Strukturelle Gewalt gegen Frauen*

Erinnerung Psychische, physische und sexuelle Gewalt an Frauen* ist weltweit präsent und ein Machtinstrument des Patriarchat. Der heutige Gedenk- und Aktionstag erinnert daran

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Aktivistinnen demonstrieren zum Tag gegen Gewalt an Frauen in Santiago
Aktivistinnen demonstrieren zum Tag gegen Gewalt an Frauen in Santiago

Foto: Martin Bernetti/AFP/Getty Images

Am heutigen Sonntag, den 25. November 2018, jährt sich der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“ zum 37. Mal. Zurück geht der Tag auf die Ermordung dreier Frauen durch das Militär in der Dominikanischen Republik am 25. November 1960, die gegen das damalige diktatorische Regime Rafael Trujillo Molinas kämpften. Im Jahre 1981 wurde der heute begehende Gedenktag von Feminist*innen aus Lateinamerika in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá ins Leben gerufen, der von den Vereinten Nationen 1999 offiziell anerkannt wurde.

Die ermordeten Aktivistinnen stehen symbolisch für die weltweite Unterdrückung, Versklavung und Ermordung von Frauen*. Die deutsche Sektion der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ veranstaltete 2001 an diesem Tag eine sogenannte „Fahnenaktion“, bei der ein Zeichen gegen Frauengewalt gesetzt wurde. Diese Aktion wird bis heute fortgeführt und steht zentral als Warnung und Erinnerung an die auch in den Industriestaaten vorherrschenden patriarchalen und frauenverachtenden Strukturen. Unter Gewalt wird ein breites Spektrum an unterdrückenden Funktionen und hierarchischen Strukturen verstanden, die die Rechte und Freiheiten von Frauen* einschränken, beschneiden oder verletzen. Darunter zählt unter anderem häusliche Gewalt in Familien und Ehen, medialer Sexismus, Vergewaltigungen, (Zwangs-)Prostitutionen, doch auch strukturelle Unterdrückungen in ökonomischen Sphären, wie der dezidiert weiblichen Armut und Obdachlosigkeit.

Gewalt als "notwendige Normalität"

In der Öffentlichkeit und entsprechenden Interpretationen und Verbreitungen wird Gewalt gegen Frauen* stets widersprüchlich thematisiert und verarbeitet. Im Hinblick auf flüchtende Menschen und deren kulturelle Hintergründe findet eine diskrepante Herangehensweise statt, die einerseits den patriarchal dominierten, und hernach frauenverachtenden Islam unisono kritisiert, doch strukturelle Unterdrückung in den eigenen Reihen willentlich ignoriert. Die darauf zielende Täter-Opfer-Umkehr ist ein häufig genutzter Schutzmechanismus, der die durchaus anerkannte Gewalt als in der Substanz nach „notwendige Normalität“ beschrieben wird.

Dieses Bild lässt sich unmittelbar in der deutschen Gesellschaft projizieren, in der beispielsweise die Auswahl der Kleidung junger Frauen* einen Einfluss auf männliche Triebverhalten und den darauf fußenden Entscheidungen hat. Vergewaltigungen sind ein radikales Machtinstrument der Besitzergreifung der Frau* durch den Mann. Diese Machtstruktur wird in der patriarchalen Gesellschaft nicht sanktioniert, sondern bewusst geschützt und verbietet es den Opfern geradezu, eine Aufarbeitung zu fordern. Denn die mögliche Zerstörung des Lebensstandards und gesellschaftlichen Bildes des männlichen Vergewaltigers wiegt in dieser Hinsicht schwerer als der Wille der Gerechtigkeit.

Jede zweite Frau in Deutschland erlebt psychische Gewalt

Der „Bundesverband Frauenberatungsstelle und Frauennotrufe - Frauen gegen Gewalt“ (bff) präsentiert auf ihrer Website eine Studie der „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) zu Frauen gegen Gewalt aus 2014. Inhaltlich wurden Frauen* in allen 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) über selbst erlebte psychische, physische und sexuelle Gewalt gefragt, deren Ergebnis eine erschreckende Tatsache offenlegte. 35% der Frauen* in der BRD berichteten von sexueller und/oder physischer Gewalt durch den Partner seit dem 15. Lebensjahr, etwa 50% jedoch psychische Gewalt. Psychische Gewalt definiert nach bff jedwede Form von Drohungen, verbalen und nonverbalen Beleidigungen oder auch kontrollierendes Verhalten. Nicht zu entschuldigende Gründe können hier eifersüchtiges oder neidisches Verhalten des Partners sein oder das Verlangen einer Besitzergreifung der Frau*. Jede zweite Frau* in der BRD erlebt solch eine Form der psychischen Gewalt in einer Beziehung. Der Prozentsatz vom Erleben sexueller Belästigung wie sexueller Andeutungen, Berührungen, Aufforderungen und Objektisierungen liebt bei 60%. Die Studie bringt zum Ausdruck, dass sexuelle, psychische und physische Gewalt gegen Frauen in der BRD leicht über dem EU-weiten Durchschnitt liegt (35% zu 33%).

