Geschichte à la Springer

Eine Antwort Die Welt veröffentlicht einen Artikel, in dem sie Adolf Hitlers politische Anfänge im Linksextremismus ausmacht. Damit betreibt sie gefährliche Geschichtsmanipulation.

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Hitlers politische Karriere begann im Linksextremismus“ lautet ein Artikel des Springer-Historikers Sven Felix Kellerhoff, veröffentlicht kurz vor dem 130. Geburtstag des faschistischen Diktators. Über die politische Ausrichtung des deutschen Faschismus (Nationalsozialismus) wurden schon unzählige Werke geschrieben, die mehrheitlich einen linken Charakter der misanthropen Ideologie negieren. Dass es gerade vielen bürgerlichen Historiker*innen nicht schmeckt, den dialektischen Zusammenhang zwischen Kapital und Faschismus anzuerkennen, wird eine semantische Schlacht vom Zaun gebrochen, die sich 1986 im vulgaristischen „Historikerstreit“ - vom rechten Historiker Ernst Nolte vom Zaun gebrochen - kumulierte. Den Hitlerfaschismus links zu schimpfen wird meist auf die Selbstbezeichnung „Nationalsozialismus“ und vermeintlich staatliche und planwirtschaftliche Komponenten der Realpolitik der faschistischen Diktatur reduziert. Die Ursache liegt einerseits im Kampf um eine Deutungshoheit der Geschichte und politischen Entwicklungen und andererseits in der radikalen Negation zum eigenen Sujet. Besonders im Zusammenspiel mit einer „Aufarbeitung“ der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wird durch die „Extremismus-Theorie“ der komplexe faschistische Charakter mit anderen Ideologien, die gegen das Bürgertum gerichtet sind, vermengt. Das birgt die Gefahr, die eigene Geschichte von historischen Tatsachen zu entlasten.

Kellerhoff scheint ein unübersehbares Interesse am Menschen und Politiker Adolf Hitler zu haben. Wenn er für die WELT zur deutschen Geschichte schreibt, hat er es sich zum Thema gemacht, Hitler so weit wie möglich historisch und politisch von der eigenen Linie Abseits zu stellen. Alleine die Aufmachung, seine Anfänge verorten sich im „Linksextremismus“, greift den totalitarismustheoretischen Anspruch des Autors auf. Die kolportierte Wertung wird bereits vorweggenommen, denn unter diesem Blickwinkel ist es primär irrelevant, ob sich hinter der These Substanz befindet, denn „Extremismus“ ist für die bürgerliche Geschichtsschreibung zentral - gerade in der vereinfachten „Hufeisen-Theorie“. Kellerhoff stellt in seinem Artikel die Funktion und Zeit Hitlers während der kurzlebigen Räterepublik Münchens in den Fokus. Die Frage, inwieweit der Diktator in seiner frühen politischen Karriere ein Linker gewesen war, möchte er dahingehend beantworten. Dabei manövriert sich Kellerhoff selbst in Widersprüche, die einzig auf seine Motivation zurückzuführen sind, das gewünschte Ergebnis zu erzwingen. Besonders als Historiker mutet die Beschreibung der Räterepublik als „kommunistische Diktatur“ bizarr an. Man muss gewiss den Kommunismus nicht gutheißen, um historische Entwicklungen und hiernach darauf zu beziehende politische Ideologien und Vorstellungen im dialektischen Maßstab richtig einzuordnen.

Andererseits ist es nicht verwunderlich, von einem „Kommunismus“ zu sprechen, der mehr als Synonym für ein Unrechtsregime herhalten muss, ungeachtet der theoretischen Grundlage. Die Räterepublik in München war alles andere als kommunistisch, denn das würde die Überwindung des Staates voraussetzen. Dabei handelt es sich mitnichten um eine semantische Spielerei, sondern konkrete Beschreibungen historischer Realitäten. Als Historiker sollte das ungeachtet der eigenen Ideologie Grundvoraussetzung sein, um keinen Populismus zu bedienen. Dennoch ist es naiv zu glauben, diese Gleichsetzung wäre unbeabsichtigt. In dieser Herangehensweise wird Adolf Hitler als „Funktionär“ des Kommunismus beschrieben, obgleich ihm eine größere Bedeutung aberkannt wird. Der Umstand, dass er sich nicht den präfaschistischen Freikorps zuwandte, sondern in seinem Regiment blieb und bedingt durch die Entwicklungen im Kreis der Räterepublik auftrat, wird als indirekte Zustimmung gewertet. Die angesetzten Neuwahlen im 14. April 1919, denen sich Hitler als Soldat nicht widersetzte, wertet Kellerhoff dann unverblümt als „Bekenntnis zur Räterepublik und damit zu einer extrem linken Politik.“ Strenggenommen bedarf dieser Artikel überhaupt keiner Beachtung, doch die Sprengkraft dieser historischen Manipulation ist zu gefährlich, sie unbeantwortet zu lassen.

