Nationalistische Alleingänge

Corona Das Virus treibt die Klassenspaltung weiter voran und stellt auch den liberalistischen Traum der EU in Frage. Die Endphase des Kapitalismus ist eingetreten.

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Einzelhandel werden geschlossen, Restaurants dürfen nur noch in einem bestimmten Zeitraum servieren. Die Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens treibt weiter voran. Doch anders als in Spanien, Italien oder Frankreich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Ansprache vom 18. März 2020 eine Ausgangssperre ausgeschlossen. Fürs Erste. Dem Föderalismus geschuldet werden dennoch Stimmen laut, im jeweiligen Bundesland eine zu verhängen. Während in einer Ortschaft in Bayern dieses nun geschah, kokettieren Brandenburg und Berlin mit der Idee. Es wird stets von einer Solidargemeinschaft schwadroniert, auch Merkel bekundete in ihrer Ansprache, nun zusammenhalten zu müssen. Alle beträfe es gleich. Dass dem freilich nicht so ist, liegt begründet im Klassenantagonismus, welcher durch die Coronakrise nicht ausgeschaltet wird. Auch bei einer verhängten Ausgangssperre wird die Wirtschaft weiterlaufen müssen, was sogenannte „systemrelevante“ Arbeiter*innen betrifft, wie im medizinischen Sektor oder den Lebensmittelläden. Sie würden daher einen eingeschränkten Schutz erfahren und bedingt durch die Notverordnung auch in weitere Bedrängnis gerückt werden, die ihre Rechte einschränken werden. Wohin das führt, zeigte jüngst Spanien, als Arbeiter*innen in den Mercedes-Werken zu einem Streik aufriefen. Empirisch betrachtet spricht nichts dafür, dass eine Ausgangssperre einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung des Virus hat. In Staaten wie der Volksrepublik China und Südkorea, die die Pandemie schrittweise eindämmen, werden andere Maßstäbe herangezogen.

Bruce Aylward, stellvertretender Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), erklärte im Interview mit „New Scientist“, dass „Reisebeschränkungen und Ausgangssperren“ in China keine Rolle spielten. Anstelle dessen plädiert er für flächendeckende Tests, die auch nur bei Anzeichen durchzuführen seien. In vielen Staatenso auch in der BRDsei der Fall, dass viele, die nicht getestet werden, das Virus dennoch haben könnten und somit zur Verbreitung beitrügen. Radikale Testungen hätten eine Kontrolle über die Entwicklung zur Folge, welche eine professionelle Quarantäne in Krankenhäuser nachzuziehen habe. An diesem Punkt wird jedoch das Dilemma im kapitalistischen System deutlich. Die Kaputtsparrungen und Schließungen im medizinischen Sektor haben eine konstruierte Selbstverständlichkeit an den Tag gebracht, welche die Bevölkerung nun in Verantwortung zwingt. „Flattenthecurve“ wird propagiert, um eine Überlastung der Krankenhäuser und Behandlungen zu verhindern. Dass diese jedoch Produkt einer marktradikalen Politik ist, wird hierbei geflissentlich ignoriert. Es wird die Solidargemeinschaft hochgehalten, bei der propagiert wird, dass alle im selben Boot säßen und eine gerechte Wut an völlig falsche Individuen gerichtet wird. Jan van Aken von der Linkspartei sieht in den Fantasien der herrschenden Klasse gar ein Spiel mit „nationalistischem Feuer“. So polemisch es klingt, es ist näher an der Wahrheit als individuelle Panikmache. Die proklamierte Solidargemeinschaft ist nationalistisch aufgebläht und macht an den Landesgrenzen halt, an denen der liberalistische Traum eines „freien Europas“ zu Fall gebracht wird. Die eurozentrische Überheblichkeit hat man sich freilich beibehalten. So war bei Ausbruch des Coronavirus eine antichinesisch-rassistische Komponente bis heute zu spüren, derweil der Ausbruch in Italien nicht rassistisch begegnet wird.

Die Arbeiter*innenklasse wird die Brutalität hinter der Entwicklung zuerst zu spüren bekommen. Im nationalistischen Nebel der Solidargemeinschaft erfährt sie von allen Seiten Solidarität und Dankeswünsche, doch konkrete Verbesserungen bleiben außen vor. Das Stadium des Kapitalismus kompensiert die staatlichen Kontrollen mit weit treibender Ausbeutung, die eine Öffnung der Ladenszeiten am Sonntag nach sich zieht. Die Ironie ist hierbei beachtlich: Es wird stets von den Herrschenden beteuert, dass eine Versorgungsknappheit illusorisch sei und auch eine latente Kritik am Hamstern ist zu erblicken. Dennoch sieht man sich genötigt, die Ladenöffnungszeiten zu erweitern, was primär auf die Rechte und Gesundheit der Arbeitenden geht. Im Umkehrschluss befindet sich die Arbeiter*innenklasse in einer Position, die die Krise des Kapitalismus weiter anstacheln kann. Um der ParoleStayathome“ ihre weitreichende Tragweite zu gebühren, hätten die Arbeitenden die Macht und Gewalt, jener zu folgen, um die Wirtschaft zu Stillstand zu zwingen. Diese Methode ist hierbei alles andere als unsolidarisch, sondern die logische Konsequenz der Aggressivität der kapitalistischen Verwertungslogik, wie in dieser Krise gearbeitet wird. Mit Hinblick auf diese Notwendigkeit wird das eurozentrisch-nationalistische Schwadronieren deutlichSolidargemeinschaft nur so lange, dass die Supermarktkette auch offen hat.

Es wäre überraschend, würde sich die herrschende Klasse der Wissenschaft wirklich bedienen, wie sie immer von sich behauptet. Doch der Ruf nach Zusammenarbeit hört bei ideologischen Unterschieden auf. So wird kubanisch-venezolanische Hilfe, die Italien anfordert, eine politische Reaktion nach sich ziehen. Die bürgerlichen Medien sind fleißig dabei, dieses Bild zu befeuern. So wird die Virologin Jennifer Haller als erster Mensch bezeichnet, der sich einen möglichen Impfstoff gegen das Coronavirus spritzt. Wenige Tage davor hatte jedoch die chinesische Virologin Chen Wei einen Impfstoff spritzen lassen. Die Reaktionen hierbei waren skeptisch, man sprach gar von „Propaganda“. Es wird hier mehr als deutlich, dass das Coronavirus eine Verschärfung des Klassenkonflikts nach sich zieht und alles dafür tut, diesen Kampf zu gewinnen. Nicht von ungefähr sprach der französische Präsident vom „Krieg“. Ähnliches rechtfertige auch Merkel in ihrer Ansprache die aktuellen Maßnahmen. Es sei die schwierigste Herausforderung seit des Zweiten Weltkriegs. Abseits davon, dass der Zweite Weltkrieg keine „Herausforderung“ war, sondern ein von deutschen Faschist*innen geführter Vernichtungskrieg, macht das gewählte Vokabular deutlich, wohin die Reise gehen wird. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern wird dabei öffentlich diskutiert. Freilich nur, um die Bevölkerung zu schützen. Das Coronavirus ist ein effektiver Vorwand, die „Festung Europa“ zu einer „Festung der Nationalstaaten“ zu führen. Einige afrikanische Staaten haben auf die objektiven Begebenheiten reagiert und die Grenzen für Bewohner*innen europäischer Staaten geschlossen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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