Querdenken und Faschismus

Debatte Bei der permanenten Radikalisierung der Querdenker*innen und eines emotionalisiert aufgeladenen Faschismusbegriffs sind Vergleiche mit Sophie Scholl nicht verwunderlich.

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Die Radikalisierung bei den selbsternannten Querdenker*innen schreitet voran. Seit dem Frühjahr – während der ersten Welle der Corona-Pandemie – formierten sie sich und begründeten ihren Protest mit den selektiven Maßnahmen der Herrschenden, dockten jedoch bereits von Beginn an an rechte Ideologeme verschiedener Ausprägungen. Der Charakter der Bewegung entwickelte sich in unterschiedlicher Intensität und teils widersprüchlicher Selbstbezeichnung zu einem heterogenen Konglomerat, welches sich in der kompromissbildenden Gewichtung jedoch zu einem Auffangbecken für zuvor versprengte und teils sektiererische Bewegungen versteht, die von impfskeptizistischen Esoteriker*innen bis hin zu offen radikalen Rechten reicht. Trotz der unterschiedlichen Gewichtung in den einzelnen lokalen und regionalen Gruppen – so auch bei den Großversammlungen u. a. in Berlin, Konstanz und Leipzig – eint sie ein geschichtsrevisionistischer Duktus, der sich nicht nur einer subkutanen Verharmlosung und teils Leugnung der faschistischen Verbrechen bedient, sondern sich in der Übernahme pseudo-revolutionärer Narrative und der Instrumentalisierung von Widerstandsmerkmalen und Persönlichkeiten gegen den deutschen Faschismus einer Ideologie verschreibt, die bis in Teilen der sogenannten bürgerlichen „Mitte“ Anklang findet.

In den vergangenen Wochen wurden besonders zwei Beispiele präsent diskutiert: eine Studentin aus Kassel, die sich bei ihrer Rede während einer Querdenken-Kundgebung in Hannover mit Sophie Scholl sowie eine Elfjährige, die sich bei einer ebensolchen Kundgebung in Karlsruhe mit Anne Frank verglich. Die Identifikation mit Widerstandskämpfer*innen des deutschen Faschismus ist dabei nur vordergründig skandalös, was in der (bürgerlichen) Berichterstattung auch entsprechend aufgearbeitet wird: Denn diese Bezugnahmen sind logische Konsequenz der verinnerlichten und sowohl nach innen als auch außen propagierte Ideologie, die sich eines Faschismusbegriffs bedient, der völlig von seinem genuinen Inhalt befreit wird. Das ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal jener Querdenker*innen, sondern seit Jahrzehnten bereits in verschiedenen Kontexten üblich. Der Begriff definiert keine politische, ökonomische und soziale Ideologie mehr, sondern fungiert als (hoch-)emotionalisierte Schablone, die auf jede andere politische Ideologie angewandt werden kann, die einem selbst radikal konträr scheint. Dass dies kein Novum ist, zeigt auch ein kurzer Blick in die Geschichte, wonach selbst die Stalinist*innen während der Weimarer Republik und den Anfängen der faschistischen Herrschaft die Sozialdemokratie als „sozialfaschistisch“ brandmarkten.

Unter dieser Kenntnisnahme wirkt ein äquivalenter Faschismusvorwurf nicht nur deplatziert, sondern hat inhaltlich auch keinen Mehrwert. Wenn nun Querdenker*innen und deren Sympathisant*innen jene Vergleiche ziehen und eine bürgerliche Regierung diktatorisch schimpfen, ist das primär eine völlig unzureichenden und selbst in der Politologie stark umkämpften Befassung mit dem Faschismus und seinen Eigenschaften. Dass die Querdenker*innen-Bewegung jedoch auch nicht antifaschistisch sind, ist leicht zu belegen und nachzuzeichnen. Denn die Identifikation mit Opfern des deutschen Faschismus impliziert an sich eine verharmlosende Tendenz der Verbrechen der Faschist*innen. Diese kann – so sieh es überhaupt! – nur dann funktionieren, wenn die objektiven Bedingungen der einer faschistischen Diktatur ähneln oder gleichen, was man von der BRD und all den anderen Staaten, in denen Querdenker*innen auf die Straße gehen, mitnichten behaupten kann. Dadurch also, wenn jemand sich mit Scholl oder Frank vergleicht, ist das zu erklären mit weiteren Eigenschaften und Entwicklungen, die bei den Querdenker*innen innerhalb der letzten Monate stattfanden. Die Widersprüchlichkeit kommt besonders dann hervor, wenn die Weltanschauung und Ideologien, die bei den Querdenker*innen kursieren, genauer betrachtet werden.

