Grüner Kapitalismus

Bündnis 90/Die Grünen Außen grün, innen rot? Der Mythos als linke Partei hält sich hartnäckig. Dabei ist sie seit 30 Jahren eine kleinbürgerliche Partei und fest im Kapitalismus verankert.

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Bündnis 90/Die Grünen befindet sich zurzeit auf einem Höhenflug. Bei den EU-Wahlen konnten sie ihr Ergebnis von 2014 mit einem Gewinn von 9,8% auf 20,5% den zweiten Platz hinter den Unionsparteien verbessern, derweil sie in Bremen mit einem Ergebnis von 17,4% in der Position sind, entweder eine konservative oder eine sozialdemokratische Koalition einzugehen. Den jüngsten Äußerungen ist zu entnehmen, dass in Bremen wahrscheinlich ein Bündnis aus Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD), Grünen und der Linkspartei eruiert wird. Es wäre das erste mal in einem westdeutschen Bundesland. Der Höhenflug der Grünen ist Resultat der rasant steigenden Bewegungen gegen den Klimawandel, namentlich der Friday’s For Future sowie das diskrepante Bild von theoretischer und praktischer grüner Politik. Der Generalsekretär der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU)Markus Blumeteilte jüngst eine Aussage Franz-Josef Strauß’, bei dem die Grünen wie Melonen seien: „außen grün und innen rot“. Mit Farbenspielerei erklärt man freilich noch kein Programm, doch zentraler Punkt der Bürgerlichen scheint besonders die Gefahr zu sein, dass sich hinter den Grünen eine linke Partei befände, die sich nur aus opportunistischen Gründen ein bürgerliches Mäntelchen umwerfen. Dabei zeigt sowohl Theorie als auch Realität gerade ein anderes Bild: besonders die Wirtschaftspolitik propagiert eine vermeintlich linke Alternative, obwohl die Grundstruktur des Kapitalismus nicht angerührt wird.

Im Jahre 2020 möchten sich die Grünen ein neues Grundsatzprogramm geben. Ihr aktuelles Programm von 2002 wurde während einer Zeit veröffentlicht, als sie sich in einer Koalition mit der SPD befand und sowohl ihre pazifistische Ansichten durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien als auch soziale Programme durch Verabschiedung der Agenda 2010 über Bord warfen. Sowohl der Angriffskrieg als auch Agenda 2010 werden in der Debatte bisweilen größtenteils den Sozialdemokrat*innen angerechnet, derweil sich die Grünen heute als liberale Alternative anbiedern können. Wenn es jedoch um die Wirtschaftspolitik geht bestätigen sich die Grünen als Verwalterinnen der kapitalistischen Produktionsweise, dessen Rahmen sie besonders ökologisch setzen wollen. In ihrem aktuellen Grundsatzprogramm wird eine „ökologische und soziale Marktwirtschaft“ skizziert, welche sich bewusst von „staatssozialistischen, konservativen und marktliberalen Politikmodellen“ unterscheiden soll. Was eine „konservative Wirtschaftsordnung“ letztlich sein soll bleibt unklar, denn strukturell verankert sich auch das Modell der Grünen im Ordoliberalismus, der sich gerade durch die Absage an „staatssozialistischen Modellen“ der kapitalistischen Ordnungen unterwerfen muss. Obgleich in den 1980er Jahren noch die marxistische Ökonomie eine Rolle in der Gründungsphase der Grünen spielte, wurde spätestens nach der „Wiedervereinigung“ klar, dass ihre Rolle die der Verteidigung einer Marktwirtschaft sein wird, wie sie Ludwig Erhard konzipierte. Die Schwerpunktsetzung der Ökologie findet in quasi-moralischen Konzepten Ausdruck, bei der beispielsweise die Kritik am Wachstum nicht an zu verrichteten Arbeit der Rohstoffe unterstrichen wird, sondern am ökologischen Aspekt.

