Rassismus tötet auch in Deutschland

Black Lives Matter Rassismus und Polizeigewalt ist kein Einzelphänomen der USA, sondern Teil der herrschenden Klasse. Auch in der BRD sind sie vorhanden und auch hier sterben BlPoC

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Bei Antirassismus-Kundgebungen versammelten sich am Samstag in ganz Deutschland zehntausende von Menschen
Bei Antirassismus-Kundgebungen versammelten sich am Samstag in ganz Deutschland zehntausende von Menschen

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Der Mord an George Floyd durch einen Polizisten löste einen weitgreifenden Protest aus. Nicht nur in den USA, auch in anderen Staaten, wie der BRD, wird unter „Black Lives Matter“ an den allgegenwärtigen und institutionalisierten Rassismus erinnert und die Überwindung dessen gefordert. Das anfängliche Schweigen seitens der Regierungschefs der westlichen Welt ist dabei nicht verwunderlich. Einerseits ist man mit der Kritik an den USA aus strategischen und politischen Gründen vorsichtig und andererseits ist der Rassismus kein Einzelphänomen Amerikas. Der Mord an unterdrückten Menschen ist sowohl in der BRD als auch der EU inhärenter Teil der Politik. Neben desaströsen Zuständen von Lagern in Griechenland, der finanziellen und militärischen Unterstützung von Kriegsparteien wie Saudi-Arabien und der Türkei sowie dem täglichen Sterben im Mittelmeer wäre ein singulärer Aufschrei seitens der bürgerlichen Herrschenden doppelmoralisch. Ihr anfängliches Schweigen ist ehrlicher und konsequenter als nun geäußerte „Empörung“ und „Kritik“ an den entwickelten Zuständen der USA sowie dem Rassismus an sich. Auch die Bundeskanzlerin Merkel positionierte sich jüngst kategorisch gegen den Rassismus und sprach in einem Fernseh-Interview, dass er etwas „schreckliches ist“. Scheinbar nicht schrecklich genug, um die Morde an BlPoC (BlackPeopleofColour) in der BRD zu verurteilen, geschweige denn zu verfolgen.

Statistiken von Polizist*innen, die in der BRD Menschen erschossen, gibt es zuhauf. So erklärt eine, dass seit 1952 offiziell 501 Menschen durch die Hand – oder die Waffe – der Polizei ums Leben kam. Wenn man von rassistischer Gewalt spricht, spielen allerdings weitere, teils dialektische Phänomene eine Rolle. Die Ermordung von BlPoC ist hierbei nicht nur in den USA Realität, sondern eben auch in der BRD. Daher sind die Demonstrationen und Protesten, die auch in der BRD gegen rassistische Polizeigewalt ihre Stimme erheben, eine stringente Notwendigkeit und nicht einzig auf den Mord an Floyd zurückzuführen. Stimmen die sagen, Rassismus sei ein Randproblem einer rechten Minderheit, verkennen dabei die Lage und missverstehen die Rolle der exekutiven Gewalt einer bürgerlichen Gesellschaft. Denn die Klassenzugehörigkeit spielt bei der rassistischen Gewalt eine wichtige Rolle: ermordet werden nicht reiche BlPoC einer elitären Gesellschaft, sondern arbeitende, arbeitslose, unterdrückte. Sie erfahren sonach eine doppelte Unterdrückung, die die Rolle der Polizei systematisiert, denn: Rassismus geht einher mit der kapitalistischen Herrschaftsform. Wer den Rassismus, gerade den staatlichen und exekutiven, daher bekämpfen und überwinden möchte, muss die Systemfrage stellen. Unter diesem Punkt ist die Wut und die Rebellion der Unterdrückten in den USA dahingehend verständlich, weil der Zusammenhang erkennbar ist.

Um in der BRD zu bleiben ist wichtig, gerade um BlPoC zu gedenken, ihrer Stimme und Wut Gewicht zu erteilen sowie das organisierte Wegschauen der Herrschenden, wenn ihre Exekutive Menschen ermordet, zu kritisieren. Erinnert sei an Achidi John, der an den Folgen von Polizeigewalt am 12. Dezember 2001 starb. Im Herbst 2001 verabschiedete der Bremer Senat das sogenannte Brechmittel „Ipecauanha“ einzusetzen. Nach einer Festnahme Johns wurde ihm – der im Verdacht stand mit Drogen zu handeln – unter Gewalt das Mittel verabreicht, was John zum Kollabieren brachte. Mit einer erheblichen Verzögerung wurde medizinische Hilfe eingefordert, die jedoch nur noch Johns Tod diagnostizieren konnten. Das Verbrechen, was John angetan wurde, erfuhr keine Strafverfolgung. Die Akte wurde geschlossen. Laye-Alama Condé verstarb am 7. Januar 2005 ebenfalls an den Folgen eines Brechmittels. Gleichwie John wurde er von der Polizei festgenommen, da auch er unter dem Verdacht stand, mit Drogen zu handeln. Er verweigerte die Einnahme des Mittels. Die gewaltsame Einführung durch die Behörden löste eine Tortur aus, die über eine Stunde gehen sollte. Während Condé unter Atemnot litt und ihm vorgeworfen wurde, er würde nur „simulieren“, befahl der anwesende Arzt, die Tortur weiterzuführen. Auch er verstarb elf Tage ipso facto an der Gewalt der Behörden. In Condés Fall sprach der EUGh von „Folter“, was allerdings keine praktischen Folgen für die herrschende Klasse hatte.

