Hände weg von Greta Thunberg!

#FridayForFuture Die Generation der Alten hat Angst vor der jungen Aktivistin Greta Thunberg. Denn Thunberg will, dass wir in Panik geraten – und macht Hoffnung auf eine Klimawende

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„Du bist nicht radikal genug. Ich muss selbst etwas unternehmen“, sagte Greta Thunberg dem Meteorologen Martin Hedberg im Juni 2018 in einer Telefonkonferenz. Damals war die 16 Jahre junge Klimaaktivistin aus Schweden eine zwar unbekannte, doch bereits politisch engagierte Person, die schon in jungen Jahren mit der globalen Erwärmung konfrontiert wurde und etwas ändern wollte. Vor der Wahl zum Schwedischen Reichstag am 9. September 2018 begann sie nach Ferienende ihren Protest unter dem Motto „Schulstreik für das Klima“, der trotz anfänglicher Skepsis und Kritik aus dem singulären Streik binnen weniger Monate eine globale Bewegung hervorbrachte. Weltweit berühmt wurde sie durch ihre Rede auf der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice, bei der sie den herrschenden Nationen und Klassen vorwarf, dass ihnen die Entschuldigung ausgehen „und uns die Zeit“. Der BRD und ihrer „Kohlekommission“ scheint das der jüngsten Entscheidung folgend jedoch sekundär, denn ein flächendeckender Ausstieg aus der dreckigen Kohle ist vor 2038 nicht flächendeckend vorgesehen. Laut dem Kommissionsvorsitzenden Roland Pofalla könne der Ausstieg „für den Klimaschutz“ allerdings bereits 2035 vonstattengehen, was jedoch frühestens 2032 entschieden werden kann. Die konservative Politik der BRD macht eine internationale Radikalisierung der Klimaschutzbewegung im Sinne von Greta Thunberg unausweichlich. Mit diesem Hintergrund beginnen auch bereits hierzulande der Streik der Schüler*innen für die Rettung des Planeten.

Dass die Rede Thunbergs die Gemüter von Rechten, Klimaleugner*innen und „klimaskeptischen“ Konservativen erhitzt, war abzusehen. Die Herangehensweise an die Aktivistin hat allerdings besonders in den sogenannten „sozialen Medien“ das übliche Repertoire hervorgebracht. Neben der Gleichsetzung der internationalen Klimabewegung mit der faschistischen „Hitlerjugend“ wird auch Thunberg direkt angegriffen und ableistisch als „psychisch gestört“ angegriffen. Hintergrund dessen ist, dass Greta Thunberg Asperger-Autistin ist. Im Gespräch mit dem SPIEGEL vom 2. Februar 2019 werden auch diese Attacken behandelt, jedoch ein falsches Bild des Autismus transportiert, bei der die Interviewer*innen Claus Hecking und Charlotte Schönberger eben diese Angriffsfläche unbeabsichtigt legitimieren. „Menschen mit diesem Syndrom wird oft ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken nachgesagt“ – und ob das nicht hinderlich sei. Thunberg verneint und stellt den Asperger-Autismus als Stärke hervor, die ihr diesen politischen Standpunkt und die Weitsichtigkeit erst ermöglicht. Trotz der Notwendigkeit des Interviews, um Thunberg eine weitere Stimme zu geben, bleibt es oberflächlich und rezipiert gewissermaßen die bürgerlich-herrschende Meinung über die Herangehensweise an den Klimawandel. Obgleich Thunberg einen Kampf im „demokratischen System“ bejaht, stellt sie klar, dass es hier um die grundsätzliche Zukunft der Menschheit geht. Das aktuelle Titelbild des Freitag plädiert dahingehend offen für eine „Öko-Diktatur“ – und diese kontroverse Diskussion ist längst überfällig, denn die Freiheit des Einzelnen wird an völlig falschen Maßstäben bemessen.

Wie funktioniert die Propaganda derer, die den globalen Klimawandel leugnen und die Realitäten der darauf fußenden Entwicklungen leugnen? Plakativ wird davon gesprochen, so auch der Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump, dass es sich schlicht um „Wetter“ handelt. Die Rechtspartei Alternative für Deutschland (AfD) mit ihrem inoffiziellen Sprecher für Klimapolitik beispielsweise führt einen manipulativen Trick herbei, bei der eine angebliche Konstante der Temperatur der Erde zwischen 1997 und 2012 nachgewiesen wird. Diese Grafik ist auch nicht falsch, doch aus dem Zusammenhang gerissen. Der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch hat für Terra X das Programm der AfD untersucht und besonders deren klimapolitischen Ziele hervorgehoben. Die Grafik, die die AfD heranzieht, ist ein Ausschnitt aus einem Datenmaterial, dass die Temperatur zwischen 1980 und 2010 darstellt. „Hier sieht man einen deutlichen Anstieg“, so Lesch. Mit wissenschaftlichen Fakten wird also eher selten gearbeitet, daher stellt sich die Frage, woher die Motivation rührt, eine Leugnung aufrechtzuerhalten. Die derzeitige Diskussion in der BRD über eine Begrenzung des Tempolimits bringt eine mögliche Antwort darauf zutage: eine völlig missinterpretierte Stärkung des Individuums. Besonders unter selbsternannten Liberalen wird das Rasen der Deutschen mit „Freie Fahrt für freie Bürger“ tituliert, obgleich es genug Gutachten, Untersuchungen und Analysen gibt, die einen kausalen Zusammen zwischen der Anzahl von Verkehrstoten und einer hohen Geschwindigkeit untermauern.

