Religion und Befreiung

Gesellschaft Die Religion und „Gott“ sind eine Autorität, die bis heute eine weitangelegte Anerkennung erfahren. Für die Befreiung der Gesellschaft sind sie jedoch hinderlich.

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Mit der Begrifflichkeit „Gott“ werden verschiedene Momente und Bilder sowohl veranschaulicht als auch instrumentalisiert. Die Existenz einer Person „Gott“ auf erdischem Planeten ist zweifelsfrei zu negieren, so lehren auch die Weltreligionen „Gott“ als etwas Übernatürliches, was eine Vermenschlichung „Gottes“ im Paradies (jenem Ort, welcher unmittelbar nach dem Tod sich zu eröffnen hat) jedoch nicht ausschließt. Daran geknüpft ist auch die Idee „Gott“, die zu bejahen ist, womit die eigentliche Kritik sich zu beziehen hat. Die Frage, ob es tatsächlich ein Wesen gäbe, das über die Menschheit wacht, ist irrelevant, da sie den Kern des Gedankens missachtet. Hinter „Gott“ verbirgt sich ein fundamental, idealistisches Gebilde, was einer menschlichen Entfremdung gleichkommt. Die Implikation eines „Gottes“ ist verbunden mit einem Weg, der am Ende eine Belohnung erfährt. Ganz gleich, ob Christentum, Islam oder Judentum – der Monotheismus verspricht „fließenden Honig“ und eine Unsterblichkeit, wodurch das eigentliche Leben als Moment interpretiert wird, das durch die eigentliche Negation des Seins keine Entfaltung finden kann. Der Glaube generell ist ein natürlicher Schutzmechanismus, eine Kaschierung der Entfremdung, stets als Rechtfertigung autokratischer Strukturen, da die Bedingung an „Gott“ die Unterwerfung dessen ist, umschrieben als „Kinder Gottes“. Eine wissenschaftliche Analyse ist nicht mit einer Abkehr der Idee „Gottes“ verknüpft, so gibt es durchaus Astrophyiker*innen und Befürworter*innen der Urknall-Theorie, die jene als „Gottesbeweis“ interpretieren. Ein materialistischer Blick auf die Natur offenbart jedoch die Nüchternheit und Konsequenz des Lebens. Der Glaube wird als „Geist“ definiert, wodurch die Beweisführung ad absurdum geführt wird, jedoch gleichzeitig die Logik dessen darstellt, dass durch die Bejahung des Ideals „Gott“ das Sein vom Bewusstsein abgeleitet wird, heißt: Ich bin, also lebe ich, sondern: Ich lebe, also bin ich.

Die Religion indes per se ökonomisiert „Gott“, in dessen Namen auch als Rechtfertigung der Mensch erst Mensch werden kann respektive das eigentlich gottlose Sein zur Geltung trägt, in Form von Kriegen im Namen einer Religion. Die Entfremdung des Menschen durch „Gott“ lässt sich beispielsweise im (orthodoxen) Islam und Christentum erkennen, in dem der Geschlechtsakt an eine vermeintlich natürliche Bindung gekoppelt ist, die freie Liebe ergo „sündhaft“ sei. Daraus wird der natürliche Sexualtrieb entmenschlicht. Dabei ist das Bedingung für das eigentliche Leben. Wer „Gott“ bejaht ist kein Idiot oder schlechter Mensch, sondern ein Befürworter einer autoritären Ordnung, die die Struktur des Menschen und die Natur verneint, mit Verweis auf von Menschen niedergeschriebenen Geboten, die in der Tierwelt keinerlei belang haben. Die Geschichte der Menschheit wurde nicht von „Gott“ erschaffen, sondern von den Menschen selbst, aus freien, ihnen vorgegebenen Stücken erlebt. „Gott“ war und ist nur Mittel zum Zweck einer Rechtfertigung, einem Lichte, einer Hoffnung, da das Leben, der Mensch, auf materialistischer Grundvoraussetzung, sein Leben in dem vorhandenen Rahmen komplett im Griff hat, ohne eine göttliche Übernatur. Nicht „Gott“ zeugt Kinder, sondern der geschlechtliche Akt. Nicht „Gott“ verzeiht Sünden, sondern eine Autorität, die die Entmenschlichung zementiert, da Fehler im religiös-moralischen Duktus „sündhaft“ seien. Nicht „Gott“ bestimmt die Liebe, sondern neuroendokrine Prozesse. Nicht „Gott“ schuf die Menschheit, sondern die evolutionäre Entwicklung. Nicht „Gott“ hilft durch die Prüfung durch das Gebet, sondern die Aufmerksamkeit und das Wissen. „Gott“ erschuf nicht Adam und Eva, sondern – sehr vereinfacht – Lukas und Matthäus erschufen „Gott“. Die Religion ist die größte Blockade, sich selbst bewusst zu sein. Das Ende der Vorgeschichte der Menschheit ist erst dann erreicht, wenn die Religion nur noch historische Relevanz besitzt.

