In Verteidigung der Impfung

Coronavirus Um die Pandemie zu bekämpfen, steht die Herstellung eines Impfstoffs im Mittelpunkt. Impfgegner*innen erweisen sich hierbei als ideologisch und wissenschaftsfeindlich.

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Die Diskussion über die Notwendigkeit eines Impfstoffes gegen das Virus rückt die skeptizistische Ideologie der Gegner*innen in den Mittelpunkt. Die Skepsis oder Gegnerschaft gegen Impfungen sind keiner eindeutigen politischen Ideologie zuzuordnen, wenngleich ein individualistisches Leitbild Grundkonsens ist. So finden sich in jenen Reihen der Impfgegner*innen sowohl rechtsradikale bis liberale Kräfte wider, die sich mit unterschiedlicher Motivation und Argumentation gegen die Impfung stellen. Dabei muss deutlich unterschieden werden zwischen der Skepsis und der absoluten Gegnerschaft, wenngleich die Grenze durchaus fließend ist. Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen vermengt sich die Impfgegnerschaft mit eindeutig verschwörungstheoretischen Bildern, die in ihrer Struktur kein Novum darstellen. Einzig die Vehemenz und aktuelle Situation lässt die Stimmen jener Minderheit wieder lauter werden, die hinter Impfungen entweder eine kollektive Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts sehen und/oder mit realen oder vermeintlichen Nebenwirkungen argumentieren, die einerseits übertrieben interpretiert oder letztlich sozialdarwinistisch begründet werden. Die Geschichte der Impfgegner*innen ist hierbei genauso alt wie die Impfung an sich und hat nicht überraschend Schnittmengen mit anderen Ablehnungen wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Ein weit verbreitetes Argument, was gegen das Impfen gerichtet ist, sind die Nebenwirkungen – im Duktus jener auch „Impfschäden“ bezeichnet. Dabei werden Nebenwirkungen beziehungsweise Komplikationen von der Wissenschaft gar nicht geleugnet. Unterschieden muss allerdings von Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen. Wie das Robert Koch-Institut (RKI) auflistet, sind typische Reaktionen unmittelbar nach der Verabreichung des Impfstoffes Rötungen oder leichte Schmerzen an der Stelle. Diese Reaktionen sind jedoch kein Indiz für einen „Schaden“, sondern „Ausdruck erwünschter Auseinandersetzung“ des Immunsystems mit dem Stoff. Eigentliche Nebenwirkungen respektive Komplikationen sind sehr rar. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) listet in seiner Datenbank alle gemeldeten Verdachtsfälle von Reaktionen sowie der Organklasse und des eigentlichen Impfstoffes. Dabei wird deutlich, dass Fieber als häufigste Reaktion gelistet ist, es sich dennoch im einstelligen Prozentbereich befindet. Ein Impfstoff ist hierbei kein Wundermittel und jede Reaktion des menschlichen Körpers individuell. Besonders schwere Fälle werden von den Gegner*innen herangezogen, um die vermeintliche Gefahr hinter der Impfung zu unterstreichen.

So ist nicht zu leugnen, dass zwischen 2001 und 2014 laut der impfkritischen „Zeitschrift für unabhängige Impfaufklärung“ 351 Todesfälle zu verzeichnen waren. Diese werden vom PEI nicht verschwiegen, allerdings sind diese Zahlen mit vorsichtig zu genießen, denn eine Korrelation ist nicht zwingend vorhanden. Die Zahlen des Instituts basieren auf Verdachtsfälle, deren Kausalität einzig im „zeitlichen Zusammenhang“ gegeben ist. Ob die Todesursache oder irgendeine andere Komplikation zwingend durch die Impfung ausgelöst wurde, ist hierbei nicht gegeben. Doch selbst wenn diese Todesfälle belegbar sein sollen, ist die Zahl derer, die an einer Erkrankung verstarben, zu der es eine Impfung gibt, erheblich höher. Während einerseits seit 1995 kein Mensch mehr durch den Impfstoff gegen Masern verstarb, liegt die jährliche Zahl der durch Masern verstorbene Menschen in der BRD zwischen 2008 und 2018 bei stark schwankenden „165 und 2465 Fällen pro Jahr“. Generell verstarben zwischen 2007 und 2017 etwa 190.000 Menschen durch Erkrankungen, zu denen es einen Impfstoff gibt. Die wissenschaftlich belegbaren Zahlen der Toten durch Erkrankungen wie Rotavirus, HPV und Masern überwiegen hierbei die nicht belegbaren Zahlen von vermeintlichen „Impfschäden“, welche sich im dreistelligen Bereich bewegen.

