Mit links für den Krieg

Strategiepapier Der ehemalige Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn fordert eine militaristische Öffnung. Damit greift er die Grundwerte der Partei an.

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Dieses Jahr finden neben der Bundestagswahl sechs Landtagswahlen statt. Die Linkspartei kämpft hier auf mehreren Ebenen: während sie in Berlin und Thüringen darum ringen werden müssen, ob eine Neuauflage der Regierungskoalition strategisch klug sein wird, ist es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht mal sicher, ob die Sperrhürde übersprungen werden kann. Beim nächsten Parteitag am 26. und 27. Februar 2021 wird überdies eine neue Führung gewählt, die die derzeitige Doppelspitze Bernd Riexinger und Katja Kipping beerben soll. Wie es derzeit ausschaut, scheint eine Doppelspitze bestehend aus Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow nicht unwahrscheinlich. Sollte dies der Fall werden, wird erneut der mehr oder minder linke und der mehr oder minder rechte Flügel der Partei in der Führungsriege vertreten. Die Post-Trotzkistin Wissler, die besonders für ihre Arbeit im Hessischen Landtag geschätzt wird, steht der Regierungskoalition eher kritisch gegenüber, derweil Henning-Wellsow, die in Fraktionsvorsitzende der Regierungspartein in Thüringen ist, für den reformistischen Flügel einsteht. Diese grundsätzliche Frage, die die Partei seit ihrer Gründung 2007 beschäftigt, bekam jüngst von einem Strategiepapier Matthias Höhns neuen Aufwind. Höhn war zwischen 2012 und 2017 Bundesgeschäftsführer und steht für eine faktische Rechtsverschiebung der Partei.

Dass die Ideologie und Programmatik der Linkspartei in Regierungsverantwortung schlecht bis gar nicht umgesetzt werden kann, wird immer dann unter Beweis gestellt, wenn sich diese Möglichkeit ergibt. Ob in Brandenburg, Berlin oder Thüringen: dort, wo sie Ministerpräsidenten stellt oder als Juniorpartnerin agiert ist sie den Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise unterworfen, nutzt allerdings selbst in diesem Rahmen ihre Möglichkeiten nur selten aus. Die Privatisierungen der Berliner Koalition 2002 mag einigen genauso noch im Gedächtnis sein wie die antiökologische Programmatik in der SPD-Regierung in Brandenburg. Es wird gemäßigte sozialdemokratische Politik gemacht, die in einigen Punkten nicht nur dem Grundsatzprogramm zuwiderlaufen, sondern auch dem Fernziel, die Etablierung einer sozialistischen Gesellschaft, diametral entgegensteht. Der pluralistische Charakter, der sowohl Kommunist*innen als auch Sozialdemokrat*innen eine politische Heimat bietet, ist hiernach auf Kompromissbildung angewiesen. Dieser wird allerdings immer dann ad absurdum geführt, wenn sich die rechnerische Möglichkeit ergibt, Ministerposten zu besetzen. Doch anders als die SPD, die den genuinen Sozialismus schon längst aufgegeben hat, besteht innerhalb der Linkspartei immer noch die Möglichkeit, wenn auch nach und nach schwindende, einen konsequent sozialistischen Charakter zu definieren.

Das Papier von Matthias Höhn schlägt indes in eine völlig andere Richtung und attackiert auch das bis dato unverhandelbare Grundgerüst der Partei. Trotz des Anspruches, einen „linken Realismus“ zu formulieren, wirkt das Papier nicht nur wie eine Abwicklung roter Haltelinien, sondern erinnert in der Intention an einen ähnlichen Entwicklungsweg, wie ihn die einst pazifistische Grüne Partei vollzogen hat. Bündnis 90/Die Grünen waren zusammen mit den Sozialdemokrat*innen die ersten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder für einen Krieg Verantwortung zeigten, als die NATO 1999 das ehemalige Jugoslawien bombardierte. Der Pazifismus war hier endgültig zusammengebrochen. Es scheint, dass Höhn einen ähnlichen Weg einschlagen möchte, ohne direkt eine Kriegsverantwortung zu benennen. Es wird als „linke Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ bezeichnet, die nicht weniger als eine Normalisierung des Militärischen innerhalb der Partei fordert. Angesicht der Verschiebung der imperialen Kräfteverhältnisse plädiert Höhn auf einen militärischen Komplex der EU, der sich besonders der Russischen Föderation entgegenstellen soll.

Überhaupt wird die höhnsche Argumentation von der Übernahme des Narratives einer russischen Einkesselung begleitet. Dadurch wird das mechanische Schwarz-Weiß-Bild übernommen, wonach es nur die Möglichkeit zu geben scheint, sich für dies oder jenes zu entscheiden. Höhn erweist sich als Politiker, der die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ostukraine und der Außenpolitik Russlands begründet. Seine obskure Dialektik führt ihn dann nicht zum eigentlichen linken Grundkonsens, jede Form des Militarismus zu ächten und zu bekämpfen, sondern zu einem Appell der Verteidigung der schwachen imperialen Macht EU. Das schließt sowohl eine Aufrüstung des Etats der Bundeswehr mit ein als auch das Propagieren von „Verantwortung“, das nichts anderes bedeutet als zukünftige Kriegseinsätze unter linker Schirmherrschaft.

Dass sich dagegen besonders der linke Flügel innerhalb der Partei positioniert ist zu begrüßen. Es wird folgerichtig darauf hingewiesen, dass das Aufweichen grundsätzlich linker Positionen ein bürokratisches Manöver ist, den Grundkonsens der Partei nach und nach abzubauen. Der außenpolitische Charakter der Linkspartei war immer das Totschlagargument der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenn es um eine bundesweite Regierungskoalition geht. Mit dem Papier von Matthias Höhn will sich der rechte Parteiflügel nun in Stellung bringen, um sich in letzter Konsequenz zu erübrigen. Denn wer braucht eine zweite SPD? In Anbetracht der globalen Kräfteverhältnisse, die den Kapitalismus peu à peu schwächen ist es ein Todesurteil, sich diesen Gesetzmäßigkeiten anzuschließen. Anstatt sich der dringenden Aufgabe bewusst zu werden, die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, besonders Arbeiter*innen und Unterdrückter, anzunehmen, plädiert Höhn für eine Integration in die kapitalistische Machtelite, die faktisch zu einer Entsozialdemokratisierung der Partei führt. Dabei muss der gegensätzliche Weg eingeschlagen werden: entweder die Linkspartei wird eine konsequent sozialistische, oder sie wird im Schatten der SPD in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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