Die NATO-Übung an der Ostsee offenbarte jüngst das opportunistische Verhalten der Grünen. Die Kieler Grünen kritisierten die Übung dahingehend, dass Sprengtests „gravierende Auswirkungen auf Pflanzen- und Tierwelt“ hätten. Eine grundsätzliche Kritik am Militärmanöver an sich ist nicht zu finden, denn sie sind im selben Sog eingetaucht, der Russland als Aggressor brandmarkt. Diese Haltung ist alles andere als links, doch dieses Urteil wird ihnen viel zu schnell geschenkt. Sie gehen bisweilen so weit, legitime Kritik zu Sanktionen gegenüber Russland als gekauft zu brandmarken, bei der ein jeder, der sich für eine Versöhnung mit Russland ausspricht, zu einem lupenreinen Putinversteher mutiert. Mit dieser polemischen Herangehensweise sind die Grünen stärker im herrschenden Narrativ verankert, als ihre bürgerlichen Mitstreiter*innen es wahrhaben wollen. In dieser Hinsicht sind die Grünen alles andere als „rot“, sondern fürwahr „grün“ in dem Kontext, was grüne Politik eben aussagt: die Ideologie eines gehobenen, wenngleich sterbenden Kleinbürgertums. Der Zwischenbericht zur Ausarbeitung des neuen Grundsatzprogramms zeugt davon ausdrücklich. In Punkt 14 der niedergeschriebenen „Werte“ wird zwar der Kapitalismus als unregulierte Wirtschaftsordnung kritisiert. Allerdings wird von einem Maß an Ungleichheit vorausgesetzt, denn es wird klar von einer „zu großen Ungleichheit“ gewarnt. Das ist viel mehr als semantische Erbsenzählerei, sondern widerlegt den linken Charakter bei den Grünen.

Der politische Rechtsruck hat auch die Wahrnehmungen und Interpretationen von Ideologien verwässert, was dazu führt, dass ordoliberale oder staatstragend konservative Anschauungen schnell als „links“ gebrandmarkt werden. Wer in den heutigen Tagen nach einem starken Staat ruft, macht sich des Sozialismus verdächtig, etwas, was die Grünen als Partei des liberalen Antikommunismus mit allen Mitteln zu vereiteln weiß. Als Vertretung des Kleinbürgertums hat sie natürlich Interesse daran, den Kapitalismus so zu regulieren, um den Anschein einer grünen Alternative zu bieten. Mit Forderungen wie einer Ökosteuer soll die herrschende Industrie und ihre Vertreter*innen ein Druckmittel entgegengesetzt werden, eine entsprechend ökologische Wirtschaft zu etablieren. Dennoch ist bei der inhärenten Überproduktion kein Kampf gegen den Klimawandel möglich. Ob das den Grünen bewusst ist, ist fraglich, denn als Vertreterin einer Marktwirtschaft ist man dialektisch gezwungen, das Wachstum und den Wettbewerb zu verteidigen, wenngleich man akzentuierte Einschränkungen vornehmen kann. „Klimazerstörung muss einen Preis bekommen!“, sagte Anton Hofreiter und greift indirekt die Arbeiter*innenklasse an. Wer auf umweltschädliche Transportmittel angewiesen ist, weil es seiner Klasse wegen keine Alternative gibt, wird bestraft. Letztlich bleiben die Grünen eine kapitalistische Partei, die mehrmals unter Beweis stellten, trotz des pazifistischen Grundverständnisses Krieg in andere Staaten zu exportieren und trotz der sozialen Auslegung Hartz IV beispielsweise nicht überwinden wollen. Das steht auch gar nicht zur Debatte, denn sie sind keine linke Partei. Sie sind seit knapp 30 Jahren eine in der parlamentarischen Wirklichkeit angekommene verankerte Organisation im Interesse der herrschenden Klasse. Ihr derzeitiger Vorteil ist, dass sie alleine durch ihre Geschichte unweigerlich mit der Klimapolitik in Verbindung gebracht wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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