Nicht willkommen

Demonstration Der Wahlkampf der AfD zur EU-Wahl hat begonnen, so auch im beschaulichen Stockach. Doch die Stadt zeigte Gesicht und stellte gewaltfrei, doch kämpferisch gegen die Partei

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Am Samstag, den 6. April 2019 fand die Wahlkampfveranstaltung der Alternativen für Deutschland (AfD) mit der Bundesvorsitzenden Alice Weidel in Stockach statt. Zentral behandelte sie unter dem Titel „Kommunal- und Europapolitik der AfD“ die europapolitische Ausrichtung der Partei, welche dezidiert gegen die Europäische Union (EU) gerichtet war. Nach Angaben des Südkurier fanden sich etwa 80 Personen zur Veranstaltung ein, derweil knapp doppelt so viele Demonstrant*innen sich gegen die Versammlung und die Partei richteten. Die AfD in Konstanz ist für ihren dominanten rechten Flügel bekannt, bei dem es selten Berührungsängste mit faschistischen Gruppierungen und rassistischen Bündnissen wie der Identitären Bewegung (IB) gibt. Besonders Wolfgang Gedeon, Mitglied des Landtag Baden-Württemberg aus dem Landkreis Konstanz, der für seine antisemitischen und antizionistischen Äußerungen und Niederschriften bekannt ist, erfährt eine schützende Hand durch den Kreisverband. Die Personalie Gedeon hatte die Landtagsfraktion der AfD in Baden-Württemberg kurzfristig zu einer Spaltung gebracht. Der Auftritt Weidels als vermeintlich gemäßigte Stimme, die den Schein einer bürgerlichen Partei wahren soll, ist hierbei sowohl geplante Provokation als auch Konstruktion.

Etwa 150 Menschen jeden Alters versammelten sich am Bahnhof Stockach zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung. Neben Vertreter*innen der Linksjugend Konstanz mobilisierte besonders das Offene Antifaschistische Treffen (OAT) zur Demonstration, bei der sich auch die ältere Generation versammelten, so auch junge Kinder mit ihrer Familie. Trotz der Betonung auf den gewaltfreien Charakter des Widerstands konstruierte die AfD Konstanz eine illusorische Gefahrenlage und warnte vor Übergriffen und Gewalttaten, was zur Folge hatte, dass aus der geplanten öffentlichen Debatte eine Veranstaltung im geschlossenen Raum wurde. Die Demonstrant*innen verbuchten das als ersten Erfolg der Mobilmachung gegen die Verankerung der Partei am Bodensee. Bis vortags auf einen Farbanschlag am Veranstaltungsort des Bürgerhauses Adler Post verlief der Demonstrationszug als auch die direkte Konfrontation mit Vertreter*innen der Kreispartei friedlich, gewaltfrei, dennoch bewusst und betont kämpferisch. Neben gewohnt antifaschistischen Parolen und Botschaften der radikalen Linken („Ihr habt den Krieg verloren - 2 mal!“) wurde auch das Wirken der Polizei kritisiert, die bundesweit dafür bekannt geworden ist, rechtsradikale Entwicklungen lasch zu verfolgen. Trotz solch geäußerter Kritik in kam es mit den überbordenden Polizeikräften weder zu einer verbalen noch körperliche Auseinandersetzung. Während des Zuges durch die Stadt wurde mehrmals die internationale Solidarität heraufbeschworen und das uneingeschränkte Bleiberecht aller Flüchtlinge betont.

Die Reaktionen seitens der Vertreter*innen der AfD am Bürgerhaus hatten bisweilen einen infantilen Charakter. Besonders, als die Demonstrant*innen den Faschismus lauthals kritisieren und kämpferische Chöre von sich gaben („Alerta, alerta, Antifascista“) stimmten vereinzelte AfD-Mitglieder mit ein, um die Täter-Opfer-Umkehr zu unterstreichen. In den Augen jener Partei ist der antifaschistische Widerstand, doch auch bürgerliche, Ausdruck eines neuen Faschismus, wonach sie traditionell rechtsradikale Denk- und Argumentationsstrukturen übernehmen. Alice Weidel machte sich höchstpersönlich ein Bild von der Demonstration und versteckte sich hinter einem Lächeln sowie ihrem Smartphone, um fleißig für die „sozialen Netzwerke“ Material zu sammeln, der üblichen Herangehensweise. Auftretende Redner*innen vor dem Bürgerhaus konfrontierten die AfD mit ihrem rassistische, sexistischen und menschenfeindlichen Menschenbild. Darüber hinaus wurde ihr Vulgärpatriotismus humoresk herangezogen, was als Anspielung auf die ungeklärten Spenden aus der Schweiz verstanden werden sollte. Vergleiche mit dem Aufstieg der deutschen Faschist*innen in den 1930er wurden gezogen sowie der offen rechtsautoritäre Charakter des Kreisverbandes offengelegt. Eine direkt an Alice Weidel gerichtete Rede warf ihr vor, lediglich ein bürgerliches Aushängeschild der offen rechten Partei zu sein, was sich besonders auch in einem Kandidaten der Konstanzer AfD zur Kommunalwahl nachweisen lässt.

