Linksruck in der Linkspartei?

Führung Mit Janine Wissler ist eine vermeintliche Trotzkistin zur Vorsitzenden der Linkspartei gewählt worden. Doch wie trotzkistisch ist die Hessin wirklich?

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Die Linkspartei hat zwei neue Parteivorsitzende. Nach acht Jahren gaben Bernd Riexinger und Katja Kipping den Posten ab, neu gewählt wurden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow. Während Hennig-Wellsows Kandidatur, die den reformistischen Flügel vertritt und die Partei auch als die der Mitte verstanden wissen möchte, wurde Wissler über die Parteigrenzen hinweg semikontrovers aufgenommen und begleitet. Wissler wird dem linken Flügel zugeordnet, dem sie sich auch selbst verbunden fühlt. Im hessischen Landtag war sie seit 2008 vertreten, seit 2009 hat sie den Vorsitz der Linksfraktion inne. Im vergangenen Jahr bekam sie neben ihren Parteigenossinnen Anne Helm, Martina Renner und HelinEvrim Sommer Morddrohungen des selbsternannten „NSU 2.0“. Skandalös war dabei, dass zuvor bei einem Computer der hessischen Polizeibehörde Daten von unter anderem Wissler abgefragt wurden. Der Verdacht, die Drohungen kämen aus dem Umfeld der Polizei, ist dabei nicht abwegig. Davon ab dreht sich die eigentliche Kontroverse um Wissler um ihre politische Herkunft und (Selbst-)Einschätzung: in den 1990er Jahren wurde sie Mitglied von Linksruck, der 2007 in das Netzwerk marx21 überging. Beide Organisationen gelten als „trotzkistisch“, wodurch Wissler selbst als Trotzkistin bezeichnet wird. Bedeutet das denn nun, dass die Linkspartei von einer Trotzkistin angeführt wird?

Dass Wissler vor kurzem im Interview mit n-tv betonte, sich „nie als Trotzkistin bezeichnet“ zu haben, spielt nur eine sekundäre Rolle: Selbst- und Eigenbezeichnungen sind kein ausreichender Gradmesser zur Einschätzung einer objektiven Bedingung. Im Umkehrschluss verstand sich Linksruck durchaus als trotzkistische Organisation, wenngleich der Nachfolger davon eine gewisse Distanz wahrt. Dass selbst die CDU Hessen kurz nach der Wahl Wisslers in einer wieder gelöschten Pressemitteilung davor warnte, die neue Parteivorsitzende sei „Kommunistin und Trotzkistin“, deutet auf eine Wirkmächtigkeit hin, die selbst Konservative dazu veranlasst, dieses Statement abzusetzen. Dabei ist selbst innerhalb der trotzkistischen Bewegung sowohl Linksruck als auch marx21 eine kontroverse Angelegenheit: das liegt in der Ideologie begründet, die besonders eine Abweichung der Einschätzung des Charakters der Sowjetunion darstellt. Während „orthodoxe“ Trotzkist*innen die UdSSR oder die Deutsche Demokratische Republik als eine degenerierte Form eines Arbeiter*innenstaats betrachten, beziehen sich Linksruck und marx21 darauf, dass es sich um einen „staatskapitalistischen“ Staat handelte. Doch diese theoretisch unterschiedlichen Analysen sind nicht das eigentliche Problem der Strömung, der Wissler angehörte.

Sowohl in der BRD als auch der Ableger in Österreich sind besonders Anfang des 21. Jahrhunderts dadurch aufgefallen, im sogenannten „Nahost-Konflikt“ einen vulgären Dualismus anzuwenden. Sowohl die libanesische Hisbollah als auch die palästinensische Hamas wurden als „legitime Widerstandsbewegungen“ beschrieben. Dass es sich hierbei um islamistisches Organisationen handelt wurde zwar nicht ignoriert. Doch die kritische Betrachtungsweise, die eine Delegitimierung nicht bejahte, zeugte von einem Verständnis, das weit von einer trotzkistischen Analyse entfernt ist. Wenngleich Wissler selbst nicht zwingend diesen Kurs mitgetragen haben muss, so war sie bis vor kurzem seit Gründung Mitglied dieser Organisation, die durch diese Methodik sowohl gegen die libanesische als auch palästinensische Arbeiter*innenklasse gerichtet war. Doch freilich handelt es sich, wenn bürgerliche Kräfte vom „Trotzkismus“ sprechen, nicht um eine theoretische und fundierte Auseinandersetzung der objektiven Bedingungen und Klassenverhältnisse, sondern um einen Kampfbegriff, der ein politisches Verständnis völlig außen vor lässt.

Dass Trotzkist*innen der bolschewistischen Tradition entstammen, und hiernach auch eine entsprechende Politik verfolgen, ist der Versuch der Skandalisierung, der auf den eigentlichen Antagonismus in der BRD und besonders der Verhältnisse in der Linkspartei angewandt wird. Dabei wird dieses Narrativ verwandt, um die eigentliche Programmatik der Linkspartei als etwas darzustellen, was völlig konträr: eine kommunistische Ideologie. Die Linkspartei – und auch Janine Wissler – sind allerdings weit davon entfernt, einen sozialistischen Arbeiter*innenstaat zu errichten. Das wurde auch von Wissler selbst kommuniziert, die einer potenziellen rot-rot-grünen Regierungskoalition keine grundsätzliche Absage erteilt. Da revolutionäre Linke eine Regierungsbeteiligung mehr oder minder ablehnen, ist die herbei fabulierte Gefahr, eine linke Regierung würde den Kommunismus einführen, doppelt falsch: es entspricht nicht dem Charakter einer sozialistischen Partei und Revolutionen werden nicht durch Parlamentswahlen gemacht.

Was bleibt ist ein Aufschrei, der von der falschen Seite kommt. Ob Wissler nun wirklich Trotzkistin ist oder nicht, spielt keine Rolle, denn ihre Äußerungen kurz vor der Wahl und ihre formale Kündigung vom marx21-Netzwerk lassen die Intention erkennen, es mit der sozialen Revolution nicht ernstgemeint zu haben. Die Linkspartei wird durch Wissler keine trotzkistische Massenpartei, durch Hennig-Wellsow jedoch einen Schritt näher zur zweiten SPD. Das Höhn-Papier und die daraus entstandenen innerparteilichen Kämpfe lassen einen Vorgeschmack zu, was geschieht, wenn sozialistische Grundpositionen weiter aufgeweicht und negiert werden. Wenn am 19. und 20. Juni 2021 das Wahlprogramm beschlossen wird, ist eher zu erahnen, wohin die Partei mit einer vermeintlich trotzkistischen Parteivorsitzenden hingehen wird. So viel sei jedenfalls bereits gesagt: die Diktatur des Proletariats bleibt aus. Und eine Zusammenarbeit mit Islamist*innen wird es ebenfalls nicht geben. Ihrem Selbstverständnis nach versteht sich Janine Wissler als „Sozialistin“. So sollte man sie auch wahrnehmen und entsprechend beurteilen: denn ob die Linkspartei eine sozialistische Partei bleiben oder – wie Hennig-Wellsow andeutete – eine „Partei der Mitte“ sein wird, ist die dringende Frage der Partei.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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