Quere Polizei?

Betrachtung Die Querdenker*innen-Demonstration in Kassel legte abermals die Rolle des bürgerlichen Staates und der Polizei offen.

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In erneuten Zeiten steigender Infektionszahlen in der faktisch dritten Welle der Coronapandemie fand am vergangenen Samstag in Kassel eine unangemeldete Demonstration von Querdenker*innen statt. Angaben der Behörden zufolge versammelten sich mindestens 20.000 Menschen in der hessischen Stadt, um unter dem Deckmantel einer Kritik gegen die Coronamaßnahmen allerlei rechte Ideologien und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Obwohl de facto nur zwei kleine Kundgebungen genehmigt wurden, offenbarte der große Demonstrationszug nicht nur das politische Versagen des bürgerlichen Staates, sondern auch eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich besonders bei der anwesenden Polizei erkennbar zeigte: trotz der permanenten Betonung von „Neutralität“ ist das polizeiliche Kollektiv – wie jedes Kollektiv an sich – Ausdruck eines politischen Interesses, welches sich im subjektiven Handeln niederschlägt. Die entsprechende Gewalt, die von Polizist*innen am Samstag ausging, kann daher nur in der doppelten Rolle der herrschenden Institutionen verstanden werden, die ihren kumulativen Radikalisierungspunkt nicht erst seit der Morddrohungen des „NSU 2.0“ – die mit hessischen Polizeibehörden in Verbindung gebracht wurden – begangen.

Durch das Fehlen einer politischen Handlung seitens der Regierenden in Hessen konnten die Querdenker*innen ungeniert und relativ widerstandslos Fuß fassen, deren inhaltliches Narrativ an nicht endenden Widersprüchen eskaliert: Vergleiche mit faschistischen Diktaturen und struktureller antisemitischer Deutungsmuster lassen die Illusion einer Widerstandsbewegung aufrechterhalten, die gerade in der dialektischen Paradoxie die Legitimation erhält. Als vor knapp einem Jahr die ersten Proteste entstanden, wurde das Schaulaufen der Verschwörungstheoretiker*innen jeglicher Couleur von staatlicher Seite mehr oder minder geschützt und hiernach als legitimer Ausdruck innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft anerkannt. Die exzessive Gewalt der Polizist*innen richtete sich primär gegen linken Gegenprotest. Schlechterdings wurden jedoch durch diese Taktik die Querdenker*innen nicht eingebettet, sondern es wurde ein Raum geschaffen, der die weitergehende Radikalisierung bis hin zur physischen Auseinandersetzung erst ermöglichte. Ein relevanter Bezugspunkt ist hier auch das Agieren der AfD im Bundestag, die als parlamentarischer Arm verstanden werden muss: die formal semantische Distanz zur AfD der Parteien wie der CDU oder der FDP spielen in der ideologischen Ausrichtung keine Rolle, wenngleich unter anders gewichteten Vorzeichen.

Das Narrativ, die BRD entwickele sich zu einer Diktatur, wurde gerade durch die demokratische und freie Möglichkeit bestätigt, diesen Widerspruch auf die Straße zu tragen. Im selben Zug wurde der bürgerlichen Regierung jedoch klar, dass die Einbettung der Querdenker*innen die Entwicklung nicht stoppen konnte, wie sie heute vorzufinden ist: eine heterogene Strömung, deren Minimalkonsens ein vulgaristischer Skeptizismus ist, welcher den individualistischen Freiheitsgedanken völkisch untermauert. Es ist das historische Schicksal eines jeden radikalisierenden Kleinbürgertums, wenn die eigene Klasse und Herrschaft nicht mehr in der Lage ist, das Interesse zu teilen: die Flucht in die Reaktion. Und bedingt durch diesen Schritt, kommt der bürgerliche Staat nicht umhin, die primäre Einbettung schleichend aufzulösen, was unmittelbar in Verbindung mit der Antwort auf eben jene Demonstrationen und Kundgebungen steht. Die Niederschlagung durch Hand und Wasserwerfer richtet sich nun nicht mehr nur gegen den linken Gegenprotest, sondern auch gegen Querdenker*innen, die sich weigern, sich nach den bürgerlichen Spielregeln zu richten. An diesem Punkt wird auch die postulierte „Polizeiproblematik“ relevant, die keine Problematik, sondern Charakterisierung ist.

Die Polizei ist Bewaffnung des Staates nach innen. Ihre Aufgabe als Verteidigung des bürgerlichen Staates ist hiernach an die jeweiligen Kräfteverhältnisse innerhalb des Rahmens geknüpft. Es ist dabei nicht wunderlich, wenn sich in diesen Institutionen Leute finden, die diesem Anspruch genügen und daher auch jedwede Entwicklung widerspiegeln. Eine Radikalisierung innerhalb der Polizei entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ist an die Wechselbeziehung der objektiven Bedingungen geknüpft, sonach ist der Skandal, als eine Beamtin sich mit Querdenker*innen solidarisch zeigte, eben kein Skandal, sondern Teil des Abbilds des Kleinbürgertums innerhalb der Institutionen. Dass die Arbeit von Journalist*innen immer häufiger gestört und auch physisch unterbunden wird, muss in dieser Auseinandersetzung verstanden werden, die sich gerade in Kassel auftat: das taktische Versagen seitens der bürgerlichen Regierung, dessen Widerspruch sich in der Gewalt der Polizei offenbart. Diese Erklärung verdeutlicht auch die unterschiedliche Gewichtung der Gewaltanwendung bei linken und bei rechten Protesten. Proteste, die die bürgerliche Herrschaft ernstlich nicht in Gefahr bringen, haben eine niedrigere Priorität von der herrschenden Klasse unterdrückt zu werden. Und da Querdenker*innen eine radikale Umwälzung der bestehenden Verhältnisse nicht anstreben, sondern viel mehr einen reaktionären Rollback dessen anvisieren, bleibt auch die Rolle der Polizei eine nur vordergründig ambivalente. Denn letztlich verteidigen sowohl Polizist*innen als auch Querdenker*innen den bürgerlichen Überbau als konsensuelles Interesse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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