung und teils internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit zu begrüßen. Dieser seit dem Frühjahr postulierte solidarische Charakter der Staatengemeinschaft findet allerdings mittlerweile seine Grenzen, so auch innerhalb der EU. Dass der Impfstoff zuerst in den westlichen Industrienationen beginnend verabreicht wird ist dabei nicht verwunderlich. Hier zeigt sich ein weiteres Mal die immanente Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems, wonach der erwähnte solidarische Charakter nur soweit einzig symbolträchtig war, wie er nicht mit der kapitalistischen Produktion konkurrierte.

Die Mitteilung, ein Impfstoff gegen das tödliche Coronavirus sei verfügbar, ist hiernach nur für die reichen Industrienationen eine positive. Neben der ohnehin schon niedrigen Produktion von Impfdosen wird der Kampf gegen das Virus nicht nur anhand der Verfügbarkeit geführt, sondern der Frage, wer Zugriff darauf bekommt. Jene Frage scheint bereits beantwortet, was ärmere Nationen einer weiteren Sanktion unterwirft, wie sie so häufig ein Instrument des herrschenden Systems ist: nicht nur waren es maßgeblich die Industrienationen, die teils eine treibende Kraft zur Verbreitung des Virus' waren; die katastrophale Lage in Staaten wie Italien, BRD und weiteren offenbarte auch das drastische Versagen der kapitalistischen Privatisierungslogik. Dies zur Begründung wird eben diese Priorisierung angestrebt. Nach einer Marktanalyse, die von Steve Cockburn von Amnesty International (AI) kommentiert wurde, haben 67 Staaten kaum oder keinen Zugang zum Impfstoff. Die moralische Abwägung der Industrienationen ist dabei eine rein profitorientierte und dem ökonomischen Gemeinwohl verpflichtete, die die dringende Frage erneut in den Vordergrund stellt, wer die Gewinner*innen und die Verlierer*innen dieser Pandemie eigentlich sind?

Der Kampf um die Impfdosen ist nicht nur ein Kampf für eine gerechte Verteilung, sondern ein grundsätzlicher gegen das herrschende System. Die Geheimniskrämerei um die Entwicklung der Impfstoffe steht nicht nur in Kontrast zur propagierten solidarischen Gemeinschaft, sondern konterkariert auch die selbst gesetzte Ziel, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Anstatt die Produktion der Dosen in der Hand weniger zu halten, ist es unabdingbar, die Patente offenzulegen, um eine wirklich internationale Zusammenarbeit und Verteilung zu gewähren. Die Aufhebung des Patentschutzes muss der Beginn einer weitreichenden faktischen Vergesellschaftung der Deutungshoheit über wissenschaftliches Wissen und entsprechende Entwicklungen sein, die von jeder Gewinnmaximierung befreit werden muss. Die Linksjugend in der BRD fordert eine ebensolche Aufhebung jüngst in ihren „sozialen Netzwerken“: „Gerade arme Länder bekommen die Impfdosen voraussichtlich erst 2023/2024 in ausreichenden Mengen. Um den Profit zu schützen, werden Menschenleben geopfert.“ Konkludiert wird, Unternehmen in die Verpflichtung zu nehmen, nach der Aufhebung des Patentschutzes die Produktion schnellstmöglich aufzunehmen. Ähnlich fordert es auch NiemaMovassat von der Linkspartei, der ebenfalls konstatiert, dass die „Gesundheit wieder mal eine Sache des Geldbeutels und der Herkunft“ sei.

Will man die Pandemie wirklich unter Kontrolle bringen ist eine national bornierte Herangehensweise kontraproduktiv, besonders im Zeitalter der (ökonomischen) Globalisierung. Wenn in den Industrienationen jetzt die ersten Menschen geimpft werden, in Staaten wie Nigeria, Pakistan und der Ukraine aber erst ab 2022 geimpft werden kann, bleibt die Gefahr und das Fehlen einer Herdenimmunität bestehen. Dadurch wird zusätzlich eine weitere Entfremdung innerhalb des Systems vorangetrieben, wonach die Gewinner*innen weiter gewinnen und die Verlierer*innen weiter verlieren. Das gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Doch da das Kapital als herrschende (Meta-)Ideologie die Profitorientierung und Gewinnmaximierung über das Menschenleben stellt, kommt man um die Systemfrage nicht herum. Um auch zukünftige Pandemien, welche erheblich drastischer ausfallen könnten als das Coronavirus, zu bestehen muss sonach die erwähnte faktische Vergesellschaftung der Patente aller Art vorangetrieben werden – gegen das Eigeninteresse der Industrienationen. Nur so – und nicht anders – können tägliche Tote durch eine grassierende Pandemie verhindert werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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