Kein Grund zu Feiern

Verfolgung Vor 25 Jahren wurde der §175 ersatzlos gestrichen. Dennoch tut es sich die Gesellschaft und Politik bis heute schwer, die Verfolgung von Homosexuellen aufzuarbeiten.

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Am 11. Juni 2019 jährt sich die Streichung des Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch (StGB) zum 25. Mal. Als Paragraf der Unterdrückung gegen homosexuelle Menschen hatte er seinen Ursprung bereits im jungen Deutschen Reich 1872. Dort wurde der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Menschen männlichen Geschlechts mit sexuellen Handlungen mit Tieren gleichgesetzt. Dieses Gesetz wiederum entsprach der Rechtssprechung aus Preußen aus dem Jahre 1851 und wurde bis zur Ausrufung der Weimarer Republik entsprechend angewandt und vollzogen. Eine Verschärfung des Gesetzes war kein Einfall der deutschen Faschist*innen, sondern wurde in den 1920er vor allem von der noch heute existierenden Zentrumspartei versucht durchzusetzen. Zu einer Verabschiedung kam es aufgrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse nicht. Sozialdemokratische und kommunistische Politiker*innen forderten hingegen die ersatzlose Streichung, was jedoch vom herrschenden Narrativ und der gesellschaftlichen Stimmung wenig bis gar nicht unterstützt wurde. 1935 „reformierten“ die Faschist*innen mit Blick auf eine maskulinistische Ideologie den Paragrafen und beschrieben die „Unzucht“ als gegeben, wenn bereits der Anschein erweckt schien, eine homosexuelle Handlung könnte vollzogen werden. Vorsichtigen Schätzungen nach wurden 54.000 homosexuelle Männer verfolgt, wovon 7.000 in Konzentrationslagern ermordet wurden. Inwieweit es auch homosexuelle Frauen betraf, ist bei einem mangelhaften Wissenstand umstritten. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass auch lesbische Menschen unter dem Terror der Faschist*innen verfolgt und ermordet wurden. Besonders das Konzentrationslager Ravensbrück zeigt davon.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war semantisch geprägt von einer „Demokratisierung“ der Gesellschaft, die aufgrund konkurrierender Interessen und herrschenden Bedingungen alles andere als verwirklicht werden konnte. Der Paragraf 175 ist ein Beispiel für die Beibehaltung der faschistischen Rechtssprechung in beiden Teilen Deutschlands. Während in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) allerdings 1957 durch eine Strafrechtsreform die Verfolgung de facto eingestellt wurde, unterstrich das Bundesverfassungsgericht in der BRD im selben Jahr die juristische Richtigkeit der faschistischen Strafrechtsnorm. Die politische Realität in der DDR war Resultat der Aufarbeitung des Stalinismus, in welchem die Homosexualität als „konterrevolutionär“ bezeichnet wurde. Die faktische Straffreiheit von 1957 wurde hiernach 1987 vom Obersten Gericht grundsätzlich unterstrichen, wodurch die „Homosexualität ebenso wie die Heterosexualität“ als eine „Variante des Sexualverhaltens darstellt“. Diese Entscheidung sollte wegweisend für die Abschaffung des Paragrafen in der BRD werden, bei der bei der sogenannten „Wiedervereinigung“ eine entsprechende Anpassung notwendig geworden war.

