Über den Faschismus-Begriff

Theorie Der Faschismus-Begriff erfreut sich einer inflationären Verbreitung. Zuletzt wird damit die Politik Putins und Russland beschrieben. Doch was hat es mit dem Faschismus genau auf sich? Und weshalb ist Russland kein faschistisches Regime?

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Seit dem 24. Februar 2022 wird vermehrt der Begriff des „Faschismus“ in der politischen Debatte eingebracht. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hatte, wird sowohl er als Person als auch seine Politik entweder in die Nähe des Faschismus gestellt, damit parallelisiert, oder sogar eine hierarchische Ordnung erstellt, wonach der deutsche Faschismus beispielsweise weniger schlimm gewesen sei. Dass es sich dabei nicht um eine analytische und politische Auseinandersetzung mit dem Geschehen handelt, sondern um eine emotionsgeleitete Interessensvertretung, merkt man besonders dann, wenn man entsprechende Akteur*innen darum bittet, doch auszubuchstabieren, wie der „Faschismus“ Putins aussieht. Wenig verwunderlich bekommt man kein theoretisches Grundgerüst, sondern eine Aneinanderreihung von Merkmalen, die zwar faschistische Elemente beschreiben, jedoch in ihrer Tragweite besonders autoritäre und totalitäre Regime bezeichnen. Die Selektion, die sich davon ablöst, eruiert in ein stark dichotomes Weltbild, in dem die Maßstäbe keinen objektiven Faktor bedienen, sondern hier das propagandistische Interesse an erster Stelle steht. Denn schlechterdings ist die Schablone des bürgerlichen Faschismus-Narratives nur unter bestimmten Voraussetzungen anzuwenden, derweil sie bei solchen Staaten, die den sogenannten „westlichen Werten“ näher stehen, doch dieselben Kriterien erfüllt, wie es scheinbar Russland tut, nicht angewandt wird.

Dass der Faschismus-Begriff seit Anbeginn der Bewegung und Ideologie ein Kampfbegriff mit austauschbaren Kriterien ist, macht die Notwendigkeit nicht minder deutlich, sich an diesen Begriff heranzutasten, um herauszuarbeiten, was der Faschismus eigentlich ist. Die politische Linke, allen voran die Linkspartei, tut es sich seit den vergangenen Monaten ebenfalls deutlich schwer, eine theoretische Erklärung zu liefern, denn auch sie sind dem bürgerlichen Diktum verfallen, dass es gar nicht anders sein kann, als dass die aktuelle Politik Putins faschistisch ist. Man wird dabei nicht müde, jede Entscheidung Russlands einer radikalen Kritik zu unterwerfen, derweil man jedoch der Begründung schuldig bleibt, inwiefern dies oder jenes nun ein Aspekt des Faschismus sei. In der BRD und ihrer Geschichte kommt die besondere Komponente hinzu, dass der deutsche Faschismus unter „Nationalsozialismus“ firmiert, und man nicht müde wird zu betonen, dass es ganz wichtig sei, es auch „Nationalsozialismus“ zu nennen, und nicht Faschismus. Dahinter verbirgt sich eine moralinsaure Reinwaschung vom faschistischen Verbrechen auf politischer Ebene, um so auch den Kapitalismus beziehungsweise das herrschende System zu verteidigen. Denn der Sozialismus, so die bürgerliche Propaganda, sei in all seinen Formen ein zu bekämpfendes System, wonach man sowohl den Kommunismus als auch den „Nationalsozialismus“ in einem Atemzug erwähnt.

Dass bis heute auch Teile der politischen Linken vom „Nationalsozialismus“ sprechen, ist einerseits der Indoktrination durch die herrschende Klasse, andererseits einem fehlenden Verständnis der faschistischen als auch der sozialistischen Ideologie geschuldet. Grund ist ein stark vereinfachtes Verständnis vom Staatsaufbau und der Wirtschaft, welche auf ein primitives Gleichnis reduziert wird. Hatte das faschistische Deutschland nicht auch Teile der Wirtschaft zentralisiert und verstaatlicht? Wie könne man da nicht von einem sozialistischen System sprechen? Dabei ist Verstaatlichung und Zentralisation zwar ein zentrales Element der sozialistischen Ökonomie, andererseits bedient sich auch das kapitalistische System diesem Mittel, besonders in Kriegszeiten, respektive deren Vorbereitung darauf. Dass den deutschen Faschist*innen das Privateigentum an den Produktionsmitteln heilig war, machten die Größten der NSDAP immer wieder deutlich, was sich auch in der engen Zusammenarbeit mit dem Großkapital und den Wirtschaftsverbänden niederschlug. Es bedarf daher eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Faschismus als Theorie, sowie in seiner Praxis.