In der Befragung der Bundesregierung des Deutschen Bundestags vom 30. Januar 2019 wird diese Thematik im Zusammenhang mit notwendigen Grenzwerten von Stickoxiden aufgegriffen und die Frage formuliert, ob der Verkehrsminister Andreas Scheuer von der Christlich-Sozialen Union (CSU) bei etwa der Hälfte der Bürger*innen davon ausginge, dass diese „keinen Menschenverstand haben“. Ein eklatanter Widerspruch zwischen der herrschenden Klasse und der dringenden Notwendigkeit einer radikalen Klimapolitik ist erkennbar. „Polemik ist das Salz in der politischen Debatte“, entgegnete der Parlamentarische Sekretär für Verkehr Enak Ferleman – und bringt umso mehr zum Vorschein, dass es kein ernsthaftes Interesse daran gibt, trotz Anerkennung des globalen Wandels und den damit verknüpften Gefahren unmittelbar umzulenken. Die Freiheit des liberalen Grundkonsens besagt eigentlich, dass die Freiheit dort eingeschränkt wird, wo sie die Freiheit eines Anderen einschränkt. Die freie Fahrt der Bürger*innen setzt Unbeteiligte der Unvernunft von Raser*innen aus. Dialektisch betrachtet müsste die absolute Freiheit dahingehend eingeschränkt werden. Das bringt das Dilemma auf dem Punkt, das der Begriff der Freiheit mit sich bringt. So wird auch die Gleichsetzung der individuellen Tat mit der kollektiven Notwendigkeit begrüdet. Greta Thunberg dürfe kein Sandwich essen, das sie aus einer Plastikverpackung nimmt. Denn die radikale Kritik wird stets an die Grenzen des Individuums gelegt. Das ist nicht nur falsch, es bringt auch nichts.

Was bleibt, ist das Mahnen der Kinder, Schüler*innen und Student*innen an die ältere Generation: Geratet in Panik! Die alten Kritiker*innen und Polemiker*innen können ihren Frust und ihre Hilflosigkeit nur hinter persönlichen Tiraden und idealistischen Spielereien verstecken. Ein Kommentar sprach von der Notwendigkeit, das Jugendamt einzuschalten: Schule schwänzen verstöße gegen das Gesetz. Das ist primär richtig, doch Gesetze sind ein Rahmen, deren Überschreitung unausweichlich ist, wenn es darum geht, die Wirksamkeit der Gesetze langfristig zu erhalten. Wem bringt die Schulpflicht etwas, wenn die nächste Generation keine Möglichkeit mehr hat, eine Schule zu besuchen? Die radikale Klimaaktivistin Greta Thunberg ist Symbol- und Vorbild einer überfälligen Mobilisierung jener Generation, die unter der desaströsen Klimapolitik ihrer Eltern zu leiden hat. Daran geknüpft ist selbstverständlich die Frage der Produktionsverhältnisse, denn der Klimaschutz hat im Kapitalismus keine Überlebenschance. „Wenn die Lösungen in diesem System so unmöglich zu finden sind, sollten wir das System selbst ändern“, sagte Thunberg. Und darauf muss man aufbauen. Nur eine antikapitalistische Klimapolitik wird die Überwindung in eine klassenlose und gerechtere Gesellschaft ermöglichen. Ihre Kritiker fokussiereb sich auf ihren Autismus, ihr junges Alter und sprechen von „Gehirnwäsche“ durch die Eltern. Das ist die Angst der Alten. Greta Thunberg hat alles richtig gemacht, ihre Bewegung ist ein notwendiger Teil eines grundsätzlichen Wandels. Ihre Stärke und Zuversicht sollte man bewundern und nachahmen. Eine autistische Gesellschaft kann einer neurotypischen Welt nur überlegen sein, könnte man fern jeglicher Ironie behaupten. Denn Polemik ist das Salz der politischen Debatte.

Die Autorin ist selbst Asperger-Autistin und hofft neben einer radikalen Klimapolitik auch darauf, falsche Autismus-Bilder baldigst zu überwinden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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