Parteisoldat Reichelt

Offener Brief Der BILD-Chefredakteur wendet sich an Xi Jinping und wirft China die alleinige Schuld der Covid-19-Pandemie sowie deren daraus folgenden Schäden vor. Eine Antwort.

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Am 15. April 2020 richtete eine Sprecherin der Chinesischen Botschaft in der BRD einen offenen Brief an die BILD-Zeitung und dessen Chefredakteur Julian Reichelt. Darin werden Vorwürfe begegnet, welche verlauteten, die Volksrepublik hätte die Weltgemeinschaft nicht vom Ausbruch des Virus unterrichtet und es bestünde eine sozioökonomische Verantwortung für die Pandemie. Mit Verweis auf den tabellarischen Verlauf der Kommunikation ab Januar 2020 wird das Verschweigen konterkariert, obgleich nicht von der Hand zu weisen ist, dass es anfänglich erhebliche Ungereimtheiten und Probleme in der Handhabung des Ausbruches gab. Des Weiteren betonte die Sprecherin, dass Reichelt die Verantwortung der Handlungen der (westlichen) Staaten absprechen würde und hiernach eine Allgemeinschuld einzig der chinesischen Regierung attestiere. Dass westliche Staaten relativ spät auf die Entwicklung reagierten und teilweise heute noch ansatzweise verheerende Entscheidungen fällen, ist kein Geheimnis mehr. Doch Julian Reichelt und dem Springer-Imperium geht es freilich nicht um einen intellektuellen Austausch oder einer fundierten Kritik. Die Antwort, welche Reichelt einen Tag später prominent in der BILD-Zeitung publizierte und an den Präsidenten Xi Jinping richtete, spricht mehr als Bände. An dieser Stelle soll nun ein offener Brief an Julian Reichelt sein notwendiges tun:

Sehr geehrter Herr Julian Reichelt, E-i-C der BILD-Zeitung,

Ihre Antwort an die Sprecherin der Chinesischen Botschaft in der BRD offenbart schlechterdings zwei Dinge: Ihr fehlendes Talent auf hervorgebrachte Argumente zu reagieren sowie eine beinahe realsatirisch kolportierte Weltanschauung.

Erneut halten Sie der chinesischen Regierung vor, für eine ökonomische Katastrophe verantwortlich zu sein. Anstatt jedoch strukturiert und dialektisch darauf einzugehen, verfallen Sie in eine Kalte-Krieg-Rhetorik, die mit der eigentlichen Thematik wenig zu tun hat. Es erscheint der Eindruck, als instrumentalisieren Sie die Covid-19-Pandemie für einen Generalangriff auf einen Staat, deren Existenz in der Weltanschauung des faktisch transatlantischen Springer-Imperiums nur ein Dorn im Auge sein kann. Sie verhalten sich in dieser Antwort nicht wie ein kritischer Journalist, sondern mehr wie ein Sprecher einer politischen Ideologie, deren Zentrum Sie in den Vereinigten Staaten wissen. In einem Live-Interview mit dem US-Außenminister Michael Pompeo verhielten Sie sich wenig verwunderlich wie ein Stichwortgeber, dem jedwede Kritik fremd. Das ist in letzter Konsequenz die Absage an jedweden journalistischen Kodex: auf der einen Seite wie in überheblicher Weise eine souveräne Regierung attackieren, auf der anderen Seite unterwürfig eine eben andere bedienen.

Ihr Hauptargument in der Antwort betrifft den Überwachungsstaat. Obgleich Sie es nicht formulieren, agieren Sie in gewohnt antikommunistischer Manier, die den Überwachungsstaat als exklusiv sozialistisches definiert. Eine Kritik an solch Strukturen und Realitäten ist freilich anzubringen und in einer gewissen Intensität im historischen Kontext als auch anhand objektiven Bedingungen zu formulieren. Doch Ihnen geht es hier nicht um eine Kritik an sich, sondern dem mechanischen Bedienen eines strukturellen Rassismus. Deutlich wird das in dem nur vordergründigem Widersprich, in Wuhan gäbe es zu wenig Überwachung. Die Überwachung als Kritik fungiert hier nicht als Angriffspunkt, sondern als Instrument und Methodik, einen Angriff zu vollziehen. Es ist hierbei äußerst ärgerlich, dass Sie sich zwar dem wichtigen Punkt zuwenden, welche die Zensur betrifft, diebesonders im Fall LiWenliangim Kern richtig ist. Doch es geht Ihnen nicht um Zensurkritik. Es geht Ihnen um das Rezipieren eines Weltbildes, welches getreu Ihrer Ideologie nichts anderes als China zum Feind haben kann.

Was Sie mit der Adressierung an Xi bezwecken wollen, bleibt schleierhaft. Sie scheinen sich in einer überheblichen Selbstbeweihräucherung wiederzufinden, die Ihnen das Gefühl vermittelt, Ihre als „Kritik“ getarnte Propaganda würde in den höchsten Kreisen zirkulieren. In der Aufmachung und simplen Sprache, welche Sie anwenden, orientiert Ihre Antwort mehr an einen zu lang geratenen Tweet des US-Präsidenten. Damit stehen Sie in einer Reihe mit Menschen, die eine „legitime China-Kritik“ etablieren möchte, welche in ihrer Substanz jedoch bereits am wesentlichen krankt: der politisch-ökonomischen Realität. Die Volksrepublik China ist kein sozialistischer Staat, geschweige denn kommunistisch. Die Grundproblematik liegt hinter der Illusion der „westlichen Demokratie“, in denen der Parlamentarismus und der Parteienwettbewerb als das höchste Gut der Freiheit anzusehen ist. Der von Springer aufoktroyierte Kodex, eine Solidarität mit den Vereinigten Staaten zu propagieren, entfaltet sich in Ihrer Antwort vollends. Hierbei ist es absolut unerheblich, was China macht: materielle Unterstützung, wie sie nun auch die BRD von China erhält, wird von Ihnen als „lächelnder Imperialismus“ gedeutet.

In letzter Konsequenz werfen Sie der chinesischen Regierung vor, Covid-19 willentlich in die Welt gesetzt zu haben, um sich als Weltmacht zu etablieren. Das ist selbst für Springer-Verhältnisse eine gewagte These und reiht sich ein in absurde Verschwörungstheorien. Anstatt die chinesischen Reaktionen richtig zu kritisieren, anstatt Sie den kapitalistischen Privatisierungswahn anprangern, welche in den allermeisten Staaten das Gesundheitssystem zum Kollaps zwang, was sich nun rächt, anstatt sich wie ein Journalist zu benehmen, treten Sie als schreibender Parteisoldat auf, der nicht nur antichinesischen Rassismus bedient und in der Mottenkiste der Kalten-Krieg-Rhetorik suhlt. Sie beweisen ein weiteres Mal eindrucksvoll, dass die BILD-Zeitung die pseudo-journalistische Speerspitze des Klassenkampfes ist, der sich gegen alles und jeden richtet, der auch nur ansatzweise das herrschende System und besonders die USA kritisiert. Mit Ihrer Antwort auf das Schreiben der Chinesischen Botschaft in der BRD verteidigen Sie glorreich den Titel als schmutzigstes Schmierblatt im deutschen Pressewald.

Mit freundlichen Grüßen

Elisa Nowak

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Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

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