Wie wird die Frage nach „Gott“ und der Religion gesellschaftlich, schlechthin in einer befreiten Gesellschaft gestellt? Dort herrscht die unmittelbare Freiheit der Menschheit durch die Menschheit selbst, d. h. Ausbeutung, Unterdrückung und Versklavung ist obsolet respektive gilt es stets zu bekämpfen. Der Kampf gegen die Religion mag dabei keine zentrale Rolle spielen, stellte für Karl Marx jedoch einen sehr wichtigen Bezugspunkt. Er definierte die Kritik an der Religion als die erste und wichtigste Kritik aller Kritiken. Die Religion erfährt in ihrer Geschichtswerdung eine stetige Verankerung in den Ideen der herrschenden Klassen. Sie wird vor der Französischen Revolution als ehernes Gewaltmonopol anerkannt, deren absolutistischer Charakter noch heute beispielsweise in Saudi-Arabien und dem Vatikan anzutreffen sind. Die Grundfunktion der herrschenden Klasse ist die Anwendung der Religion als abstrakten Mittelpunkt all jeder Frage und Antwort. Die Religion ist das einzigartige Instrument der Menschheit, sich selbst zum Sklaven zu erniedrigen. Hierarchische und patriarchale Strukturen werden als gottgewollt definiert und somit auch als der Menschheit natürlich ergeben. Diese Argumentationsketten lassen sich bis heute nachempfinden, in der das Menschsein negiert wird zum Wohle einem selbstdefinierten Unterdrückungsapparat. Sie war nie und nimmer die Erlösung und humanistische Nächstenliebe der Armen und Unterdrückten, sondern immer Spiegelbild der Feudalherren, der Aristokratie und des Bürgertums. Als von 1789 bis 1799 die Französische Revolution innerhalb dreier Etappen den Feudalismus und die Monarchie dahinfegte und mittels der Aufklärung die – nach Marx – einzig notwendige Kritik formulierte, die Kritik an der Religion, konnte die herrschende Klasse dieses Instrument nicht minder sterben lassen, sondern ließ es im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs als der Menschheit notwendiges Instrument quasi reformieren, ohne jeglichen Fundamentalismus zu negieren.

Diese Reform verbandelte sich mit dem aufsteigenden Bürgertum und den Kirchen, Moscheen sowie Synagogen als „heilbringende“ Instanz. Durch die Industrialisierung wurde die Klassengesellschaft radikaler zementiert, folglich auch die doppelte Versklavung. Einerseits durch die herrschende Klasse der Kapitalist*innen, andererseits durch das Druckmittel der Religion als Anerkennung des Elends. Diese Symbiose scheint perfekt für den Kapitalismus. So sehr er sich auch säkular gibt, die Religion bedingt den Kapitalismus und der Kapitalismus bedingt die Religion. Sozialistische und humanistische Tendenzen in den Religionen sind dabei kein Widerspruch, sondern die materialistische Wechselbeziehung bedingt durch den Klassenkampf. Nach der Erschaffung der Arbeiter*innenbewegung, des Klassencharakters des Proletariats, wurden auch sozialistische und proletarische Stimmen in den Religionsgemeinschaften laut. Doch ein religiöser Sozialismus kann nur antikommunistisch sein, wonach ein religiöser Kommunismus eine reine Spinnerei ist bei konsequenter Missachtung der gegebenen Verhältnisse. Wilhelm Liebknecht und August Bebel anerkannten die Religion in der jungen SPD noch als Privatsache, doch in einer klassenlosen Gesellschaft kann und darf die Religion keine Privatsache mehr sein, denn sie ist nicht mehr existent. Privatsache bedeutet, das Heil und Elend der Religion im privaten Raum zu predigen und zu leben. Dabei ist es naiv, dass diese Erziehungen und Studien keinerlei Einfluss auf die grundsätzlich gesellschaftliche Entwicklung des Menschen haben.

Das Private lässt sich nicht vom Gesellschaftlichen, und schon gar nicht vom Politischen trennen. In den privaten Räumen ist die Religionsausübung ebenso eine gesellschaftlich relevante Dimension, die radikal der Selbstbefreiung der Menschheit entgegensteht. Die Freiheit des Menschen ist die Freiheit von der Unterdrückung jeglicher Art, die Freiheit der Selbstkasteiung durch ungewollte Abstinenz, die Freiheit von jeglicher Sünde und religiöser Schandtat, die Freiheit die Welt als Produkt des Menschen anzuerkennen, und nicht den Menschen als Produkt der Welt (i.d.S.: Gottes). Die dadurch bedingten Wechselbeziehungen machen jeden privaten Menschen zu einem gesellschaftlichen, dadurch wird durch die Negation der Klassen auch die Religion negiert, der den Menschen als Produkt nicht seiner selbst sieht, sondern als Ebenbild eines Ideals, deren Zielvorstellung nur durch die gesellschaftliche Apathie gewährleistet zu sein scheint. Die befreite Gesellschaft ist ihrer Substanz nach materialistisch und atheistisch. Der Atheismus definiert den Menschen als sich selbst gehörig und als Subjekt eines handelnden Ganzen. Jeder proletarische Klassenkampf ist auch ein Kampf gegen die Religionen, sowohl auf gesellschaftlicher als auch privater Ebene. Die Erfindung der Religion durch den Menschen für den Menschen ist die Akzeptanz der Ungleichheiten der Menschheit und der Bejahung diktatorischer Gesellschaftsformen. Dieses Denken muss durchbrochen und bekämpft werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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