Elementar für den Faschismus, besonders den deutschen, ist die Verankerung im radikalisierten Kleinbürgertum. Die sich daraus entstehenden Massenbewegung erfüllt bonapartistische Elemente, das heißt der Versuch, zwischen den Klassen überstehend einen Kompromiss zu erzielen, was jedoch nicht in die Negation der Klassengesellschaft mündet, sondern im Beispiel der deutschen Faschist*innen der Zerschlagung und Vernichtung der Arbeiter*innenklasse und ihrer Organisationen. Das Klein- und Großbürgertum profitierte von dem System, wenngleich der faschistische Terror mit der Zeit auch dort sein Unwesen trieb, besonders dann, wenn es Widerstand gab. Denn das faschistische System ist kein kohärentes, sondern ein widerspruchsvolles, was am Wesen seiner Existenz liegt. Der Faschismus tritt immer dann auf, wenn das kapitalistische System in Gefahr schwebt, sich nicht mehr selbst zu regenerieren, um eine radikale Konterrevolution gegen die Unterdrückten zu starten. Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg und der Zerschlagung der Novemberrevolution prädestiniert dafür, was sich in der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahren besonders bemerkbar machte. So wurden im 20. Jahrhundert präfaschistische Regimes oder Regime, die am Faschismus Anleihen nahmen, besonders in Lateinamerika, nicht ohne Grund vom US-Kapital und der Regierung gestützt. Und immer dann, wenn eine linke Bewegung an die Macht kommt, sind die kapitalistischen Kräfte bemüht, mit allen Mitteln diese Entwicklung niederzuschlagen. Das letzte, und letztlich auch selbstgefährdende, Mittel ist der Faschismus.

Wendet man diese Kriterien an, gepaart mit einem Führerprinzip und imperialistischer Bestrebungen, wird deutlich, dass der Begriff einen sehr engen Rahmen hat. Ihn auf jede rechtsradikale Entwicklung oder Militärdiktatur anwenden, ist dabei nicht möglich. Wie sieht es bei Putin aus? Putins Russland ist ein kapitalistischer Staat, der sich jedoch nicht in dem Stadium befindet, um sich faschistischer Mittel zu bedienen. Einzig den (semi-)imperialistischen Kern der Außenpolitik sowie die Unterdrückung im eigenen Land herauszunehmen, macht noch lange kein Faschismus, denn dass ein Staat unterdrückt, liegt an seinem Wesen. Und will man jedes imperialistisches Bestreben faschistisch titulieren, wäre die gesamte westliche Welt eine faschistische Internationale, denn schlechterdings waren es die Vereinigten Staaten und ihre Verbündete, die unter anderem einen Flächenbrand im Nahen Osten auslösten, diktatorische Regime wie Saudi-Arabien und Katar unterstützen und nicht müde werden zu demonstrieren, dass das Recht immer das Recht des Stärkeren ist.

Warum ist es wichtig, einen engen, schwerpunktmäßig ökonomischen Begriff des Faschismus zu verwenden? Würde man den Begriff in der Logik der Bürgerlichen ausweiten, und beispielsweise jede rechte Militärdiktatur faschistisch betiteln, würde man nicht nur den Begriff an sich verwässern und austauschbar machen, man würde auch die Methodik verlieren, real existierende faschistische Regierungen zu analysieren. Dass die politische Linke auf dieses Spiel hereinfällt und die inflationäre Verwendung unterstützt, spielt dabei den Bürgerlichen grandios in die Hände, denn es besteht ein grundsätzliches Interesse daran, den Faschismus-Begriff selektiv zu verwenden. Der politisch-ökonomische Aspekt des Faschismus-Begriffs wird vollkommen entzerrt. An die Stelle tritt eine emotionalisierte Herangehensweise, die nicht widerspruchsfrei ist, allerdings ein Erklärungsmuster liefert, das eigene herrschende System gegen Feind*innen zu verteidigen. Daher ist es auch nicht ungewöhnlich, einerseits Putins Russland faschistisch zu schimpfen, derweil westliche Partner wie die Türkei, welche einen Genozid an den Kurd*innen vollziehen, hofiert und unterstützt werden.

Warum das so ist, liegt im Wesen des kapitalistischen Systems, der den Faschismus in sich trägt wie die Wolke den Regen. Ironischerweise bestätigen viele bürgerliche und antikommunistische Kommentator*innen die Grundprämisse, dass der Faschismus dem Kapitalismus inhärent ist, genau dann, wenn sie das kapitalistische Russland des Faschismus bezichtigen. Doch Putins Russland ist kein faschistisches Regime, da die elementaren Grundzüge, besonders die Verankerung einer kleinbürgerlichen Massenbewegung sowie die Etablierung eines zentralistischen Führerprinzips, nicht erfüllt sind. Besonders die Linke täte also gut daran, sich bei der Analyse der derzeitigen objektiven Verhältnisse einer Methodik und eines theoretischen Wissens zu bedienen, der das analytische Werkzeug versteht und die emotionalisierte Herangehensweise negiert. Denn durch die bürgerliche Verwässerung des Faschismusbegriffs ist damit überhaupt nichts mehr anzufangen. Und es birgt die Gefahr, den real existierenden Faschismus mit seiner Historie zu bagatellisieren, besonders den deutschen Faschismus, der schonungslos aufzeigte, wie der Kapitalismus reagiert, wird versucht, an seinen Wurzeln zu sägen. Die Kritik an der Außenpolitik und dem Militarismus Russlands sowie der NATO lassen sich ganz ohne faschistische Narrative erklären, und man täte gut daran, sich darauf auch einzulassen. Denn die Gefahr besteht, dass irgendwann alles eine Form des Faschismus ist, wenn es die eigenen Werte attackiert. Was den Begriff wieder zu einer Ursprungsform macht, denn damals war er konzeptlos, der erst durch die Faschist*innen selbst durch ihre Realpolitik ausgefüllt wurde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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