Pandemie, so what?

Covid-19 Kürzere Quarantänezeit, Pflegebonus nur für wenige: zu Beginn des sogenannten dritten „Coronajahrs“ wird deutlich, dass nur noch das Interesse der Wirtschaft und des Kapitals zählt

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Omikron auf dem Vormarsch: Was genau das für Deutschland bedeutet, weiß momentan noch keiner so genau.
Omikron auf dem Vormarsch: Was genau das für Deutschland bedeutet, weiß momentan noch keiner so genau.

Foto: Hannibal Hanschke/Getty Images

Mit dem Jahr 2022 treten wir ins sogenannte dritte „Coronajahr“, und ein Ende respektive ein Plan scheint nicht wirklich in Sicht. Das neue Jahr ist noch keine Woche alt, als die „Ampel“-Koalition ein Forderungskatalog vom Kapital diktiert bekommt, dem sich die neue Bundesregierung bedingungslos unterwirft. Nachdem bereits in den Vereinigten Staaten von einer Verkürzung der Isolations- und Quarantänepflicht diskutiert wurde, wird diese Linie auch in der BRD zur Agenda gemacht. Der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach erarbeitete mit dem Robert Koch-Institut (RKI) eine neue Quarantäneverordnung, die dem Kapital in die Hände spielen soll. Die Omikron-Variante verbreitet sich rasant auf dem europäischen Kontinent; in Frankreich, Spanien und Irland steigen die Inzidenzen vierstellig. Auch in der BRD merkt man nach den christlichen Feiertagen allmählich einen Anstieg. Die Antwort darauf scheint keine Verschärfung respektive entsprechende Anpassung der Maßnahmen zu sein, sondern sie gleicht einem stummen Hilfeschrei, der sich der Realität vollends entzieht. Kritische Infrastrukturen drohen zu kollabieren, da sich das Infektionsgeschehen immer radikaler verbreitet. Die Gefahr, dass sowohl das Gesundheitssystem als auch andere sensible Strukturen nicht gehalten werden können, wird mit einer faktischen Kapitulationserklärung an das Virus begegnet. So können unter anderem Polizist*innen, Ärzt*innen und Pflegekräfte, die sich mit dem Virus infizierten respektive Kontakt zu einer Infizierten haben, ihre Isolation- oder Quarantänezeit auf sieben beziehungsweise fünf Tage verkürzen.

Die Verkürzung jener Zeiten ist dabei keine wissenschaftliche Entscheidung, sondern geht auf eine ökonomische Notwendigkeit zurück, die die Arbeitskraft unabdingbar braucht, um zu überleben. Um wirtschaftlichen Beschränkungen und Lockdowns aus dem Weg zu gehen, wird mit der Gesundheit der Lohnabhängigen gespielt, die sich den Interessen der Wirtschaft unterordnen müssen. Grundlage ist dabei ein PCR-Test, der negativ ausfallen muss, ungeachtet der individuellen physischen und mentalen Einschränkungen des Einzelnen. In der Debatte wird auch vollends die Langzeitwirkung ignoriert, die sich in letzter Konsequenz ebenfalls auf die Wirtschaft auswirken wird. Eine Studie aus Hamburg fand jüngst heraus, dass selbst bei einem sogenannten „milden“ Verlauf Organschäden auftreten können. Dass einzig ein schwerer Verlauf bei einer Coronainfektion als Argument für eine entsprechende Handlung herangezogen wird, verkennt die Realität einer Infektion als solche - davon auszugehen, dass alles, was nicht „schwerwiegend“ ist, gesund ist, wurde schon längst widerlegt. Doch dem Interesse des Kapitals und der BRD-Regierung läuft das zuwider, denn primär wird die Sorge der Wirtschaft und dem Industriestandort Rechnung getragen, wonach eben die Beschäftigten darunter zu leiden haben.

Wie wenig sich die Herrschenden um die Menschen sorgt, machte ebenfalls Lauterbach deutlich, als es um den sogenannten „Pflegebonus“ geht. Obgleich Pflegekräfte als Teil der kritischen Infrastruktur betrachtet werden, hiernach also als essenziell für die Wirtschaft, merken die Allermeisten davon nichts. Anstatt die Bereitschaft und nicht ungefährliche Arbeit der Pflegekräfte und Beschäftigten des Gesundheitswesens nach zwei Jahren Pandemie zu quittieren, was nicht über ein loses Klatschen hinausgeht, will der SPD-Politiker den Kreis der Berechtigten einschränken. Wie er definieren möchte, wer sich während der Coronapandemie als besonders „belohnungswürdig“ erweist, lässt er freilich offen. So wird allerdings eine wirkliche Spaltung der Gesellschaft forciert. Die neue Bundesregierung hat sich vollends dem Interesse des Kapitals und des Neoliberalismus untergeordnet, welches sich der Eigenverantwortung des Einzelnen verpflichtet, solange die Profite und Mehrwertsaneigungen konfliktlos weiter hochgetrieben werden können. Der Dringlichkeit der Bekämpfung der Pandemie wird damit ein Riegel vorgeschoben.