Die Existenz dieser Gewalt wird an sich nicht geleugnet, deren Intensität und Gefährlichkeit indes schon. Problematisch ist die häufige Unsichtbarmachung der Opfer, denen überdurchschnittlich eine (Teil)-Schuld attestiert wird, wie letztlich auch die Twitter-Debatte über Sexismus in der Videospiel-Branche zeigte. Den Frauen* wird letztlich zum Vorwurf gemacht, die diskriminierende Stellung der Frau* eingenommen zu haben. Patriarchale Strukturen erlauben qua ihrer Stellung keine Gleichsetzung der Geschlechter, so nach werden Überlegungen wie das Ziel einer Frauenquote oder eine gerechte Arbeitsteilung der Kindererziehung als direkte Kriegserklärung gewertet.

Das "schwache Geschlecht"

Die gefährliche Ironie dahinter entsteht, wenn Männer das Benennen und Kritisieren der Gewalt gegen Frauen selbst als Gewalt gegen Männer interpretieren. Feministische Forderungen werden als „Männerdiskriminierung“ verstanden, womit der Mann sich als weiteres Opfer inszenieren kann. Das erzreaktionäre Bild des „schwachen Geschlechts“ ist essentiell für das Überleben des Patriarchats. Die systematische Gewalt gegen Frauen erzwingt diesen Männlichkeitswahn, in dem die Frauen* direkt gebrochen werden, um sich der eigenen „Stärke“ bewusst zu werden und sich ihrer zu bemächtigen. Die psychischen und ökonomischen Folgen, die Frauen* durch diese Gewalt erleiden, sind immens: Depressionen, suizidale Gedanken und zerstörtes Selbstwertgefühl gehören dazu, die weitreichend auch die soziale Stellung angreifen, was den Verlust des Berufes und/oder der Wohnung nach sich ziehen kann. Die Gesellschaft leidet mit dem männlichen Vergewaltiger um seine Existenz, doch das weibliche Opfer wird bei fehlender Unterstützung und Hilfestellung eben jene verlieren.

Der heutige „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“ ist ein notwendiges Instrument und Signal, das gewaltverherrlichende Patriarchat anzugreifen, um es zu überwinden. Die tief verankerten Verstrickungen finden sich in allen Schichten und Bereiche wieder. Bereits Kinder werden mit der patriarchalen Machtstruktur konfrontiert, in der Genussmittel oder Spielzeug sexistisch in Geschlechter aufgeteilt werden. Doch es bleibt nicht in der BRD oder der EU stehen. Dieser Tag erinnert auch an die Sklavinnen islamistischer Terror-Organisationen, die Arbeiterinnen in Bangladesch, die für Multikonzerne ausgebeutet werden; die Verstümmelung von weiblichen Genitalien in nordafrikanischen Staaten, die Zwangsheirat von minderjährigen Mädchen, den Handel von Frauen* sowie die tagtäglichen Übergriffe, Vergewaltigungen, Belästigungen und Ermordungen in allen Staaten der Welt, in den Familien, Partnerschaften, Freundeskreisen. Die Forderung nach der konsequenten Beendigung jeglicher Form von Gewalt kann nur durch den radikalen Kampf gegen das patriarchale System erreicht werden.

Die ökonomische Ausbeutung der Frauen* in allen Staaten der Welt unterstreicht die Notwendigkeit der Überwindung und Abwicklung des herrschenden Systems, bei dem das männliche Geschlecht trotz seiner Funktion als globaler Minderheit (3,85 Milliarden Frauen* gegenüber 3,78 Milliarden Männer) eine ökonomische und moralische Diktatur über die Frauen* errichtete. Die inhärente Aggression lässt sich in allen Kommentarspalten von Online-Auftritten diverser Zeitungen lesen, wenn es um Reformen wie einer gendergeschlechter Sprache, Frauenquote oder auch gleiche Entlohnung handelt. Jede Kritik an einer rein patriarchalen Überlegenheit wird als Untergang der Männlichkeit definiert. Die größte Gefahr liegt hinter darauf fußende steigende Gewalteskalation.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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