Kann sie noch Kanzler?

SPD Olaf Scholz kann sich vorstellen, der nächste Kanzler zu werden. Blöd nur, dass seine Partei im Begriff ist, sich selbst aufzulösen

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Kennste den schon? – Die SPD wird den nächsten Kanzler stellen
Kennste den schon? – Die SPD wird den nächsten Kanzler stellen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) war einst die zweite selbsternannte Volkspartei nach der Christlich Demokratischen Union (CDU). Mit dem Godesberger Programm 1959 verabschiedete sich die aus der Arbeiter*innenbewegung und dem Marxismus entwachsene Partei von sozialistischen Forderungen. Der Wandel bis heute markiert einen kontinuierlichen Rechtsruck, der seit der Regierung Gerhard Schröders 1998 die Partei in eine andauernde Nichtigkeit katapultiert. Der völkerrechtswidrige Krieg in Jugoslawien und die Neoliberalisierung der Arbeits- und Sozialpolitik waren Anfang und Ende einer „Neuausrichtung“ der Sozialdemokratie, die euphemistisch als Dritter Weg bezeichnet wurde. Während sich die britische Schwesterpartei unter Jeremy Corbyn allerdings wieder auf sozialdemokratische Werte besinnt, hat die SPD ihre große Müh’ damit. Nicht nur wird die desaströse Hartz-Regelung beibehalten und verteidigt, über die letzten Jahre konnte auch eine Entzweiung der Realitäten beobachtet werden. Die Partei hat sich seit 2013 selbst negiert und programmatisch in die Irrelevanz getrieben, derweil sie sich selbst noch als ernstzunehmende Alternative sieht und verbal einen Wandel verspricht. Theoretische Mehrheiten in Parlamenten werden allerdings nur sehr selten genutzt und die Führung verweigert sich konsequent einer Ausarbeitung der herrschenden Begebenheiten. Laut Forsa vom 5. Januar 2019 käme die SPD bundesweit auf 15%, der schlechteste Wert ihrer BRD-Geschichte. Und in dieser existentiellen Krise wird erneut die Kanzlerfrage gestellt.

Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen und Vizekanzler seit dem 14. März 2018, erklärte im Interview mit Bild am Sonntag, dass die SPD den nächsten Kanzler stellen würde. Diesen Posten traue er sich selbstverständlich zu. Ungeachtet der parallelen Realitäten, die hier aufeinander treffen, würde ein Kanzler Scholz nahezu nichts an der derzeitigen Politik ändern. Nicht nur ist er ein vehementer Verteidiger der Hartz-Regelungen, er spielte auch während dem G-20 Gipfel 2017 eine unrühmliche Rolle als damaliger Erster Bürgermeister Hamburgs. Bei fehlerhaftem Konzept und einer sichtlichen Überforderung der komplexen Lage dehnte er die Grenzen der Demokratie weit aus und sorgte im Nachhinein für Furore, als er jegliche, nachgewiesene Polizeigewalt zurückwies. Die Rolle als Hardliner in der Partei bemühte er ebenso mit seiner Politik der Verabreichung von Brechmitteln bei „Drogendealern“. Der um Asyl bittende Nigerianer Nwabusi (auch bekannt unter dem Namen Achidi John) starb infolge einer solchen Verabreichung in Kombination mit Kokainkonsum im Dezember 2001. Trotz bundesweitem Protest und Verbot verteidigte Scholz erneut seine Entscheidungen und Beschlüsse als richtig. Als Vertreter des rechten Parteiflügels steht er hierbei diametral für eine Rückbesinnung der SPD auf ihre Wurzeln. Ein Umstand, den beispielsweise auch Martin Greive vom Handelsblatt für bedenklich hält.

