Kevin und Gesine sollen's richten?

Parteiführung In der SPD wird breit über eine Doppelspitze in der Parteiführung gesprochen. Juso-Chef Kevin Kühnert und Gesine Schwan sollen nach dem Willen vieler nun die SPD retten

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Gesine Schwan
Gesine Schwan

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) kämpft gegen ihren eigenen Untergang. Nachdem Andrea Nahles als Parteivorsitzende zurückgetreten ist, übernahmen die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz – Manuela Schwesig und „Malu“ Dreyer – sowie der Landesvorsitzende der SPD Hessen, Thorsen Schäfer-Gümbel, kommissarisch den Vorsitz. Alle drei beteuerten, sich nicht auf den Vorsitz der Partei zu bewerben. Die Diskussion über eine paritätische Doppelspitze – wie sie auch bei den Grünen und der Linkspartei vorhanden ist – wurde stets präsenter. Jüngst sind nun die Namen des Juso-Chefs Kevin Kühnert und Gesine Schwans gefallen, die die Partei „erneuern“ sollen, um gewissermaßen sowohl die Jungen als auch die Alten anzusprechen. Die Personalie ist nicht uninteressant, so repräsentieren sowohl Kühnert als auch Schwan mehr oder minder einen dezidiert linken Flügel, der beispielsweise der Großen Koalition kritisch gegenübersteht. Dennoch wird eine paritätische Besetzung nichts an der Ausgangslage der SPD ändern – wenn es nur dabei bleiben soll, ohne eine theoretische Neuausrichtung. Das Instrument der Doppelspitze ist alles andere als ein sicherer Garant, dass sich etwas zum Positiven ändert. Nichtsdestoweniger zeugt es von einem Anflug von Mut, die erwähnten Politiker*innen zum Vorsitz vorzuschlagen, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass er bürgerliche Journalist*innen in Atemnot bringen könnte.

Der Vorschlag, Kevin Kühnert zum Vorsitzenden der angeschlagenen Sozialdemokratie zu wählen, scheint einen Richtungswechsel anzudeuten. Der Juso-Chef ist besonders durch seine Kampagne „Tritt ein, sag’ Nein“ bekannt geworden, bei dem er Menschen dazu aufrief, der SPD beizutreten, um gegen eine Neuauflage der Koalition mit den Unionsparteien zu stimmen. Die als rebellisch anmutenden Aktion stieß auch in der eigenen Partei auf Ablehnung. Mit Blick auf seine politischen Positionen lassen sich noch weitere Schnittmengen mit genuin sozialdemokratischer Politik erkennen – von der sich die SPD schon vor Jahrzehnten verabschiedete. Nicht nur forderte er zum 1. Mai 2018 eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde, auch kritisiert er besondere Instrumente der arbeiterfeindlichen Agenda 2010. Obgleich nicht als konsequenter Kritiker der Hartz IV-Regelung auftretend, will er die Bestrafungsmaßnahmen – Sanktionen – der Behörden abschaffen und sieht es als wenig förderlich, die arbeitslose Menschen in Maßnahmen zu zwingen, die gegen ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen. Bedingt durch die radikale Diskursverschiebung nach Rechts klingen solch harmlose Forderungen wie der Ruf nach einem neuen Sozialismus – man denke nur an den Moment, als er die noch anhaltende Debatte anstieß, öffentlich über Enteignungen nachzudenken. Spätestens da versuchten höhere Funktionäre der SPD, Kühnert zurückzupfeifen und konterkarierten nicht weniger als das eigene SPD-Parteiprogramm.

Die Personalie Gesine Schwan ist dahingehend interessant, als dass sie Russland-Sanktionen kritisch gegenübersteht. In einem mittlerweile zehn Jahre alten Interview mit Spiegel Online versuchte sie, einen neutralen Blick auf Russland zu wahren und hielt „Sonderbeziehungen“ für kontraproduktiv. Besonders durch den ehemaligen Bundeskanzler und Parteigenossen Gerhard Schröder gibt es enge Verbindungen zu Putin. Innerhalb der fast letzten 15 Jahren entwickelte sich die SPD jedoch zu einer obligatorischen antirussischen Partei, die demselben bürgerlichen Widerspruch verfallen ist, das Völkerrecht – mit Blick auf die Krim – einseitig und subjektivistisch auszulegen. Ihre Funktion als Schirmherrin der „Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa“ sowie dem Filmprojekt „Stereo Cultura“ von „Trialog – Netzwerk junger Ideen“ unterstreicht Schwans Bemühen, gute Beziehungen mit osteuropäischen und besonders russischen und belarussischen Menschen aufzubauen. Schwan selbst machte innerhalb ihrer Parteikarriere eine graduelle Linksentwicklung durch. Sie selbst bezeichnet sich in den 1980er Jahren als „SPD-Rechtsaußen“, welche einen strikt antikommunistischen Kurs vertrat. Ihre Wandlung zur „Linken“ konterkariert sie allerdings unfreiwillig mit ihrem Bekenntnis zu Agenda 2010. Sie unterstreicht dasselbe Argument wie Kühnert, dass lediglich am Sanktionsregime „gearbeitet“ werden müsste, die kapitalistische Produktionsweise jedoch in Zeiten der Krise keinen anderen Schluss zuließe.

Was bedeutet der Vorschlag nun konkret für die SPD? Auf den ersten Blick scheint sich ein Linksschwenk bemerkbar zu machen, wobei konstatiert werden muss, dass sich dieser in den Grenzen der Sozialdemokratie manifestiert. Allerdings wird gerade der Schwerpunkt der SPD – die Sozialpolitik – kaum hinterfragt, sondern lediglich akzentuiert bemängelt. Eine Doppelspitze bestehend aus Kühnert und Schwan würde weiterhin an den desaströsen Hartz IV-Gesetzen festhalten, deren Sprengkraft nicht im Sanktionsregime mündet. Markus Wehner für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) indes sieht die Gefahr im Bruch mit der Koalition. Die Spielerei wird gerade auch durch den Altersunterschied der möglichen Bewerber*innen gedämpft, zumal Kühnert laut Status noch zu jung sei. Es bleibt hiernach bei einem Manöver der SPD, in Zeiten des Untergangs die Möglichkeit eines Wandels anzudeuten, ohne ihn tatsächlich umsetzen zu müssen. Die Grundproblematik liegt nicht in der Ausrichtung der SPD und den Köpfen, die getauscht werden können, sondern einer theoretischen und historischen Bewältigungsproblematik, der jede Sozialdemokratie der westlichen Welt anheimfällt. Sie kann ihrem Wesen nach keine weiteren Antworten mehr geben, denn ihr reformistischer Weg ist vollends ausgeschöpft, so dass sie in Zeiten spätkapitalistischen Formation nur temporäre Verwalterin des Scheins einer sozialen Ader ist. Die Einheit der Linken kann nicht mehr unter dem Banner der Sozialdemokratie vonstattengehen, denn eine Partei, die sich vehement gegen das eigene Programm stellt, wenn zu konkreten Themen konkrete Alternativen angeboten werden, kann nicht regieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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