Rote Fahnen und Gelbe Westen

Soziale Revolution Die Linkspartei solidarisiert sich mit den Protesten in Frankreich und steht nun an einem Wendepunkt, sich der historischen und sozialen Rolle gewahr zu werden.

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Die spontaneistische Bewegung der Gelbwesten in Frankreich hat nicht nur die Republik erschüttert, sondern ist europaweit in politischer Diskussion. Dem teils widersprüchlichen Charakter zufolge zieht es sowohl radikal Linke als auch radikal Rechte an, die beiderseitig versuchen, die Bewegung zu steuern beziehungsweise ihr mächtig zu werden. Einer nicht repräsentativen Umfrage zufolge lehnen mehr als 80% der Befragten eine parteipolitische Einmischung ab. Dennoch ist die subjektive Einordnung ist politische Spektrum nicht uninteressant, bei der sich 57% „links“ (davon 15% „linksradikal“), doch nur etwa 17% „rechts“ (davon 5% „rechtsradikal“) sehen. Es ist dahingehend ein relatives, gesellschaftliches Gefälle zu betrachten, bei der trotz der Lautheit der französischen Rechten ein progressiver, mithin gesellschaftskritischer Charakter zu erkennen ist. In der BRD indes wurde die Symbolik relativ früh von der radikalen Rechten gekapert, bei der sich nicht nur Rassist*innen und Faschist*innen wiederfanden, sondern auch deutschtümelende Traditionalist*innen und Reichsbürger*innen. Auch die rechtsradikale Alternative für Deutschland (AfD) erkannte das Potential und zeigte sich solidarisch, ungeachtet des originär gesellschaftlichen Charakters der Französ*innen. Die bürgerliche „Mitte“ benahm sich obligatorisch empört und distanziert, bei der jegliches dialektisches Vermögen abhanden scheint. Die Linkspartei war anfänglich widersprüchlich und uneins, doch die jüngsten Äußerungen legen offen, dass sie - wenngleich leicht verspätet - die Spontaneität der Massen zu schätzen weiß.

Die Fraktionsvorsitzende und Gründerin der Sammlungsbewegung „aufstehen“ Sahra Wagenlnecht anerkannte in einer Videobotschaft die Notwendigkeit der Gelbwesten und sprach von der „Regierung der Reichen“ in der BRD. Ihr demonstratives Auftreten in einer Gelbweste mitsamt dem Logo ihrer Bewegung soll die Verwandtheit darstellen. Wagenknecht, deren Bewegung ein Projekt von oben ist, will „aufstehen“ als Katalysatorin und Vermittlerin der Proteste in Frankreich verstanden wissen. Sie appelliert an einen Widerstand, der sich gegen die herrschende Klasse zu wenden hat. Der Co-Vorsitzender Bundespartei Bernd Riexinger indes erklärte vor dem Parteibeschluss, dass die Gelbwesten keine Parterin im Kampf für eine sozialere Welt sein können. Mit Hinweis auf die Existenz „Ultrarechter in den Reihen der Bewegung“ verfällt er der uralten Kinderkrankheit der politischen Linke, wenn es um die Funktion von Massen geht. Die daraus kolportierte Distanz erhofft sich die Irrealität einer „reinen Revolution“, die völlig frei von Widerspürchen und sozialen Unterschieden ist. Der österreichische Blogger und politische Aktivist Fabian Lehr stellte sich auf Facebook dieser Thematik und zitierte den russischen Marxisten Wladimir Lenin auf die Frage, ob es sich lohne, „in einer so unreinen Bewegung [mit] zahlreichen Rechten, Querfrontler [und] Verschwörungstheortiker*innen...“ zu intervenieren mit den Worten: „Wer eine reine soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben.“