Axel P., pensionierter Justizvollzugsbeamter und ehemaliger Zeitsoldat, gibt sich als sozial verankerten Mitbürger. Ein nüchterner Blick auf seine „sozialen Netzwerke“ offenbart jedoch die offen rechtsradikale Gesinnung. Da finden sich neben den üblichen AfD-Seiten „Likes“ für eine Bürgerinitiative Saarlands, die eine Nähe zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) aufweist, Sympathien für die Rechtsabspaltung Aufbruch deutscher Patrioten (AdP), Initiativen der IB sowie zur österreichischen Freiheitlichen Partei (FPÖ). Allein davon abstrahiert ist es offenkundig, dass die Kreispartei nicht nur einmal den Worten nach vom Rechtsradikalismus distanziert. Diese Kritik wurde öfters bei der Demonstration vorgetragen, doch von den Mitgliedern der Partei entweder mit einem Lächeln quittiert und mit infantiler Gestikulation gekontert. Die Partei ist sich ihrer Ideologie mehr als bewusst und ist fest davon überzeugt, genug Boden am Bodensee dafür zu vorzufinden. Die faschistische Szene in Konstanz ist schon längst verankert, die AfD weiß sich im bestens vorgeformten Terrain wiederzufinden. Doch ihr ist auch die starke antifaschistische Widerstandsbewegung nicht unbekannt, wie ein offener Brief der Partei an den Oberbürgermeister Konstanz’ darlegt. Dort wurde in Erfahrung gebracht, inwieweit das OAT und das linke Szenecafé Café Mondiale, welches als „linksextremistisch“ betitelt wird, von etwaigen Steuergeldern staatlich gefördert wird.

Eine Rednerin hat klar gemacht, dass der Widerstand in Stockach kein Einzelfall bleiben wird. Man werde gegen jede Zusammenkunft der Partei im Landkreis Konstanz mobilisieren, um ihr klarzumachen, dass sie weder hier noch irgendwo anders willkommen ist. Auch wenn sich die AfD betont lässig und wenig beeindruckt von diesen Demonstrationen vor Ort zeigt, wird sie nicht müde, den legitimen demokratischen Widerstands selbst als Spielart des Faschismus zu brandmarken, um sich als Opfer einer herbei fabulierten „Meinungsdiktatur“ zu präsentieren. Dieses Spiel fruchtet in allen Ecken der BRD, so auch am Bodensee. Gedeon hatte bereits letzten Jahres die Stadt Singen (Hohentwiel) dazu aufgefordert, die „Stolperstein-Aktion“ zu beenden, welche er als „Erinnerungsdiktatur“ brandmarkte. Damals wurde der Forderung noch geschlossen widersprochen, doch die Grenze bröckelt. Die an die Öffentlichkeit transportierte menschenfeindliche Ideologie bereitet einer Diskursverschiebung mehrere Möglichkeiten, sich zu entfalten. „Bildet Banden!“, ruft der antifaschistische Widerstand und spricht besonders ländliche Gegenden und Dörfer an, um jedes faschistische Bestreben zu unterbinden. Der Samstag verlief trotz der Hysterie seitens der AfD friedlich und gewaltfrei, was auch von den Polizeikräften unterstrichen wurde. Das wird die Partei freilich nicht davon abhalten, ihr übliches Repertoire aufzufahren, um eine „linksextreme“ Gefahr zu benennen, die es in dieser fantasierten Form nicht gibt. Stockach hat an diesem Wochenende Gesicht gezeigt mit knapp 150 Demonstrant*innen, dass auch dieses beschauliche Städtchen kein Interesse an einer Verankerung der AfD hat. Doch es bleibt ein langer Weg.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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