Dabei sind die politischen Wurzeln Scholz’ selbst im marxistischen Flügel zu finden. In seiner Zeit bei den Jungsozialist*innen der SPD von 1975 bis 1989 bekannte er sich zum „Stamokap-Flügel“, einer damaligen Richtung der Jugendorganisation, die sich auf die leninistische Imperialismustheorie bezog. Doch wie so häufig in der Sozialdemokratie wurde auch aus dem Jungmarxisten Olaf Scholz ein Vertreter der herrschenden Klasse in der Mutterpartei. Von ganz links bis nach ganz rechts in der SPD gerutscht steht er hierbei nicht alleine, auch der Bundesaußenminister Heiko Maas vertrat in seiner Zeit bei den Jusos als von Oskar Lafontaine Geförderter weit linkere Positionen. Aus historischen Gründen hätte die SPD keinen anderen Kanzlerkandidaten verdient als Olaf Scholz. Kein anderer Führungspolitiker personifiziert das Wesen der Partei besser als er. In seiner Funktion als Finanzminister treibt er das Dilemma der Sozialdemokratie auf die Spitze, in dem er die Beliebigkeit zur Schau stellt. Zwar gibt es Reformversuchen in der Haushaltspolitik, wie der Forderung nach einer europäischen Arbeitslosenversicherung, doch der Blick auf die „schwarze Null“ bleibt zentral. Scholz bleibe auch mit SPD-Parteibuch „ein deutscher Finanzminister“, hernach „tendenziell knausrig“, wie SPIEGEL ONLINE meint.

Darüber hinaus gibt es keinerlei Neuerungen. Es wird obligatorisch von „gerechten Renten“, pflichtgemäß von nicht näher definierten „Reformen“ gesprochen, doch im Kern bleibt das Wesentliche dasselbige. Die Flexibilisierung der Arbeit, das Sanktionsregime der Hartz-Regelungen und eine aufbauende Law-and-Order-Politik ist auch pragmatische Politik der SPD, ganz gleich ob in Regierung oder Opposition. Sie ereilt dasselbe Schicksal wie ihren Schwesterparteien in Frankreich, Spanien und Griechenland. Die Unterwerfung des Neoliberalismus ist und bleibt das Selbstgebräbnis der Sozialdemokratie. Es mutet schizophren an, wenn genuine sozialdemokratische Politik als realitätsferne Utopie gebrandmarkt wird und vor den Folgen der kapitalistischen Ökonomie die Augen verschlossen werden. Scholz’ Wunsch, Kanzler der nächsten Legislaturperiode zu werden, ist ein trivialer. Der Personenkult um Martin Schulz konnte die Partei temporär über die 30%-Marke hieven, doch der Fall war begründet durch die selbstauferlegte Alternativlosigkeit. Die SPD ist ihrem Willen, das Grundgerüst nicht in Frage zu stellen, verhaftet.

Um aus dieser Lage herauszukommen, gilt es nicht, die Frage aufzuwerfen, ob der nächste Kanzler ein Sozialdemokrat wird. Das wird keinesfalls geschehen, wenn die Partei sich selbst nicht neu aufstellt. Bereits 2017 wäre der Weg in die Opposition lebensnotwendig gewesen, die Entscheidung, die Große Koalition weiterzuführen, hat der SPD am meisten geschadet. Die Profillosigkeit wird durch eine Personalie Olaf Scholz nicht wettgemacht, im Gegenteil. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Angst vor einem Linksruck, denn „Mehrheiten werden in der Mitte gewonnen, nicht am Rand“, behauptet Schröder. Ein theoretischer Linksruck der SPD wird sie mitnichten in eine kommunistische Kaderpartei verwandeln, sondern sie auf das besinnen, was ihr Grundsatzprogramm und der Parteiname seit Jahrzehnten verspricht: sozialdemokratische Politik. Problematisch indes ist die Tatsache, dass die Partei Die Linke de facto das sozialdemokratische Milieu bedient. Ohne es mitbekommen zu haben, wurden ihre Wurzeln geerbt und weitergeführt. In Parlamentsdebatten, wenn Politiker*innen der SPD gegen Forderungen der Linkspartei argumentieren, attackieren sie faktisch ihr eigenes Programm und Geschichtsbild. Mit leichter Verspätung wird die Sozialdemokratische Partei eingestehen müssen, dass es ihr nicht geglückt ist, ins 21. Jahrhundert vorzudringen. Sie bietet keine Alternative, jeder Ruf nach Veränderung ist nur ein weiterer Schritt der völligen Selbstauflösung. Man kommt nicht um den Gedanken herum, etwas Trotziges in den Äußerungen Olaf Scholz’ zu erkennen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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