Die Gelbwesten in Frankreich sind nun mitnichten die Geburt einer sozialistischen Revolution. Es handelt sich hierbei de facto um die Einforderung der Errungenschaften der bürgerlichen Revolution 1789-1799, die Anerkennung der erkämpften Rechte, die die letzten Jahre durch den neoliberalen Wandel kontinuierlich vernichtet werden. Die Negation dieser formalen Existenz in Form von prophylaktischen Distanzierungen und Schuldzuweisungen sind die Kernprobleme der deutschen Linken. Der diskrepante Charakter der Linkspartei ist bedingt durch ihre historische Verantwortung offenkundig, belegt jedoch ein weiteres mal die Notwendigkeit der Positionierung. Diese ist nun - nicht frei von Kontroverse - durch die Solidarität mit den Massen in Frankreich erfolgt. Durch die „Ermutigung für Deutschland“ durch den sozialen Widerstand erfolgt keine direkte Intervention beziehungsweise politische Aktion. Dennoch zeigt alleine diese Anerkennung die Ohnmacht der herrschenden Klasse, bei der sich Bundeskanzerlin Angela Merkel zu Wort meldete, und sprach von einem „Skandal“. Ihr Hauptkritikpunkt ist die inhärente Gewalt des Protestes, die sie bei der Linkspartei nicht kritisiert findet. Die Schauspielerin Pamela Anderson fand darauf eine Antwort: „Ich verachte Gewalt. Doch was ist die Gewalt all dieser Menschen und verbrannter Luxusautos verglichen mit der strukturellen Gewalt der französischen - und globalen - Elite?“

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es einer Post-Kommunistin wie Sahra Wagenknecht nicht gelingt, das Wesen der Gewalt zu verstehen und zu erklären. Pamela Anderson - trotz ihrer harten Kritik an der italienischen Innenpolitik und der Solidarität mit Jean-Luc Mélenchon und Jeremy Corbyn - des Marxismus alles andere als verdächtig, erkennt den materialistischen Charakter hinter den Protesten mehr als die in der DDR sozialistisierte Wagenknecht. Der subjektive Faktor dahinter ist stets ein Spiegelbild und dadurch Machtinstrument der herrschenden Klasse, das sich in der dadurch kolportierten Ehtik wiederfindet. Ablehnung der Gewalt zwecks deren Funktion findet nie statt, lediglich der ethischen Verortung. Subjektive Gewalteskalationen sind einer Entwicklung der Proteste mehr als schädlich und sie spielen der herrschenden Klasse in die Hände. Es gilt, die Wut und Hoffnungslosigkeit der Protestierenden zu kontrollieren, um die notwendige Kritik - auch in Deutschland - nicht im individuellen Terror ersticken zu lassen, sondern als Kraft der Massen gegen ein ungerechtes System zu kanalysieren.

Die Linke hat das einzig richtige getan, der französischen Gelbweste ihre Solidarität auszusprechen, um gleichzeitig die Notwendigkeit auch in der BRD anzusprechen. Die Wut und die Kurzschlussreaktionen der herrschenden Schicht ist verständlich, da sie sich einem Widerstand ausgesetzt fühlen, den sie nicht - auch wenn es noch geschieht - mittels staatlicher Gewalt und der Polizei niederzureißen. Dieser Kristallisationspunkt in der Phase des negierenden Kapitalismus ist essentiell für die Linke, die sich nicht auf eine Verwaltung des Neoliberalismus beschränken möchte. Eine „reine“ Bewegung wird es nicht geben, hernach gilt es nicht, eine Bewegung aufgrund von rechter Tendenzen zu ignorieren, sondern es ist die natürliche Aufgabe der Linken, diese Bewegung für die eigene Agenda zu nutzen, um so den rechten Einfluss niederzuhalten. Auch wenn es sich um gelbe Westen und nicht um rote Fahnen handelt gleicht es einem politischen Suizid, diese Bewegung zu ignorieren beziehngsweise sie ihrem Schicksal selbst zu überlassen. Der gewaltige Rechtsruck in Gesellschaft und Politik mit samt des autoritären Neoliberalismus macht einen Widerstand unausweichlich. Die Gelbwesten sind der Beginn einer notwendigen Entwicklung, bei der die Linkspartei an dem Wendepunkt stehen wird, welchen Weg sie einschlagen wird. Der Pluralismus ist ein eherner Faktor, doch wirkt er hemmend und schädlich, wenn dadurch der deterministischen Entwicklung keine Rechnung getragen wird. Die roten Fahnen müssen sich mit den Gelbwesten verbrüdern. Es bleiben ihr keine andere Möglichkeiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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