Materialismus und Gender

Debatte Auch innerhalb der Linken gibt es Aversionen gegenüber einer gendergeschlechten Sprache und der „Queer-Frage“. Darüber muss diskutiert werden. Ein Debattenbeitrag

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Dass die Queer-Theorie und die „Gender-Frage“ für die politische und radikale Rechte ein Dorn im Auge ist stellt keine Verwunderung dar. Nicht erst seit Gunnar Lindemanns Twitter-Beitrag, dass er sich über den Begriff „Fahrspurende“ empört, da dieser die Folgen einer wie auch immer definierten „Gender-Ideologie“ sei, spielt die Sprache im Kampf um eine diskursive Deutungshoheit eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung, welche sich nur primär um die „Gender-Frage“ dreht. Anhand der Entwicklungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse, wonach das binäre Geschlechtsbild ein bürgerliches konstruiertes ist sowie dem idealistischen Versuch, dieser Ideologie semantisch zu begegnen, findet ein reaktionärer Rollback jener Kräfte statt, die sich auch teils in der Tradition des Liberalismus sonnen, in dessen Keim die Wissenschaft der Thematik fußt. Die Debatte um eine gendergeschlechte Sprache, des semantischen Bruchs mit konstruierten Geschlechtsbildern sowie letztlich auch der Frage des Individuums, ist dabei nicht nur in der politischen und radikalen Rechten ein kontroverser Punkt, sondern auch innerhalb der politischen Linken. Die Grundfrage dreht sich hierbei jedoch nicht um den humanistischen Aspekt, der von den rechten negiert wird, sondern tiefergehend um eine politische und teils ökonomische Einordnung im Verhältnis des Antagonismus zwischen Herrschenden und Unterdrückten. Philosophisch wird hierbei der ewige Kontrast zwischen Idealismus und Materialismus herangezogen, der jedoch in der teils toxischen Debatten die dialektische Methode mit der mechanischen austauscht und somit dem starren Verhältnis zwischen Haupt- und Nebenwiderspruch untergeordnet ist.

Um sich der Debatte anzunehmen, gilt es erst grob zu benennen, worauf die Kontroverse fußt. Da die Queer-Theorie und hiernach auch die weitergehende Deutungshoheit über die Sprache einer majoritär dekonstruktivistischen Theorie entspricht, ist sie unweigerlich Produkt der idealistischen Auffassung. Argument ist hierbei, dass der dekonstruktivistische Ansatz objektiv vorherrschende Ungleichheit und Unterdrückungsmechanismen anhand der Benennung jener darlegt, gleichfalls aber den Schritt macht, einen sprachlichen Kontrast zu schaffen. Am bekanntesten ist das generische Maskulinum, welches die Nennung des weiblichen Subjekts kategorisch ausschließt. Politisch Linke, die das generische Maskulinum einer gendergeschlechten Sprache vorziehen gehen hierbei nicht der Annahme nach, dass diese Form alle Menschen miteinbeziehtsie greifen hierbei nicht die erste Stufe des Dekonstruktivismus ansondern stören sich am idealistischen Ausdruck der Sichtbarmachung. Sowohl Mann und Frau* anzusprechen würde den objektiven Unterdrückungsmoment nicht negieren, gerade auch dann nicht, wenn mittels Gender* oder Binnen-I versucht wird, das binäre Konstrukt zu überwinden. Hierbei wird allerdings strukturell die Sprache als mechanisches verstanden respektive nicht als dialektisches Produkt des Menschen zur Materie beziehungsweise seiner Umwelt, sondern als gesetztes Moment, hiernach nach außen geordnete Notwendigkeit: erst wird die Unterdrückung abgeschafft, dann sei es in Ordnung, dies sprachlich zu äußern.

Die Hautproblematik ist hierbei der selektive Charakter in der Argumentation. Heute würde die politische Linke keineswegs mehr klar rassistisches Vokabular nutzen, gleichwohl die Nichtnennung keineswegs den Rassismus überwand. Dennoch ist es ein Ausdruck der Offenlegung dieses Ausdrucks der Herrschaft von Menschen über Menschen. In diesem Punkt wird der dialektische Charakter durchaus anerkannt, der zwar eingesteht, dass die sprachliche Änderung wenig den ökonomischen und politisch Charakter änderte. Dem entgegen stellen könnte man allerdings die Ansicht der Feministin Laurie Penny, welche in ihrem Werk „Meat Market“ dafür plädierte, ein bestimmtes Schimpfwort an Frauen* positiv einzunehmen, um den inhärenten Charakter umzukehren. Doch auch in diesem Punkt wird die eigentliche Gewalt und Unterdrückung alles andere als überwunden, auch nicht negiert. Es scheint also, dass die Aufgabe der Sprache nicht die der finalen Umwälzung aller Unterdrückung ist, wohl aber einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Bewusstseinswerdungim eigentlich Kampf der Widersprüche eine Rolle spielt.