Trotz der Zahlen scheint der Individualismus und eigene Erfahrungen der Gegner*innen zu überwiegen. Ein häufiges Argument ist jenes, dass Kinder eine Erkrankung durchmachen müssen, um so ihr Immunsystem natürlich zu stärken. Nicht nur ist eine bewusste Verweigerung eines unterstützenden Impfstoffes für junge Menschen nicht ungefährlich. Hinter dieser Argumentation verbirgt sich auch eine sozialdarwinistische Weltanschauung. Die Nebenwirkungen und Komplikationen bei Erkrankungen, gegen die nicht geimpft werden, ist erheblich höher als seltene Nebenwirkungen des Impfstoffes. Masern beispielsweise können zu einer schweren Erkrankung des Gehirns führen und der Keuchhusten kann eine schwere Atemwegserkrankung auslösen. Das Coronavirus führt ebenfalls zu einer schweren Atemwegserkrankung, deren Langzeitfolgen aktuell eine Schädung des Gehirns nicht ausschließen, auch bei nicht vulnerablen Personen. Die sozialdarwinistische Komponente eruiert hierbei in der Ideologie, dass „eine Krankheit durchmachen“ eine natürliche Selektion bedeutet: Ein starkes Immunsystem überlebt die gefährlichen Erkrankungen, ein schwaches Immunsystem wird dahingerafft.

Der Mythos, dass eine Impfung Autismus auslösen soll, treibt den Sozialdarwinismus auf die nächste Stufe. Der Brite Andrew Wakefield wollte bei einer sehr kleinen Studie einen Zusammenhang zwischen dem MMR-Impfstoff und die Entwicklung von Autismus erkannt haben. Obgleich seine Studie nicht reproduziert werden und die Wissenschaft bis dato keinerlei Zusammenhänge finden konnte, wird dieses Argument noch heute häufig unter Impfgegner*innen angewandt. Mit dieser Argumentation wird nicht nur die Wissenschaft der Impfung angegriffen, sondern auch eine am faschistischen Narrativ angelehnte Menschenfeindlichkeit propagiert. Nachdem die Studie von Wakefield populär wurde, ging besonders in Großbritannien die Zahl der Impfungen zurück, was den Schluss zulässt, Kindern keinen Autismus zu wünschen. Hier wird ein autistischer Mensch mit „Impfschaden“ in Verbindung gebracht, was vom selektiven Gedanken der Faschist*innen eines „gesunden Volkskörper“ nicht mehr weit entfernt ist. Der Autismus wird schlechterdings nicht nur als Behinderung klassifiziert, sondern letztlich als eine vermeintliche Komplikation, unter die der autistische Mensch dann zu leiden hat, beziehungsweise ihm das Menschsein nie vollends anerkannt werden kann.

Man kommt an einer Diskussion und auch Konfrontation mit der Impfgegnerschaft nicht herum. Die Leugnung Covid-19 beziehungsweise deren Relativierung ist hierbei die logische Konsequenz, die von einem Weltbild abgeleitet wird, die in der Debatte über eine mögliche Impfpflicht kumuliert. In Anbetracht der Schwere und Realität des Coronavirus muss diese Diskussion und Kontroverse geführt werden, wenn eine Alternative zu einem Impfstoff illusorisch bleibt. Um skeptische Menschen aufzufangen ist hierbei jede Notwendigkeit geboten, über den Mythos der Gefahr des Impfens aufzuklären. Als eine kollektive Gemeinschaft, in der die Menschen einander bedingen und brauchen, darf die Frage eigentlich nicht im Raum stehen, ob ein tödliches Virus eingedämmt werden sollte. Und wenn dieser Weg die Impfung ist, so darf nicht zur Debatte stehen, ob man diese Impfung verpflichtend einzuführen soll oder nicht. Natürlich soll man. Doch der Kampf um die Deutungshoheit wird ein schwerer werden, denn die Stimme der Impfgegner*innen ist derzeit sehr laut und findet Zustimmung bei verunsicherten Menschen. Es gilt dabei, die Impfgegnerschaft nicht zu bagatellisieren, sondern als eine wissenschaftsfeindliche Ideologie zu charakterisieren, deren Opfer wie so oft bei solch Ideolog*innen die Ärmsten und Schwächsten der Bevölkerung sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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