Sozialhilfeempfänger sind die Verlierer des 9-Euro-Tickets

Hartz IV Noch bevor es überhaupt los ging, wurde das Ticket als sozial-ökologischer Wendepunkt gefeiert: Gut für die Umwelt, gut für Menschen mit geringem Einkommen und Sozialhilfeempfänger. Doch ausgerechnet die werden wahrscheinlich drauf zahlen

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Zum 9-Euro-Ticket ohne Wartezeit – für Sozialhilfeempfänger entscheidend ist aber die Wartezeit bis zur Rückzahlung der Monatstickets
Zum 9-Euro-Ticket ohne Wartezeit – für Sozialhilfeempfänger entscheidend ist aber die Wartezeit bis zur Rückzahlung der Monatstickets

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Seit diesem Monat gilt das 9-Euro-Ticket bundesweit. Dass es eifrig genutzt wird, zeigen die ersten Tage eindrucksvoll. Die meisten Menschen profitieren davon, besonders Menschen mit wenig Einkommen, die dadurch genau dann eine Entlastung erfahren, wenn sie auf den ÖPNV angewiesen sind. Dass auch Reiche und Superreiche in den Genuss des Tickets kommen, ist der inhärenten Logik des bürgerlichen Gleichheitsfetischismus geschuldet.

Bereits bezahlte Abonnements und Tickets werden in den meisten Fällen nachwirkend erstattet, wobei bereits hier erste Risse des Gleichheitsgedanken enthalten sind, denn: Eine allgemein koordinierte Verfahrensweise ist nicht ersichtlich. Nichtsdestoweniger wird besonders in Teilen der Linken das 9-Euro-Ticket als progressiver, wenngleich temporärer, Sieg verbucht, der jedoch nicht auf drei Monate beschränkt bleiben soll. So forderte auch jüngst der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes ein langfristig „flächendeckendes [...] vergünstigtes Ticket des ÖPNV“. Doch wenn es bereits so ist, werden wohl einige Monate, wenn nicht Jahre, vergehen. Daher der Fokus auf das derzeitige stark vergünstigte dreimonatige Ticket.

Gibt es Verlierer*innen? Freilich gibt es die. Denn wenngleich alle Anspruch auf das Ticket haben, bekommen die Ärmsten der Armen wohl mittelfristig finanzielle Probleme damit. Bezieher*innen von sogenannten „Sozialleistungen“ und Hartz IV, die einer permanenten Gängelung der deutschen Bürokratie ausgesetzt sind, müssen in Teilen der BRD wohl mit Rückzahlungsforderungen rechnen. Menschen, die vom Amt „unterstützt“ werden, haben einen Anspruch auf einen kleinen Beitrag, der die Mobilität abdeckt. In der Regel handelt es sich bei Bedarf um Monatstickets für Erwachsene und/oder Schüler*innen, die vorausgezahlt werden.

Das Geld wird vom Amt zurückgefordert

Allerdings gilt die Regel, dass die sogenannten Sozialämter und Bürokrat*innen so wenig Geld wie möglich ausgeben sollten, wodurch das vergünstigte Ticket für dieses System äußerst attraktiv wird. Denn weshalb sollte man 60 Euro für ein Schülermonatsticket bezahlen, wenn es 9 Euro auch tun? Daher machen Ämter in einigen Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Thüringen, bereits deutlich, die Zahlungen teils oder ganz zurückzufordern. In der Praxis wird das also bedeuten: Empfänger*innen von sogenannten „Sozialleistungen“ und Hartz IV müssen die Differenz des bezahlten Tickets zum 9-Euro-Ticket zurückzahlen.

Für die meisten Betroffenen ist das eine finanzielle Herausforderung. Denn nicht nur wurde das Geld bereits für die entsprechenden Tickets ausgegeben; auch ist in den meisten Fällen noch nicht sicher, ab wann entsprechende Verkehrsverbünde – wenn überhaupt – Differenzen verrechnen, also den Kund*innen zurückzahlen. Während das für Menschen mit einem regelmäßigen Einkommen ohne existenzielle Ängste keine Problematik darstellt, ist es für die Ärmsten, die der Willkür der Ämter ausgesetzt sind, eine nicht zu bewältigende Herausforderung, die, sollte vonseiten der sich als progressiv bezeichnenden Ampel-Koalition nicht entgegengesteuert werden, die Betroffenen in finanzielle Nöte bringen wird.

Denn, wenn es darum geht, Geld einzufordern, kennen die Sozialämter keine Gnade und starten die Mühlen der Bürokratie bereits bei Centbeträgen. Für Betroffene, die auf jeden Cent angewiesen sind, ist dieser beginnende Prozess eine Tortur, der zu weiterer Schikane führt und einmal mehr verdeutlicht, dass im reichsten Land der EU die Ärmsten der Armen wie Menschen zweiter oder gar dritter Klasse behandelt werden, die bei all dem von nichts profitieren. Im Gegenteil.

Die Armutsfalle bleibt bestehen

Verwunderlich ist das keineswegs. Das System Hartz IV ist ein Kind von Sozialdemokrat*innen und Grünen, welche die Regierung stellen. Die haben zwar angekündigt, es zu reformieren, doch letztlich bleibt es nur bei einer Namensänderung mit Zugeständnissen an die Radikalliberalen der FDP, bei der die Entlastung nicht bei den Ärmsten ankommt, sondern der faktische Arbeitszwang weiter beibehalten wird.

Die Einführung des begrenzten 9-Euro-Tickets und weiterer sogenannter Entlastungen im Zuge der horrenden Inflation zeigt, dass der Klassenantagonismus und die schreiende Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung durch das System Hartz IV perfektioniert wurde, wonach eben jene am meisten geschröpft und ausgebeutet werden. Nicht nur bleibt das sogenannte Existenzminimum alles andere als lebenswert, auch handelt es sich hierbei nicht darum, Menschen langfristig zu unterstützen. Die Armutsfalle bleibt bestehen und das uramerikanische Mär, wonach es jeder zu etwas schaffen wird, wird hierbei radikal ad absurdum geführt, exemplarisch unterstrichen durch ein Bahn-Ticket für alle, bei der die, die ohnehin nichts haben, dadurch noch weniger bekommen.

Gerede von der Entlastung der Bevölkerung trifft in der Regel diejenigen, die ohnehin keine finanziellen Sorgen haben oder die gehobene Mittelschicht mit Eigentumswohnungen. Ähnlich ist es mit dem Tankrabatt, der letztlich auf Kosten der Armen seine Entfaltung zeigt. Die BRD zeigt einmal mehr, dass sie nicht die Armut verachtet und bekämpfen will, sondern die Armen hasst und sie von der Gesellschaft verstecken will, sie quasi unsichtbar machen will, denn: Was man nicht sehen – und sich auch nicht wehren kann! – tangiert einen nicht. Das 9-Euro-Ticket als symbolische Verachtung der Armen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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