Was Kellerhoff hier tut ist nicht, eine Wesensverwandtschaft zwischen Faschismus und Kommunismus herauszustellen. Seine Intention ist viel gefährlicher, denn er verortet die Entwicklung der Politik Hitlers als Resultat seiner kurzen Zeit in München. Besonders der Antisemitismus, ein zerstörerisches Herrschaftsinstrument der faschistischen Diktatur, will Kellerhoff hier als Kristallisation vermerkt wissen. Obgleich er verschiedene Quellen heranzieht, die mehrere Betrachtungsweisen in den Artikel mit einfließen lassen sollen, bleibt der Grundkern unverändert. Nach ihm gebe es „keine direkten Hinweise auf Antisemitismus bei Hitler ... vor dem Sommer 1919“. In diesem Jahr erschien ein sogenanntes Gutachten Hitlers, welches er im Auftrag seines militärischen Vorgesetzten formulierte. Darin werden die ersten schriftlichen Gedanken Hitlers zum Antisemitismus ersichtlich, in dem zwar der Pogrom eine Kritik erfährt, in der Konsequenz genau dieser jedoch gefordert wird. Der deutsche Antisemitismus findet in diesem Gutachten eine gesellschaftliche Spiegelung, welche eine vorherige Beschäftigung damit des Verstandes wegen bereits ausschließt. Begründet wird das in Bezug auf Kellerhoffs Quellenverweise auf die Politik der Rätekommunist*innen beziehungsweise deren Scheitern. Unter diesem Winkel wird der kommunistischen Bewegung Deutschlands eine indirekte Mitschuld am faschistischen Vernichtungsantisemitismus und der Shoa zugeschrieben.

Adolf Hitler könne man nach Kellerhoff vor dem Sommer 1919 „wohl einen Linken“ nennen, obschon der Artikel selbst keinerlei Anzeichen einer ideologischen Bezugnahme darlegt. Das ist auch gar nicht möglich. Den opportunistischen Charakter Vieler während des Umbruchs nach dem Ersten Weltkrieg wird von ihm gar nicht erst in Betracht gezogen, denn es würde die gewünschte Reaktion auch nicht erwirken. Hitler ging aus deutschnationalen Gründen für die Bayerische Armee in den Krieg, sozialistischen Ideen konnte er nie etwas abgewinnen, ungeachtet der Tatsache, dass es sozialistische Überlegungen in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gab. Seine Funktion als Soldatenrat ist eine aus den historischen Entwicklungen erfolgte Etappe, die mitnichten als Rückblick auf eine verankerte Politisierung der späteren Politik zu verstehen ist. Auch die von Kellerhoff dezidiert erwähnten jüdischen Kontakte während Hitlers Zeit in Wien können nicht als Beleg für einen fehlenden Antisemitismus gewertet werden. Damit betritt der Historiker mechanistisches Gebiet und ignoriert den komplexen Charakter der Feindschaft gegenüber Jüd*innen, besonders im Deutschen Reich und der Weimarer Republik. Am 10. Juli 2018 gab Kellerhoff dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands über den politischen Aspekt der Geschichtswissenschaft ein Interview. Historiker*innen seien Bürger*innen, merkt er an und schlussfolgert hiermit ein Recht der politischen Meinungsbildung. Das ist auch gar nicht das Problem. Auch sie sollen mitwirken „an der gesellschaftlichen Meinungsbildung“, um „kluge Gedanken beizusteuern“. Dieser Anspruch ist ihm mit diesem Artikel allerdings nicht gelungen, denn „klug“ war an diesem polemischen Artikel rein gar nichts.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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