Die politische Kritik, die bei den Verschwörungsideolog*innen zentral ist, hat einen strukturell antisemitischen und sozialdarwinistischen Charakter, der sich besonders einer personifizierten Elitenschelte bedient. Die Charakterisierung Deutschlands als Diktatur wird mit vermeintlichen Zensuren erklärt sowie (bewusst) falsch verstandener und weitergegebener Entscheidung der parlamentarischen Politiker*innen. Die inhärente Wissenschaftsfeindlichkeit wird ebenfalls personifiziert untermauert, wonach beispielsweise die Entwicklung eines Impfstoffes an Interessen geknüpft ist, die in deren Narrative der Beginn einer diktatorischen Weltverschwörung sei. Dabei geht es nur vordergründig um die (falsche) Warnung, dass jeder geimpft und gechipt werden müsste, sondern diese Ansatzpunkte, die den größten Konsens bilden, werden – wie es beispielsweise der YouTube-Verschwörungstheoretiker Heiko Schrang propagiert – als Aufhänger gebraucht, um einen „Volkswillen“ zu imaginieren, der sich gegen die Regierung stellen sollte. An dieser Stelle setzt der Faschismusbegriff ein, der sich bei Polizeigewalt zu verfestigen scheint. Immer dann, wenn Polizist*innen Menschen der Querdenker*innen-Bewegung festnehmen oder Gewalt anwenden, scheint das Bild komplett und man wähnt sich in einer moralischen Notwendigkeit, vom Faschismus als Diktatur zu sprechen.

Der Widersprüchlichkeit in der Logik, wonach ein Gegenprotest in tatsächlich faschistischen Diktaturen unmöglich sei, wird damit konterkariert, dass es sich hierbei entweder um Vorboten des Faschismus handelt, oder die Lücke des Faschismusbegriffs aufgegriffen wird, ihn nach eigenen Interesse zu füllen. Gerade deshalb, weil sie versuchen, durch die Übernahme und Identifikation des Widerstands im deutschen Faschismus eben solchen Vorwurf zu delegitimieren, erreichen sie bedingt durch die ahistorische und revisionistische Gleichsetzung das Gegenteil. Denn der Faschismus ist nicht gebunden an die deutsche Geschichte und eine mechanische Ideologie, die genau dann erfüllt ist, wenn sie Parallelen mit den deutschen Faschist*innen aufweist. Die Komplexität des genuinen Faschismusbegriffs eruiert in der Notwendigkeit der Betrachtung des Widerspruchs innerhalb der Gesellschaft selbst. Der massenpsychologische Charakter, der einen „Volkswillen“ besonders ökonomisch an der sogenannten „Mittelschicht“ festmacht, ist eines von vielen Eigenschaften des deutschen Faschismus gewesen. Die Scholl- und Frank-Vergleiche sowie der Übernahme des „Judensterns“ ist dabei nicht die radikale Zurückweisung jeglicher faschistischer Entwicklungen, sondern die logische und unausweichliche Konklusion, wie das berüchtigte Zitat von IgnazioSilone zu lesen ist: die Negation des Faschismus als Begriffs bei Beibehaltung des faschistischen Charakters.

Natürlich zeigt das nicht, dass die Querdenker*innen eine genuin faschistische Bewegung sind, ganz und gar nicht. Es offenbart jedoch die Öffnung einer Ideologie, die durch die semantische Absage an Boden gewinnt, ohne dass sie sich vollkommen formieren muss. Dass Impfgegner*innen mit „Judensterne“ herumlaufen, Holocaust-Vergleiche ziehen und sich in der Tradition des antifaschistischen Widerstands sehen ist dabei nur vordergründig als historisches Unwissen zu werten. Es ist vielmehr eine Entwicklung zu spüren, die nicht umsonst bei radikalen Rechten auf fruchtbaren Boden fällt. Die besondere Gefahr liegt dabei in dem Versagen eines Gegenprotests gegen diese Entwicklung, die auch apolitische Menschen, Familien mit ihren Kindern und Arbeiter*innen anspricht, da bewusst das Narrativ der „Demokratieverteidigung“ benutzt wird. Dass der Radikalismus spürbarer wird, ist immer wieder anhand der Reden bei entsprechenden Kundgebungen und Demonstrationen zu hören: Dass sich eine Studentin mit der von Faschist*innen exekutierte Sophie Scholl vergleicht oder ein Kind gezwungen wird, sich mit der in einem Konzentrationslager ermordeten Anne Frank zu vergleichen, ist freilich schwer erträglich und fernab jeglicher Vernunft. Doch das ist kein Novum, sondern mittlerweile Normalität in den Selbstbezeichnungen der Querdenker*innen, die einerseits die Opferrolle systematisieren, andererseits jedoch die Schwelle zur Gewaltaffinität immer öfters überschreiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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