Der bekannteste Fall, da er von den Medien bis heute behandelt wird, ist der Mord an Oury Jalloh. Er verstarb am selben Tag wie Condé, dem 7. Januar 2005. Die offizielle Lesart besagt, dass sich Jalloh in seiner Zelle im Knast selbst verbrannte. Wissenschaftliche Untersuchungen, die teils von der Initiative, die daran erinnern soll, selbst bezahlt wurden, belegen jedoch, dass von einem Selbstmord keine Rede sein kann. Viel mehr ist davon auszugehen, dass Jalloh von den Behörden gefoltert und verbrannt wurde. Ähnlich wie bei der (Nicht-)Aufarbeitung des rechtsterroristischen NSU wurden auch hier Akten vernichtet und Aussagen gehört, die sich teils absurd widersprechen. Der Mord an Christy Schwundeck am 19. Mai 2011 in Frankfurt unterstreicht die Bedeutung der Klassenzugehörigkeit. Schwundeck hatte seit Tagen kein Geld mehr und suchte ihren Sachbearbeiter des Jobcenters auf, um 10 Euro zu bekommen. Als sie in der Verzweiflung der Not Gewalt androhte wurde die Polizei gerufen, die Schwundeck nach einem Angriff hinrichtete. Es ist wichtig, den Mord als solchen zu benennen, denn die offizielle Erklärung, dass es sich um „Notwehr“ handelte, ist in Anbetracht der Situation, dass Schwundeck keine lebensbedrohliche Gefahr darstelle, nicht tragbar.

Ousman Sey, der am 7. Juli 2012 starb, brachte in vielen Medien die Frage auf den Punkt: „Warum starb OusmanSey?“ Diese Frage ist nicht nur auf Sey anzuwenden, sondern alle Opfer rassistischer Gewalt. Sey wurde von Polizist*innen in seiner Wohnung abgeführt, nach dem seine Nachbar*innen jene verständigten. Die erwähnte „Ruhestörung“ war ein unter Schmerzen leidender Sey, der zuvor den Notfall anrief, jedoch keine Hilfe bekam. Anstatt die Behörden ihn ins nächste Krankenhaus brachten, wurde er auf die Polizeiwache gebracht – wo er letztlich starb (nach Angaben der Behörden später im Krankenhaus). Wie Jalloh verstarb auch Amad Ahmad vermeintlich an einer Selbstanzündung. Auch hier ist der Verdacht, dass er von den Behörden angezündet wurde. Sein Fall zementiert den Rassismus dahingehend, dass er unschuldig verknastet wurde. Er wurde mit einem anderen „Straftäter“ verwechselt, obgleich die Verwechslung nicht zu erklären ist, da eine Ähnlichkeit kaum vorhanden war. Obgleich die Verwechslung vor dem Tod bekannt wurde, blieb er im Gefängnis. Bis heute sind die Umstände und Einwirkungen nicht aufgearbeitet, die die Verbrennung an Ahmad am 29. September 2018 erklärt.

Nicht nur in Gefängnissen wird gemordet, auch in Psychiatrien. Am 26. April 2019 starb William Tonou-Mbobda an den Folgen einer gewaltsamen Fixierung und Medikamenteneinfuhr im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Einweisung erfolgte freiwillig, doch endete tödlich, da Tonou-Mbobda faktisch festgehalten wurde und von Sicherheitskräften Gewalt erfuhr. Hier wurden jedoch Entscheidungen gefällt und diverse Personen entlassen, allerdings macht das den rassistischen Mord nicht ungeschehen. Letztlich soll an Rooble Warsame erinnert werden. Warsame soll ebenfalls in seiner Gefängniszelle Selbstmord begangen haben, was allerdings stark angezweifelt wird. Der Grund der Festnahme war, dass Warsame in seiner Flüchtlingsunterkunft Alkohol trank und sich laut unterhielt. Für die Polizei Grund genug Warsame mitzunehmen, ihn mit Gewalt in seine Zelle zu bringen, um später zu behaupten, er habe sich mit einem Bettlaken ermordet. Wie das abgelaufen sein soll, das wissen die Behörden freilich nicht.

Die Erinnerungen an Achidi John, Laye-AlamaCondé, OuryJalloh, ChristySchwundeck, OusmanSey, Amad Ahmad, William Tonou-Mbobda und RoobleWarsame sollen den Charakter der Polizei untermauern. Es geht ihr nicht um Sicherheit und Verbrechensbekämpfung. Als exekutive Gewalt sind sie Vertreter*innen der herrschenden Klasse und hiernach ist der Rassismus institutionell und inhärent. Man kann nicht von Einzelfällen sprechen. Die Erinnerungen sind auch Ausdruck verschiedener Ausprägungen und Methodiken des Rassismus. Sei es unterlassene Hilfeleistung, gezielte Ermordung oder der Verabreichung von Mitteln unter Zwang: freilich ist das Verbrechen nicht nur rassistisch zu werten, dennoch ist es wichtig, es zu benennen, denn: Rassismus ist kein Randproblem, kein Problem Amerikas. Auch die BRD ist strukturell rassistisch, denn sie kann nicht anders. Es morden nicht nur vermeintlich „besorgte Bürger*innen“ und rechte Terrorist*innen, sondern auch der Staat. Black Lives Matters heißt letztlich, die rassistische Gewalt klar zu benennen, daran zu erinnern und als Problem des Kapitalismus zu charakterisieren.

Die linke Zeitung „Straßen aus Zucker“ erinnerte zuerst an die erwähnten Opfer rassistischer Morde auf ihrem Instagram-Profil.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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