Als vermeintlich westliche Demokratie tat sich die BRD bis 1994 sehr schwer mit dem Umgang seiner homosexuellen Mitmenschen. Die Absage einer Beschwerde zweier Männer eben aus dem Jahre 1957 wird mit der latent sozialdarwinistischen Begründung untermauert, dass schwule Männer ein „hemmungsloses Sexualbedürfnis“ hätten, was die juristische Ausgangslage der Faschist*innen untermauere. Erst 12 Jahre später wurde der originäre faschistische Paragraf revidiert, die Grundstruktur jedoch kaum angefasst. Weiterhin wurde von „Unzucht“ gesprochen, bei der allerdings das Schutzalter von 21 Jahren zur Rate gezogen, „Missbrauch“ in Sinne von „Abhängigkeitsverhältnissen“ allerdings weiter bestraft wurde. Es sollte weitere vier Jahre dauern, bis unter der sozialliberalen Koalition von Willy Brandt nicht mehr von der „Unzucht“ gesprochen, sondern das „sexuelle Selbstbestimmungsrecht“ essenziell wurde. Der Geschlechtsverkehr von schwulen Männern fiel nur noch dann unter Strafe, wenn es sich um mindestens eine minderjährige Person (das Schutzalter wurde auf 18 Jahre heruntergesetzt) handelte. Nichtsdestoweniger wurde die Homosexualität kriminalisiert, denn eine Liebe von zwei minderjährigen Schwulen wurde der Unmöglichkeit unterstellt. Damit behielt man die traditionell-sozialdarwinistische Feindseligkeit strukturell bei, Homosexualität zwischen Männern mit einem Missbrauch gleichzusetzen.

Der Erfolg, den Paragrafen 1994 ersatzlos zu streichen, kann schwerlich als solcher verkauft werden. Durch den Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR konnte der regressive Paragraf 175 nicht auf die „neuen Bundesländer“ angewandt werden. Anstatt nach einer politischen Lösung zu suchen-die eine Aufarbeitung und die Frage nach Entschädigungen hätte beantworten müssen - vertraute die herrschende Klasse in die Zeit und ließ die Frist schlicht ablaufen. Trotz des permanenten Drucks seitens der Betroffenen und Menschenrechtsorganisationen konnte sich die BRD erst 2017 (!) dazu durchringen, einen Entschädigungsfonds für die Opfer des Paragrafen aufzusetzen. Von der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) werden die bereitgestellten Mittel jedoch als für „nicht weitgehend genug kritisiert“. Die Noch-Justizministerin KatarinaBarley versprach allerdings eine „entsprechende Richtlinie“, um eine „bessere Entschädigung“ zu ermöglichen. Der bittere Beigeschmack, dass es sich hierbei um eine Art Ablasshandel handelt, bleibt weiterhin bestehen, denn eine weitumschweifende Aufarbeitung bleibt aus. Dies kann auch gar nicht geschehen, ohne sich einzugestehen, dass der Faschismus in der Rechtssprechung nach 1945 weiterhin viele Jahre Bestand hatte.

Erst die Aufklärung durch die Große Französische Revolution zementierte die bürgerliche Vorstellung von binären Grundvorstellungen, wovon beispielsweise Homosexualität keinen Platz fand. Selbst heute noch wird eine Gewichtung zwischen den Geschlechtern gemacht, was in reaktionären Strukturen der Gesellschaft zu finden ist. Die männliche Homosexualität erfährt weiterhin eine negativere Beachtung als die weibliche. Die Deutungshoheit darüber liegt im überlebten Maskulinismus begründet, der eine Liebe zwischen Männern als konträr der gesellschaftlichen Männlichkeit betrachtet. De iure mag eine Absetzung der Kriminalisierung erreicht sein, doch der gesellschaftliche Wille steht besonders mit Blick auf das Erstarken rechtsradikalen, reaktionären Gedankenguts auf der Kippe. Das liegt begründet in dem herrschenden System, das den Faschismus erst ermöglichte, sonach die Kriminalisierung des schwulen (und lesbischen) Menschen. Es liegt die Gefahr in der Luft, dass wieder von „Unzucht“ gesprochen wird, wenn es um die menschliche Homosexualität geht. Der politische und gesellschaftliche Rollback beherbergt die Gefahr, den inhärenten Sozialdarwinismus wieder salonfähig zu machen. Die BRD bedurfte erst eine sozialistische Gesetzgebung und die „Wiedervereinigung“, um auf Zeit den Paragrafen in die Vergessenheit zu zwingen. Eine wirkliche, notwendige Aufarbeitung bleibt weiterhin aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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