Wie ist damit nun umzugehen? Sprache kontrollieren ist ohnehin schwierig und gegen den wandelnden Charakter. Denn Sprache bildet immer Realität ab, wenngleich sie nicht zwingend Realität ändert. Ob sie auch Realität schafft, das heißt, durch die Entwicklung neuer Begriffe unsichtbare Faktoren der Unterdrückung ins Bewusstsein schafft, ist hierbei kontrovers zu diskutieren. Dass dieser Weg durchaus problematisch und dem eigentlichen Kampf der Überwindung diametral entgegenstehen kann, ist die Debatte um die Geschlechtsnennungen. Anders als die politische und radikale Rechte, welche sich um 96 Geschlechter ärgert und sich toxisch darüber amüsiert, muss die Aufgabe einer materialistischen Linken jedoch sein, diesen Weg kritisch zu begleiten und sich nicht des Dialogs zu verweigern. Wie die Überwindung des binären Geschlechtskonstrukts zu beschreiben ist, hierbei das Geschlecht des Einzelnen, wurde dabei nicht in Zusammenarbeit mit wissenschaftlicher Erkenntnis herausgearbeitet, sondern ist Produkt eines intersubjektiven Prozesses, welcher nicht als außenstehendes Moment der Politisierung verstanden werden darf, sondern integraler Bestandteil der Entwicklung und Bewusstseinswerdung des Menschengeschlechts.

Das eigentliche Dilemma, was sich hier nun auftut, ist die ungleiche Entwicklung der naturalistischen beziehungsweise materialistischen und der idealistischen Erkenntnis. Das ist allerdings kein Novum, sondern in der Geschichte der Menschen immer vorkommend gewesen, woraus die idealistische Philosophie ihre Legitimation zieht. Die politische Linke, die sich dem Idealismus entgegenstellt, darf das jedoch nicht mechanisch und grundsätzlich bekämpfen, sondern muss die Entwicklungen und subjektiven als auch objektiven Faktoren auswerten, um ihn in den Kampf zur Überwindung der Gesellschaft einzubinden. Die Stärke einer materialistischen Philosophie ist hiernach nicht die grundsätzliche Ablehnung des Idealismus in all seinen Facetten, sondern der Anerkennung der intersubjektiven Erkenntnisgewinne, die sich der Idealismus aneignet, obgleich sie materialistisch erklärbar sind. Im Klartext heißt es in Bezug auf die Deutungshoheit und die Einordnung der Sprache im eigentlichen Kampf: es ist nicht das Wort oder der ständige Wandel des geschriebenen und gesprochenen, auch nicht das Wirken des Menschen, Begriffe zu entwickeln, um (vermeintlich) unsichtbares sichtbar zu machen, was problematisch erscheint. Es ist die Negation der Einordnung jedes einzelnen Aspekts in Betrachtung des Antagonismus innerhalb der Klassen durch die Menschen, welche Idealist*innen propagieren und hiernach glauben zu erreichen, dass alleine durch (der nicht zu unterschätzenden) Sichtbarmachung weiterer Unterdrückungsmechanismen etwas an den asymmetrischen Gewaltverhältnissen zu ändern ist.

Was bleibt: Die Aufgabe einer materialistischen Linken ist es also nicht, die gendergerechte Sprache zu attackieren und ihr blinden Idealismus und Postmodernismus vorwerfen, der an den objektiven Bedingungen nichts zu ändern vermag. Es gilt hier diese Etappe des Kampfes aufzugreifen und weiterzuführen in dem Sinne, dass es nicht zu Vereinzelungen kommt, sondern eine weitreichende Einheit aufgebaut wird, die die Sichtbarmachung klar verteidigt, hierbei also auch selbstverständlich das Recht jedes Einzelnen anerkennt, sich geschlechtlich so zu definieren, wie es die Sprache aktuell ermöglicht, ohne einen vulgaristisch materialistischen Kampf vom Zaun zu brechen. Um das binäre Geschlechtskonstrukt als auch die Deutungshoheit der Queer-Frage nicht dem Idealismus anheimfallen zu lassen, ist es unabdingbar, diesen Kampf anzuerkennen und in den weitreichenderen einzuordnen, welcher sich der ökonomischen Frage nicht zu verwehren darf, denn: die herrschende Klasse, die die Deutungshoheit über philosophische, politische, historische u.dglm. Narrative beansprucht, fußt ihre Macht auf die Produktionsmittel und der Ausbeutung der unterdrückten Klasse, die eben solche Vereinzelungen des Kampfes forciert, um die Grundproblematik der Gesellschaftsordnung, das heißt der kapitalistischen Produktionsweise, zu negieren. Hierbei gilt es dann nur noch zu sagen: Ausgebeutete und Unterdrückte aller Geschlechter und Nicht-Geschlechter können nur vereint alle Unterdrückung und Ungleichheit des Menschen durch den Menschen überwinden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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