Nach derzeitigen Erkenntnissen ist die Omikron-Variante weniger gefährlich als die Delta-Mutation des Wildtyps. Sie ist allerdings deutlich ansteckender und besonders Kinder und Jugendliche infizieren sich mehrheitlich. Mit Verweis darauf, dass Kinder und Jugendliche weniger Gefahr laufen, intubiert zu werden, wird die hohe Ansteckung ad absurdum geführt. Es wird eine faktische Durchseuchungsstrategie gefahren, die nicht nur das Gesundheitssystem überstrapaziert, sondern auch die Gesundheit des Einzelnen auf das Spiel setzt. Denn ein sogenannter „milder“ Verlauf ist in der Allgemeinsprache alles andere als „mild“, sondern geht mit vielen Symptomen wie Geschmacksstörungen und Abgeschlagenheit einher; dass ein „milder“ Verlauf auch bedeutet, stationär Sauerstoff zugeführt zu bekommen, wird dabei kaum beachtet. Dem zusätzlich kommt die immer noch nicht vollends verstandene Long-Covid Problematik daher. Die Bundesregierung setzt im neuen Jahr also alles darauf, das Kapital ruhig zu halten, um auf dem Rücken der Mehrheit der Gesellschaft die Gefahr der Pandemie künstlich zu bagatellisieren. Einzig auf die Impfkampagne zu setzen, ist dabei zu wenig, solange nur die westliche Welt einen ausreichenden Zugriff auf die Impfprodukte hat.

Solange es ungeimpfte Menschen gibt, bleibt die Gefahr bestehen, dass sich eine Mutation entwickelt, die auch für Geimpfte oder Genese gefährlich werden. Das führt in der westlichen Welt dazu, dass permanent neu geimpft werden muss, während beispielsweise Staaten des afrikanischen Kontinents kaum grundimmunisiert sind. Einzig Marokko, die Seychellen und Mauretanien haben eine Impfquote von über 60 Prozent, derweil bevölkerungsstarke Staaten wie Nigeria gerade einmal 2,1 Prozent der Bevölkerung immunisierte. Das ist ein Versagen der herrschenden Klasse und ihrer Politik, die sich weigert, die Patente der Impfstoffe freizugeben respektive keine Ressourcen bereitstellt, um die Produktion in anderen Staaten zu ermöglichen. Im gleichen Atemzug werden Impfstoffe von Systemgegnern wie China und Russland verdammt sowie deren Zulassung verweigert. Vom damaligen Zusammenhalt der Weltgemeinschaft, die kurz nach Ausbruch der Pandemie gesprochen wurde, ist nichts mehr übrig. Die Profitlogik und der Überlebenswille des Kapitalismus hat sich an die Spitze gebahnt und die Pandemie als Instrumentarium verstanden, noch mehr Mehrwert abzuschöpfen, gleich, auf wessen Kosten.

Die BRD wird mit ihrer Durchseuchungsstrategie nur verlieren können. Stattdessen muss sie im internationalen Kontext die sofortige Freigabe der Impfpatente fordern und die Impfkampagne im eigenen Land weiter vorantreiben. Die Frage nach einer (allgemeinen) Impfpflicht ist dabei essenziell. Doch es geht nicht nur um das Impfen. Statt die Bevölkerung zu durchseuchen, muss sie geschützt werden, und das kann nur gegen das Interesse der Wirtschaft gehen. Ein allgemein-ökonomischer Lockdown ist unausweichlich. Das beinhaltet sowohl das Schulwesen und die Kindertagesstätten geschlossen werden. Die essenzielle Produktion muss sich dabei auf die Bekämpfung der Pandemie konzentrieren. Die Coronapandemie kann nicht dadurch beendet werden, indem man von Welle zu Welle surft, ohne zu wissen, wie katastrophal die nächste sein wird. Dass die Omikron-Variante das Schlusslicht der Pandemie sein wird, ist ebenfalls zu bezweifeln. Sowohl Indien als auch Israel meldeten jüngst neuer Verbindungen des Virus: während Israel zum ersten Mal eine Doppelinfektion von Corona und Influenza meldete, fanden indische Wissenschaftler*innen bereits eine Mutation zwischen der Delta- und Omikron-Variante.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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